Eichstätt:Als die Männer in den weißen Kitteln kamen

Der Leiter des Eichstätter Gesundheitsamtes soll eine renitente Mitarbeiterin in die Psychiatrie eingewiesen haben - er weist die Vorwürfe zurück.

Stefan Mayr

Wenn Gertraud Brummer geht, muss sie sich stets irgendwo festhalten, um nicht umzufallen. "Das sieht aus, als wäre ich betrunken", sagt die Sozialpädagogin, "aber es liegt daran, dass mein Gleichgewichtsorgan geschädigt ist."

Eichstätt: Gertraud Brummer landete nach einem heftigen Streit mit ihrem Chef in der Psychiatrie.

Gertraud Brummer landete nach einem heftigen Streit mit ihrem Chef in der Psychiatrie.

(Foto: Foto: Ritchie Herbert)

Seit Anfang März leidet sie unter diesen Problemen, begleitet von Schwindelanfällen, teilweiser Gesichtslähmung und Schluckbeschwerden. Bis heute ist sie krankgeschrieben, zeitweise kann sie sich nur mit einem Rollator fortbewegen. Geistig ist die 54 Jahre alte Eichstätterin allerdings topfit, sie spricht pointiert und rhetorisch ausgefeilt.

Wenn sie aber erzählt, was ihr am 31. März 2008 widerfahren ist, gerät sie ins Stocken. Sie schließt die Augen, schüttelt langsam den Kopf und sagt: "Das war so demütigend."

"Ich habe ihn provoziert"

An diesem Montagnachmittag kam Gertraud Brummer ins Gesundheitsamt, um eine neue Krankmeldung abzugeben. Zuvor hatte sie 15 Blumengestecke und Engelsfiguren gekauft, die sie ihren Kolleginnen schenken wollte. Im Vorzimmer des Amtsleiters kam es zum Eklat, über dessen Verlauf es zwei Versionen gibt.

"Der Herr M. kam dazu, und es entwickelte sich schnell ein Streitgespräch", sagt Gertraud Brummer. Sie räumt ein: "Ich habe ihn provoziert." Daraufhin habe er sie zu einem Gespräch in sein Zimmer gebeten. Sie weigerte sich.

"Ich wollte vor lauter Aufregung rauchen, deshalb bin ich zum Fenster gegangen", so Brummer. Daraufhin habe ihr Chef mit seinem inzwischen ebenfalls anwesenden Stellvertreter kurz gesprochen. "Da habe ich gemerkt, jetzt passiert etwas." Sie bekam Angst und wollte telefonieren. "Doktor M. hat mir den Hörer aus der Hand gerissen", erzählt Brummer.

Das Geschehen eskalierte. "Die zwei Männer haben mich an den Oberarmen und Unterarmen festgehalten, ich habe versucht, mich verbal zu wehren", sagt Gertraud Brummer. Sie verweist auf ein ärztliches Attest, das Hämatome feststellt.

Wenig später erschienen zwei Sanitäter, ein Notarzt und zwei Polizisten. "Die wurden gerufen, um mich in die Psychiatrie zu bringen", ist Brummer überzeugt. Die Polizisten fragten, ob sie freiwillig mitkomme. "Ich habe gesagt: Nö, ich spinne doch nicht." Dann geschah etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte - und was sie bis heute belastet: Ein Polizist griff nach ihren Armen, bugsierte sie hinter den Rücken und legte ihr Handschellen an. "Ich habe gerufen, das tut weh, machen's das weg", so Brummer. "Die Antwort lautete, das ist doch mir wurscht."

Gertraud Brummer wurde in die psychiatrische Abteilung des Klinikums Ingolstadt gebracht. Dort angekommen, wurde sie zunächst ans Bett fixiert. "Das war extrem erniedrigend", sagt Brummer - und kämpft einmal mehr gegen die Tränen. Die Ärzte sprachen mit ihr etwa eine Dreiviertelstunde lang.

"Da wurde mir erstmals zugehört", berichtet Brummer. Eine Stunde später konnte sie das Krankenhaus verlassen. Im Entlasszettel wurde festgehalten, dass keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung bestand.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was der Amtsleiter zu diesen Vorwürfen sagt.

Als die Männer in den weißen Kitteln kamen

Der Leiter des Gesundheitsamtes, Roland M., weist die Vorwürfe als "unberechtigt" zurück: "Ich wollte nur helfen und musste aus ärztlicher Pflicht etwas tun", sagt Ronald M. "Sie rannte zu dem Fenster und machte es auf", berichtet er, "da konnte ich nicht ausschließen, dass sie rausspringt, also habe ich den Notarzt gerufen." Dieser habe dann entschieden, die Frau in die Klinik bringen zu lassen. M. beteuert, nicht er habe die Polizei gerufen, sondern ein Sanitäter.

Des Weiteren habe er sie "auf keinen Fall" an den Oberarmen festgehalten. Außerdem habe Gertraud Brummer ihn "mit Wörtern aus der Fäkalsprache" schwer beleidigt, dennoch habe er von Disziplinarmaßnahmen bislang abgesehen. Gertraud Brummers Anwältin Anita Rupprecht bezeichnet es als "sehr befremdlich, wenn ein Vorgesetzter einer Mitarbeiterin mit Rollator unterstellt, dass sie aus dem Fenster springen will - noch dazu im ersten Stock".

Der Konflikt zwischen Gertraud Brummer und ihrem Chef muss sich jahrelang aufgebaut haben. Sie ist seit 30 Jahren im öffentlichen Dienst tätig, seit 1987 in der Schwangerenberatung am Gesundheitsamt Eichstätt. Vor dem März 2008 war die Beamtin im gehobenen Dienst nie lange krank, sondern als engagierte Beraterin bekannt, die sich auch aktiv für ihre Belange einsetzte.

Sie war Mitbegründerin des "Verbandes der Sozialpädagoginnen und -pädagogen an bayerischen Gesundheitsämtern", bei dem sie sich als zweite Vorsitzende einbringt. Dabei kam es zu einem jahrelangen Kampf mit dem Leiter des Gesundheitsamtes, Ronald M. Sie forderte eine Vollzeit-Verwaltungskraft, er bewilligte nur eine 13-Stunden-Kraft. "Es gab schon massive Konflikte, aber immer nur dienstlicher Natur", sagt Gertraud Brummer. An jenem 31. März 2008 eskalierte der Streit.

Ein Ermittlungsverfahren läuft

Seit diesem Tag leide sie unter Panikattacken und Angstzuständen, sagt Gertraud Brummer. Sie reichte gegen ihren Vorgesetzten eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein, diese wurde von der Regierung von Oberbayern abgewiesen. Daraufhin stellte Brummer Strafanzeige gegen beide Vorgesetzte. Brummer: "Ich will Gerechtigkeit und dass sie sich bei mir entschuldigen."

In einem Gutachten des vom Landgericht Ingolstadt beauftragten Arztes steht: "Selbst wenn zum damaligen Zeitpunkt eine hypomanische Stimmungslage bestanden hätte, so war zu keinem Zeitpunkt die rechtliche Grundlage für eine derartige Maßnahme, nämlich Selbst- bzw. Fremdgefährdung, erfüllt."

Das Ermittlungsverfahren wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung läuft. Die Staatsanwaltschaft muss klären, wie und von wem die Einweisung in die Psychiatrie angeordnet wurde. Der Leiter des Gesundheitsamtes war vorübergehend krankgeschrieben, inzwischen sind beide Mediziner wieder im Dienst.

Nach Angaben von Gertraud Brummer wurde ihr inzwischen eine Stelle im Gesundheitsamt Ebersberg angeboten, außerdem wird ihr Büro derzeit in ihrer Abwesenheit verlegt. "Die wollen mir ein Kabuff geben und mich strafversetzen", sagt sie, "aber da mache ich nicht mit." Ronald M. betont, dass von den derzeitigen Umbaumaßnahmen alle Büros betroffen seien, da eine neue Abteilung ins Gesundheitsamt komme.

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