TV-Serie Bergdoktor:Robin Hood der Berge

Neue Folgen von ´Der Bergdoktor"

Seit 2007 ist Hans Sigl, der am Ammersee lebt, schon "Der Bergdoktor", für den es mittlerweile sogar Fan-Tage gibt.

(Foto: dpa)

Hans Sigl kann: Gitarre, Ballett, moderieren, singen. Aber als "Bergdoktor" ist der Schauspieler eine Naturgewalt - und bekämpft das Heimatfilmklischee. Ein Besuch am Set.

Von Philipp Crone

Es sind die kleinen Zeichen, die einen Frontmann ausmachen. Hans Sigl, Hauptdarsteller in der Serie "Der Bergdoktor", sitzt an einem sonnigen Dezembervormittag im verdunkelten Gastraum des Restaurants Föhrenhof in Ellmau. Über ihm ein Mikrofon, vor ihm Natalie O' Hara als Wirtin, dahinter Kameramänner, Aufnahmeleiter, Regisseur, Assistenten. Sigl, also Bergdoktor Martin Gruber, holt Luft und sagt mit Es-ist-alles-gut-Stimme: "Danke." Stille, bis der Regisseur ruft: "Schön! Wir bauen um! Zwei Minuten!"

Der Hauptdarsteller, ein Mann wie ein Zinken des Wilden Kaisers draußen, steht langsam auf und raunt auf Österreichisch flapsig, ob sich noch eine Zigarette ausgehe. Eine Frage zwar, auf die Sigl aber keinen Einwand erwartet, er ist schon fast in der Tür. Hierarchie und Harmonie in einem Satz. Und eine erste Antwort auf die Frage: Wie schafft es diese seit Jahrzehnten belächelte Wohlfühl-Serie, immer neue Rekordquoten einzuspielen? 7,2 Millionen waren es im März. Auch dank Hans Sigl, 46, den sie hier Frontmann nennen, Gute-Laune-Bär - und Robin Hood.

"Als wir anfingen", sagt Sigl und blickt beim Rauchen zu den Kollegen Heiko Ruprecht, der seinen Bruder spielt, und O' Hara, "da war es ein schöner Prozess, die Serie zu entkitschen." 2007 war das, da hatte das ZDF die Rechte von Sat.1 gekauft. Und nun sollte Sigl nach Harald Krassnitzer die medizinischen Probleme lösen. "Ich hatte damals das Gefühl, dass ich mich da einbringen kann", sagt Sigl. "Ich war schon immer ein Ensemblemensch." Einer, der Laune und Konzentration zugleich hochhalten kann, der sich für Praktikanten einsetzt, was ihm den Spitznamen Robin Hood eingebracht hat. Anerkennung, angereichert mit einer Prise Spott. Ein Robin Hood gefällt sich eben auch sehr in seiner Rolle.

Frontmann ist schon besser. So nennt Ruprecht den Kollegen Sigl. "Wir Schauspieler sind beim Dreh ja immer das sensibelste Glied. Wenn die Stimmung nicht stimmt, merken wir das als erstes." Der Frontmann mit der wuchtigen Statur und der besänftigenden Stimme bestimmt die Stimmung. Und die Länge der Pausen.

Frontmann war Sigl schon immer. Sein Werdegang klingt wie eine Streber-Rolle. Klassensprecher in der Steiermark. Ensemblesprecher in Innsbruck, wo er nach dem Abitur zunächst Englisch, Psychologie, Philosophie und Pädagogik auf Lehramt studierte. "Die Lehre hat mich damals gereizt, der Gedanke, etwas weiterzugeben." Aber die Bühne Klassenzimmer war nicht so reizvoll wie die am Theater, und später die beim Film.

Lieber 7 200 000 Menschen im Publikum als 17 im Klassenzimmer. "Ich war schon immer sehr neugierig." Ein WG-Mitbewohner moderierte beim Radio, Sigl probierte das auch. Andere machten Musik, also lernte er Gitarre und Schlagzeug. Nach zweieinhalb Jahren ließ er das Studium sein. "Als ich eine Seminararbeit über Edgar Allen Poe schreiben musste, hatte ich das Gefühl: die tausendste Seminararbeit dazu? Bringt die Welt nicht weiter."

Bringt der Bergdoktor die Welt weiter? Dessen Aufgabe ist ja eher, die Welt für 90 Minuten anzuhalten. Sigl selbst hingegen wird von seinem Martin Gruber weitergebracht. In seiner Welt ist er der Held, seit Jahren. Der, der alles kann und jedes Problem löst.

Was ist schwieriger, als ernsthaft banale Familiendialoge zu führen?

TV-Serie Bergdoktor: "Wir bedienen den Mainstream, aber niemand will zugeben, Mainstream zu mögen.", sagt Hans Sigl.

"Wir bedienen den Mainstream, aber niemand will zugeben, Mainstream zu mögen.", sagt Hans Sigl.

(Foto: Susanne Sigl/oh)

"Herr Sigl, auf die Bühne bitte, Herr Sigl", ruft der Regisseur im Stile eines Kaufhausdurchsagers. Weiterdrehen. Gegenschuss. Der Frontmann setzt sich, die Frau von der Requisite schenkt ihm Traubensaft ins Weinglas nach. Er blödelt lallend: "Wos hosd mir da etz wieder hignoagerlt?" Die Crew lacht. Harmonie durch Humor. Klappe. Ein Schluck Traubensaft, ernster Blick auf O' Hara, die Wirtin, dann der Satz: "Ich habe Angst, meine Familie zu verlieren." "Du wirst sie nicht verlieren, niemals", sagt O' Hara. Cut. Nächste Zigarette.

O' Hara kommt dazu, steigt drei Stufen zur Straße runter, es knirscht, sie stolpert, verwirrter Blick auf den linken Schuh: Absatz abgebrochen. "Schwund gibt's immer", sagt Sigl, als O' Hara noch nach ihrem Gleichgewicht sucht. "Jetzt kannste Mefistofele spielen", pariert Ruprecht, Sigl kontert: "Das nageln wir, direkt am Pferd." Das bei Schauspielern beliebte Spiel: Der letzte Spruch gewinnt. Solche Sequenzen sind eine Maßeinheit für gute Darsteller und für die Stimmung in einer Gruppe, genauso wie die Zahl ihrer Spitznamen. Sich in der hier wichtigsten Währung Wort duellieren, aber den anderen leben lassen. So wie Ruprecht und Robin Hood.

"Ich hatte schon immer Lust, die schwierigen Dinge zu machen", sagt Sigl. Und was ist schwieriger, als ernsthaft banale Familiendialoge zu führen? Vielleicht: Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das auch eine Kunstform ist. Dieser Heimatfilm des Bergdoktors. Michaela May, die schon als Gast bei Sigl war und früher die Gräfin spielte, sagt: "Man merkt, wie ernst er und alle diese Serie nehmen, das ist selten." Wenn ein Gastschauspieler kommt, "wird der von unserem Regisseur richtig eingeschworen", sagt Sigl. Auf seine Definition von guten Filmschauspielern: "Das ist einer, dem man das glaubt, was er sagt." Da ist der Bergdoktor eine sehr schwierige Rolle.

"Niemand will zugeben, Mainstream zu mögen"

"Seit den ersten Folgen mit Lippert und Krassnitzer hat sich schon sehr viel verändert", sagt Sigl. "Aber noch immer denken die Leute bei Heimatfilm an Filme aus den Fünfzigerjahren." Und wenn dann eine Kellnerin Dirndl trage, würden alle die Augen verdrehen. "Aber wenn man hier herkommt, dann tragen in einer Wirtschaft die Kellnerinnen eben Tracht." Das Problem sei der Mainstream. "Wir bedienen den Mainstream, aber niemand will zugeben, Mainstream zu mögen."

Bergdoktor, das ist in der Filmsprache ein "Well-made-Play", eine Geschichte mit klarem Rahmen, dem Guten in der Hauptrolle, schönen Panorama-Bildern vom Wilden Kaiser und Happy End. "Kein Format fürs Feuilleton, sondern für Familien, und für den Eskapismus." Für die Flucht aus der wahren Welt, wo sie im Restaurant in Going auch Tracht tragen, in die Welt von Sigls Bergdoktor Martin Gruber, der zu Beginn einer Folge morgens mit seiner Tochter streitet, einen Anruf bekommt, jemanden heilt, sein eigenes Liebesleben ein wenig durcheinanderbringt und am Ende glücklich in den Abspann lächelt. "Wir bedienen eine Emotionalität, auf die sich manche nicht einlassen wollen, denen ist das zu gefühlig, und das ist auch okay." Das Gespür für das richtige Gefühl, glaubhaft, und nicht gefühlig, das brauchen sie hier.

Was Sigl am meisten geprägt hat

Wieder geht sich eine Zigarette aus. Sigl ist am Set der "Gute-Laune-Bär", wie ihn Ruprecht nennt, der ruhigste von allen. "Eine Naturgewalt ist der", sagt Kollegin Michaela May, "der hat so eine Kraft, ich schaue ihm gerne zu. Und er ist so angenehm nicht-abgehoben." Sigl sagt: "Ich sehe meinen Beruf pragmatisch."

Gelernt hat er das beim Zivildienst, im Krankenhaus. Er sollte eigentlich monatelang Tupfer sterilisieren, nach einer Woche ging er zum Klinikchef und sagte: "Ich will zu den Patienten." Er wurde Pfleger, sah, wie Menschen starben, machte Totentransporte, "eines meiner prägendsten Jahre". Und als er zurück zum Theater kam, gab es Kollegen, "die ein Problem hatten, statt von links von rechts aufzutreten". Innsbruck, Bremen und Freiburg am Theater, nebenbei kleinere Filmrollen, 1993 als Taxifahrer im Bergdoktor. Damals war Kollegin Michaela May die Gräfin in der Serie.

Später Soko Kitzbühel, dann das Jahr 2007: Sigl ist 38, sein Sohn auf der Welt, er trennt sich von seiner ersten Frau. Es kam die Anfrage vom Bergdoktor, die seine Agentin ablehnen wollte. Sigl aber sagte zu. Vielleicht war es mal gut mit der Neugierde und dem Ausprobieren. Sigl lebt mit seiner Patch-Work-Familie heute am Ammersee und dreht in Going. Fertig.

Die Quote stieg, die Kamerafahrten wurden eleganter, die medizinischen Fälle vielschichtiger und die Zahl der jungen Zuschauer größer, die mit Martin Gruber auf den ersten Anruf am Morgen warteten. "Die Zuschauer wollen Konstanten, abgeholt werden." Wie auch in der Weihnachtsfolge an diesem Mittwoch im ZDF.

Und neben der steigenden Quote gab es noch ein Indiz für gute Filmarbeit in dem Metier: Anfragen von Kollegen, viele Burgschauspieler darunter, "die nach Gastrollen fragen. Denen gefällt, dass die Figuren Emotionen haben." Und Sigl gefällt, dass er nicht in jeder Folge sagen muss: "Was haben Sie gestern um 17 Uhr gemacht?" Wie bei der Soko. "Ich verstehe ja, dass den Leuten das gefällt: Til Schweiger, blaustichig inszeniert, der gegen Russen kämpft, die Wodka trinken und auf andere schießen." Das sei doch genau so ein Klischee wie die Dirndl-Kellnerin.

Wirtin O' Hara hat ihren letzten Drehtag an diesem Vormittag. Sigl fährt mittags rüber in das Hotel Stanglwirt und reserviert einen Raum für den nächsten Abend, O' Haras Geburtstag. Robin Hood wird seine Crew auf die zehnte Staffel einschwören. Und auf den Kampf gegen das Klischee.

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