Gesundheitspolitik:Als Bayern Aids den Kampf ansagte

Demonstration während der Aids-Woche in München, 1990

Eine Demonstration gegen Paragraf 175 während der Aids-Woche in München im Jahr 1990.

(Foto: Egginger)

Zwangstests, Razzien, Auflagen: Vor 30 Jahren verabschiedete die Staatsregierung ihren berüchtigten Aids-Katalog. Mit ihm führte sie einen Feldzug gegen Randgruppen.

Von Johann Osel

Tür auf in der Schwulensauna, plötzlich Uniformierte vor nackten Männern. Manche können sich noch schnell ein Handtuch umbinden. Die Polizisten haben das Foto eines US-Amerikaners dabei. Der Mann, in Nürnbergs Homoszene bekannt, habe Aids, sei eine uneinsichtige Virenschleuder, sagen die Beamten.

Wer mit ihm Sex hatte, solle sich sofort melden. Es hat sich keiner gemeldet, erinnert sich Martin Tröbs. Man wusste ja nicht, was kommt, was droht. Das war 1987 auch bei anderen Razzien so, in Bars, Saunen, Sex-Treffs in Parks. Bei einem Aids-Kongress in der Meistersingerhalle ging in dieser Zeit die Frage um: Holen die uns alle ab?

Martin Tröbs, 54, Sozialpädagoge, sitzt in der Aidshilfe Nürnberg, kramt in Erinnerungen. Die harte Linie der Staatsregierung hat ihn zum Aktivisten gemacht, Auslöser: die Sauna-Fahndung. Weil HIV aber kein Gestern-Thema ist, hatte er eben Telefondienst. Da rufen oft Ehemänner an, die erst im Puff waren und nun in Panik sind. Da gibt es Klassiker des Nicht-Wissens: das Kind habe sich an einem Kaktus gestochen, der gehöre einem krank wirkenden Kerl.

In der persönlichen Beratung sind dagegen die meisten Klienten schwul. Schon in den Achtzigern arbeitete Tröbs hier, seit Kurzem wieder. "Früher war klar: Wer zu uns kommt, der stirbt." Im Schrank hinter ihm lagern Kanülen. Am Abend kann man einen HIV-Test machen, ein Dutzend Besucher wird erwartet. Dann wird es nicht ums Sterben gehen, allenfalls um Angst.

"Keine Angst zu haben, ist eine Form von Dummheit." Der Satz ist drei Jahrzehnte alt und stammt von Peter Gauweiler, damals Innenstaatssekretär. Vor 30 Jahren, am 25. Februar 1987, hat das Kabinett von Franz Josef Strauß einen Aids-Katalog beschlossen. Als "eine Art Hoher Kommissar für Hygiene und Hysterie", so ein Spottname, hat Gauweiler ihn forciert. Was der Katalog und begleitende Aussagen vorsahen: Zwangstest, Razzien, Auflagen für Einrichtungen. Als "Ansteckungsverdächtige" galten Stricher, Huren und Fixer, nicht Schwule allgemein.

CSU-Vorstandsklausur in Andechs

Einst Staatssekretär für Inneres: Peter Gauweiler.

(Foto: Marc Müller/dpa)

Razzien wurden dann eben, berichten Zeugen, zum Jugendschutz geführt - Mittdreißiger mit Schnauzer mussten sich ausweisen. Als letztes Mittel bleibe "Absonderung", so Gauweiler damals im Bayernkurier. Ziel sei es, "die Allgemeinheit zu schützen und dem oder der Betroffenen nachhaltig vor Augen zu führen, daß bestimmte lebensgefährliche Handlungsweisen nicht fortgesetzt werden dürfen". Die Grünen erkannten "Methoden, die sonst nur in Diktaturen" vorkämen.

Schon als Kreisverwaltungsreferent in München hatte Gauweiler gegen Unmoral gekämpft, etwa Peep-Shows. Wirte sollten sich auf "Schweinereien beschränken", die "mit Messer und Gabel zu bewältigen sind". Er wurde Staatssekretär, Innenminister Gustl Lang ließ ihn walten, äußerte sich aber. Die Freisinger SZ notierte seine Rede vor katholischen Burschenschaften: "Wer sich ganz normal verhält, dem kann überhaupt nichts passieren."

Zur Krankheit trügen eben "Lesbierinnen und die 175er" bei. 175, der Schwulen-Paragraf im Strafgesetzbuch, wurde erst 1994 ganz gestrichen. Es reiche nicht aus, so Lang, dass man Leuten, "die so bestimmte Lokale besuchen" nur "so ein bestimmtes Gummi zeigt". Mit welchen Gedanken die Zuhörer wohl heimgingen? Selbst vor Mückenstichen gab es damals Angst.

"Verreckt doch, um euch ist's nicht schade", krakeelten Anrufer bei der Aidshilfe. Meldungen bei der Polizei: Der Kollege wirke krank, die Nachbarin habe viel Männerbesuch. Tröbs sagt: "Gauweiler und die CSU haben im Rahmen ihres Weltbilds geglaubt, das Beste zu tun. Eindämmen - koste es, was es wolle."

Ein Gespräch mit Gauweiler, heute Anwalt und Publizist. Es kommt nicht zustande, er "mag nicht". Geäußert habe er sich schon. "Der damalige Paukenschlag war notwendig und richtig, wir mussten gegen die Verharmlosung der Krankheit vorgehen", sagte er mal. Am Kabinettstisch saß 1987 auch Hans Zehetmair. Er ist zunächst skeptisch, öfters wurde er mit einem früheren Satz konfrontiert: Schwule als "Randbereich der Entartung", der "ausgedünnt werden" müsse.

"Ein Virus muss als erster raus und der heißt Strauß"

Ein Kratzer in der Lebensleistung als Kultusminister, Rechtschreibpapst. Zehetmair, 80, willigt doch ein. Die Worte passten nicht zu seinem Charakter, sagt er, zur Devise "leben und leben lassen". Womöglich sei "gewisser politischer Aktionismus" im Spiel gewesen, man müsse aber die Umstände sehen: "Es gab eine Geißel, der wir Herr zu werden versuchten. Bayern wollte sich, wie in vielen Bereichen, bundesweit an die Spitze stellen."

"Sprache ist stets Ausfluss des Denkens", sagt Guido Vael. Ein Gespräch bei ihm daheim, der 70-Jährige ist nicht mehr so gut zu Fuß. Bis vor ein paar Jahren war er noch Streetworker. Als Jux-Polizei in Fantasieuniformen sind sie durch Bars gezogen: "Achtung Kontrolle. Ficken erlaubt!" Dafür gab's Kondome. Der gebürtige Belgier holt ein Foto aus einer US-Zeitung. "Guido Vael, german gay leader" steht dabei, deutscher Schwulenanführer. Das war bei einer der Münchner Demos 1987, mit Tausenden Teilnehmern.

Sogar aus Japan waren TV-Teams da. So sah Vaels Vater, was sein Sohn in der Ferne trieb. Die Mutter musste fortan immer nach Besuchen das Bad desinfizieren; obwohl er nicht HIV hatte, erst in den Neunzigern infizierte er sich, ebenso Martin Tröbs. Vael war 1984 Mitgründer der Aidshilfe in München, es folgten Nürnberg, Würzburg, andere. Wir ahnten, was auf uns zukommt, sagt er: "Pogromstimmung". In einem frühen Spiegel-Bericht hieß es 1983: "Wird Aids wie ein apokalyptischer Reiter auf schwarzem Roß über die Menschheit kommen? Oder werden nur die homosexuellen Männer daran glauben müssen?"

Warme Brüder gegen kalte Krieger, so beschrieb ein Reporter eine Demo. Aber auch Durchschnittsbürger nahmen teil, Künstler waren Fürsprecher. Er sei gespannt, wann die Regierung in Dachau anfrage, ob sie auf dem KZ-Areal "noch ein paar Hütten draufstellen kann", sagte der Schriftsteller Herbert Achternbusch 1987 in der Abendzeitung. Tröbs kam samt schwulem Männerchor aus Nürnberg. "Wer ist die größte Hetzerin? Die Gauweilerin." Das sangen sie in Anlehnung an das österreichische Kult-Musical "Der Watzmann ruft".

Die Polizei war angehalten zu Gummihandschuhen, fester Kleidung, Vorsicht. Zimperlich waren die Proteste nicht. Slogan: "Ein Virus muss als erster raus und der heißt Strauß." Tags darauf sagte Gauweiler im Bierzelt: "Heilige Mutter Gottes, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!" Was sie tun sollten, wussten sie wirklich nicht. Onanierpartys statt Sex kamen in Mode. Andere flohen nach Berlin. Vael kämpfte, sprach mit Gauweiler. "Man muss mit seinem Feind reden, um ihn zu kennen. Die waren machtlos, weder Politik noch Medizin hatten eine Handhabe." Die Aids-Hilfe kümmerte sich um die Kranken, oft eitrige Gerippe.

Guido Vael, 2009

Kämpfer der ersten Stunde: Guido Vael.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die anderen Länder und die Bonner Gesundheitsministerin Rita Süßmuth setzten sich durch mit ihrer Linie: Sexualität könne nicht per Zwang kontrolliert werden. Besser: Beratung, Verantwortungsbewusstsein, Forschung. 1996 kam eine neue Therapie, nur eine Tablette nehmen Positive am Tag, nicht mehr Pillenberge. "Mit ununterbrochener Übelkeit, die Hölle", so Tröbs. Das Klima änderte sich stetig. 1987 zählten noch zwei Drittel der Bürger Aids zu den gefährlichsten Krankheiten, heute sind es nur noch acht Prozent.

Und Diskriminierung heute? Vael und Tröbs fallen kaum Beispiele ein. Die beiden kann wohl nichts mehr schocken. Studien sagen, 61 Prozent verschweigen die Krankheit im Job; Tratsch und Beleidigungen kennen fast alle, die offen damit leben. Nachfrage bei einer Gruppe für junge Positive. Die "Selbstfindung" nach der Diagnose sei heikel, erfährt man. Mehr Probleme hätten Heterosexuelle, sie hätten keine Outing-Erfahrung wie Schwule. Generell geschehe das HIV-Outing oft nur im engsten Umfeld, "an die große Glocke hängen es wenige.

Man weiß, wie Menschen sein können". Fast denselben Satz sagt Tröbs, bei einem Gedankenspiel. Angenommen, es gäbe wieder eine ominöse Krankheit und Risikogruppen. Beispiel: Unbekannte Pocken, eingeschleppt durch Flüchtlinge. "Es wäre willkommenes Wasser auf manchen Mühlen. Und dann: Einfache Lösungen und jemand, der Schuld hat", glaubt Tröbs. Allerdings: Der Staat müsste tun, was er tun kann. "Gegen Angst kommt man nie rational an", sagt Vael. "Ein neues Aids? Alles ginge wieder von vorne los."

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