Ein Jahr nach der Wahl:Zwei Zartgrüne

Lesezeit: 4 min

Landrat Wolfgang Rzehak aus Miesbach und Landrat Jens Marco Scherf aus Miltenberg verstehen sich als Brückenbauer, nicht als Partei-Ideologen

Von Heiner Effern und Olaf Przybilla, Miesbach/Miltenberg

Wolfgang Rzehak blickt sich im krachend vollen Tegernseer Bräustüberl immer mal wieder um, ob er sich nicht im Planeten geirrt hat. Er, der Grüne, sitzt in Trachtenjacke am Ehrentisch des Starkbieranstichs, er soll das erste Fass anzapfen. Vier Schläge braucht er und bekommt auch noch freundlichen Applaus. Ein grüner Landrat, hier im tiefschwarzen Kerngebiet der CSU, das wäre bis vor zwei Jahren nur im Drogenrausch vorstellbar gewesen, sagt Fastenprediger Nico Schifferer. Freilich, hätte jeder halbwegs Nüchterne auf so eine Wahnvorstellung erwidert, "und das Brauhaus steigt um auf die Produktion von Kamillentee".

Die Herzogliche Familie wird am Tegernsee weiter Bier brauen, auch wenn im Landratsamt von Miesbach nun ein Grüner regiert. Der Sieg in der Kommunalwahl sei schwierig gewesen, "bei dieser massiven Gegenwehr der CSU", spottet der Prediger. Tatsächlich wäre Rzehak ohne die Affären des früheren Landrats Jakob Kreidl noch heute normaler Kreisrat. Doch die gefälschte Doktorarbeit, die Verwicklung in die Verwandten-Affäre des Landtags, eine von der Sparkasse gesponserte Geburtstagsfeier und Reisen auf öffentliche Kosten machten Kreidl so untragbar, dass er auf Druck seiner Partei schon vor dem Wahltag seinen Amtsverzicht erklärte. In der Stichwahl setzte sich Rzehak gegen Norbert Kerkel von den Freien Wählern durch.

Illustration: Dennis Schmidt. Fotos: DPA (Foto: N/A)

Er war nicht der einzige Grüne, der an dem Tag triumphierte. In Miltenberg, so ziemlich am anderen Ende des Freistaats, eroberte ebenfalls ein Grüner das Landratsamt: Jens Marco Scherf. Dass es Rzehak schaffen würde, nach der Kreidl-Affäre, konnte man nicht ausschließen. Aber Scherf? Wer so was vorhergesagt hätte, den hätte man für "nicht zurechnungsfähig erklären müssen", sagt Thorsten Meyerer, der Mann von der SPD, der mit Scherf durch den Landkreis gezogen war, um an der Haustür für einen Grünen zu werben. Ohne realistische Chance: ein prosperierender Landkreis mit Postkartenidyllen, zuvor 24 Jahre lang vom CSU-Landrat Roland Schwing regiert, einem Mann mit Reputation und Zweidrittelmehrheiten. Dennoch gewann den Kampf um dessen Nachfolge ein Grüner. Eine Sensation. Seit dem Tag stammen die beiden ersten grünen Landräte Deutschlands aus Bayern. Beide regieren in tiefschwarzen Regionen. Wer Rzehak ein Jahr danach im Landratsamt besucht, merkt sofort, wie präsent die Affäre Kreidl noch ist. Der Landrat führt gleich durch Büro und Besprechungsraum, um zu belegen, dass nirgends goldene Klinken und italienischer Marmor eingebaut sind. Kreidl hatte diese Räume für 293 000 Euro auf Kosten der Sparkasse modernisieren lassen. Die Plastik des Künstlers Otto Wesendonck, "das Phallus-Symbol", wie es Rzehak nennt, habe die Sparkasse längst abholen lassen. Soll heißen: Ein neuer Geist ist eingezogen. "Der Landrat ist kein Diktator. Auch wenn am Ende ich die Entscheidungen treffe: Ich höre meinen Leuten zu und lasse mich auch mal überzeugen", beschreibt Rzehak sein Amtsverständnis nach innen.

Locker tritt er auch nach außen auf. "Menschlich ist er einer, mit dem man sehr gut zusammenarbeiten kann", sagt der Kreuther Bürgermeister Josef Bierschneider, CSU-Fraktionssprecher im Kreistag. Bei vielen Sachthemen herrsche Übereinstimmung. Einen "Superstart", bescheinigt ihm gar der Fastenprediger, Rzehak sei "sehr wohlwollend aufgenommen" worden. Das liegt auch daran, dass der noch nie ein Hinterzimmer-Grüner war, der auf einem Trachtenfest fremdelt. "Wenn du am Biertisch Schmerzen hast, darfst du diesen Job nicht machen", sagt der Landrat.

Mit dem Miltenberger Landrat Scherf gleich den ersten Termin am Morgen ausmachen zu wollen, sei etwas risikobehaftet, erläutert die Mitarbeiterin im Vorzimmer. Weil da die Bahn ein Wörtchen mitzusprechen habe. Scherf kommt mit dem Zug, er ist auch der einzige, der nicht in der Limousine zum Landkreistag anreist.

Aber die rot-grüne Projektpolitik, die mancher fürchtete, die will nicht mal Jürgen Reinhard, CSU-Fraktionschef im Kreistag, erkennen. Einen "Moderator" nennt er Scherf. Der sagt von sich, dass er wenig so arg fürchte, wie hohle Symbolpolitik. Rückbau von Landkreisstraßen? Unsinn.

Aber für Sozialarbeit an Berufsschulen, ökologische Gebäude, Elektromobilität, dafür sei er angetreten, dafür brenne er. Und ja, sagt er: "Es läuft richtig gut." Nicht mal im Kreistag gibt es Ärger, trotz Fünf-Parteien-Bündnis gegen die CSU. Manchmal, sagt er, "muss ich mich schon noch zwicken". Immerhin war die Wunde tief, die er der CSU geschlagen hat. Auch in Miesbach versucht Rzehak in seinem ersten Jahr, als neutraler Lenker aufzutreten: "Es geht mir nicht darum, hier mein grünes Programm abzuarbeiten, es geht mir um den Landkreis." Dabei spürt er nun zunehmend, dass er als Grüner unter besonderer Beobachtung steht. Der SPD-Umwelt-Experte im Landtag, Florian von Brunn, ist mit ihm aneinandergeraten, weil Rzehak in seinen Augen einen Umweltskandal beim Bau von Forstwegen abmoderiert. "Man merkt nicht, dass er ein Grüner ist. Da wird lupenreine CSU-Politik gemacht", sagt Brunn.

Die Schwarzen im Landkreis dagegen finden, dass Rzehak jenseits reiner Sachentscheidungen zu wenig Politik mache. "Wir sehen nicht, dass er für Themen brennt, dass er Impulse setzt, die Bürgermeister für seine Ideen begeistert", sagt CSU-Mann Bierschneider. "Er hat ein anderes Amtsverständnis, er sieht sich mehr als Verwalter des Landratsamtes." In dieselbe Kerbe versucht die CSU auch in Miltenberg zu schlagen. "Immer nur moderieren", sagt Jürgen Reinhard, "das wird auf Dauer nicht gehen". Scherf amüsiert das eher.

Das etwas andere Amtsverständnis lässt Rzehak sich gerne nachsagen. Bei 120 Millionen Euro Schulden, mit denen er den Kreis übernommen habe, hätte sein Vorgänger ruhig ein bisschen mehr verwalten sollen, findet er. Und dass sich mancher Bürgermeister an seinen Stil erst gewöhnen muss, nimmt er auf sich. "Gewisse Strukturen gibt es bei mir nicht mehr", sagt Rzehak. Mehr will er nicht erklären, die Botschaft ist auch so klar: Der schnelle Anruf beim Landrat für die schnelle Erledigung eines Problems gehört der Vergangenheit an. "Ich entscheide nach Recht und Gesetz. Und nach sonst gar nichts."

Dass das manchen aus den Reihen der Grünen stört, nimmt Rzehak in Kauf. "Da sind einige enttäuscht, weil sie dachten, sie hätten nun einen Mann im Amt, der all ihre Anliegen sofort durchsetzt." Fühlt er sich zu Unrecht angegriffen, kann sich Rzehak durchaus wehren. Natürlich habe er sich für Umwelt-Themen eingesetzt, im Bauamt gebe es nun eine Naturschutzabteilung. Das Credo laute: "Im Zweifel für die Umwelt." Andererseits macht Rzehak wie seine CSU-Kollegen deutlich, dass die Kommunen mit der Zahl der Asylbewerber, die sie unterbringen sollen, überfordert seien. Solche Wahrheiten will er seiner Partei zumuten: "Nicht die Ideologen gewinnen Wahlen, sondern die Brückenbauer." Der Satz könnte von Scherf stammen. Seine Bewerbung als Landrat hatte bei den Grünen, so wirkte es, weniger Euphorie ausgelöst als bei der SPD. Der bekennende Pragmatiker Scherf holte im Wahlkampf noch die ÖDP ins Boot, im Kreistag inzwischen auch die Freien Wähler und die FDP. Für eine Mehrheit jenseits der CSU reicht das. Auch im tiefschwarzen Miltenberg.

© SZ vom 10.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: