Bergsteiger-Drama in den Allgäuer Alpen:Sohn rettet Vater in letzter Minute

Eine Szene wie aus einem melodramatischen Bergfilm: Fünf Tage lang sucht die Polizei mit Spürhunden und Hubschraubern nach einem Wanderer - vergeblich. Doch dann reist sein Sohn an, steigt aus dem Auto aus - und entdeckt den Schwerverletzten nach wenigen Augenblicken. Jetzt sind die Suchtrupps in Erklärungsnot.

Stefan Mayr

Wenn ein erfahrener Polizeihauptkommissar, der wirklich einiges erlebt hat, von einem Wunder spricht, dann muss etwas Besonderes vorgefallen sein. Tatsächlich klingt das, was sich dieser Tage in den Oberallgäuer Alpen abgespielt hat, wie eine Szene aus einem melodramatischen Bergfilm.

Bergsteiger-Drama in den Allgäuer Alpen: Der 55-jährige Lothar Bücher gilt als sehr bergerfahren.

Der 55-jährige Lothar Bücher gilt als sehr bergerfahren.

(Foto: privat)

Am Freitagmorgen war der 55 Jahre alte Lothar Bücher aus dem Schwarzwald zu einer Bergwanderung auf die 2259 Meter hohe Höfats aufgebrochen und kehrte nicht zurück. Der Mann ist Sportler und sehr bergerfahren. Die Gastwirtin seiner Pension machte sich Sorgen und rief die Polizei. Die Beamten suchten fünf Tage lang mit Hunden und Hubschraubern nach dem Mann - vergeblich.

Dann reiste der Sohn des Vermissten am Mittwoch an und machte sich selbst auf die Suche nach seinem Vater. Der 29-Jährige war noch nicht einmal aus dem Auto ausgestiegen, da entdeckte er schon seinen Vater in einer Steilwand - schwer verletzt, aber lebend.

Friedrich Hummel ist Polizeihauptkommissar und Chef der Polizeiinspektion Oberstdorf. Noch immer fassungslos, fasst er das Geschehen zusammen: "Es grenzt an ein kleines Wunder. Das Gebiet wurde an mehreren Tagen mit dem Hubschrauber abgeflogen, es waren Hundeführer, die Bergwacht und Alpinbeamte zu Fuß an der Suche beteiligt", so Hummel, "und dann entdeckt der eigene Sohn den Vater, während er sich einen Gesamteindruck von dem Berg machen will."

Fünf Tage lang hatten die Einsatzkräfte nach dem Mann gesucht - wie intensiv, das wird allerdings noch zu klären sein. Nach einer so langen Zeit schwindet die Hoffnung, dass ein Vermisster in den Bergen noch lebend gefunden werden kann.

Doch der Sohn glaubte offenbar fest daran, dass sein Vater noch lebte. Er traf am Mittwochnachmittag mit einem Freund in Oberstdorf ein. Der Sachbearbeiter der Polizei fuhr mit den beiden in das Gelände, um ihnen zu zeigen, wo die Polizei gesucht hatte.

Dabei geschah das Unfassbare: Schon bei der Anfahrt in Richtung Dietersbacher Alp rief der Sohn plötzlich: "Da drüben liegt doch einer!" Er hatte aus dem Autofenster heraus etwa 40 Meter oberhalb des Fahrwegs in einem bewaldeten Gelände eine menschliche Gestalt erblickt.

"Man soll vermisste Personen nie aufgeben"

Der Polizist, ein langjähriges Mitglied der Alpinen Einsatzgruppe, kletterte sofort die steile Bergwand hoch. Er fand den Vermissten - schwer verletzt, aber bei Bewusstsein. Nach Angaben eines Polizeisprechers war der Mann "dehydriert und orientierungslos", seinen Sohn habe er nicht mehr erkannt. Bis zum Eintreffen des Notarztes versorgten ihn Sohn und Helfer mit Wasser. Der Rettungshubschrauber flog den Mann schließlich in ein Krankenhaus.

Die Polizei räumt ein, dass das Gelände, in dem der Mann aufgefunden wurde, vorher durchsucht worden war. Warum die Suchtrupps dennoch nicht fündig wurden, obwohl der Vermisste ein auffälliges weißblaues Fahrradtrikot trug, kann sich die Polizei bislang nicht erklären. "Wir stellen uns diese Frage selbst", sagt ein Polizeisprecher. "Der Mann wurde ohne Rucksack und Schuhe gefunden, offenbar war er bis zuletzt mobil."

Bei einer Suche im alpinen Gebiet sei ein engmaschiger Einsatz einer Hundertschaft mit Suchstöcken nicht möglich, heißt es. Vielmehr konzentriere man sich auf jene Stellen, an denen abgestürzte Personen wahrscheinlich zum Liegen kommen. Auch der Hubschrauber könne nur begrenzt helfen, wenn ein Vermisster im Wald liegt. "Dieser besondere Einsatz ist der Beweis dafür, dass man vermisste Personen nie aufgeben soll", so der Sprecher.

Nach Angaben der Polizei kamen bei der "großflächigen" Suche Kräfte der Bergwacht Oberstdorf sowie Beamte der Alpinen Einsatzgruppe des Polizeipräsidiums Kempten zum Einsatz. Unterstützt wurden sie durch Spürhunde.

Doch das Einzige, was die Hilfskräfte fanden, war Büchers Fahrrad im Ort Gerstruben. Zuletzt war er am Freitagvormittag von einem Hirten der Gerstrubener Alpe gesehen worden. Bücher hatte den Einheimischen nach dem Weg durch die "Gufel" auf die Höfats gefragt.

Lothar Bücher stammt aus dem Schwarzwald, er ist durchtrainiert und sportlich, nahm mehrmals an Marathonläufen sowie an einem Ultramarathon teil, wie sein Sohn der Polizei berichtete. Diese körperliche Fitness hat ihm womöglich das Leben gerettet. Weil der Mann mehrere Knochenbrüche erlitten hat, geht die Polizei davon aus, dass er "mindestens einmal" im Berg abgestürzt ist.

Ob die Geschichte ein glückliches Ende nehmen wird, ist allerdings fraglich: Am Donnerstag musste Lothar Bücher mehrmals operiert werden. Nach Angaben der Ärzte besteht Lebensgefahr.

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