Dorfplatz von Pemfling:Das Loch in der Mitte

Die Wände nass und schimmlig, keiner will drin leben - und doch geht ein Aufschrei durchs Dorf: Das alte Wirtshaus von Pemfling soll abgerissen werden. Das Gebäude ist ein Paradebeispiel für das Versagen des Denkmalschutzes.

Hans Kratzer

Der Dorfplatz von Pemfling wirkt so romantisch, dass man sich gar nicht sattsehen kann. Dorfweiher, Kapelle, Maibaum, Wirtshaus und Zwiebelturm ergeben ein Panoptikum, wie es Ludwig Thoma vermutlich bei der Abfassung seiner heiteren Sommergeschichte Altaich vor Augen hatte.

Dorfplatz von Pemfling: So hat ein Dorfplatz in Bayern auszusehen: Kirche, Wirtshaus, Zwiebelturm. Doch bald wird ein wichtiger Bestandteil dieses Bildes fehlen - und zwar das verfallene Wirtshaus gegenüber der Kirche.

So hat ein Dorfplatz in Bayern auszusehen: Kirche, Wirtshaus, Zwiebelturm. Doch bald wird ein wichtiger Bestandteil dieses Bildes fehlen - und zwar das verfallene Wirtshaus gegenüber der Kirche.

(Foto: bildextern)

Hier, sieben Kilometer hinter der Kreisstadt Cham, mischt sich an diesem Montag allerdings eine Dissonanz unter das Gezwitscher der Singvögel. Mitten im Dorf quietscht ein Kran, er steht vor dem alten Zehentstadel, aus dessen Fenstern Bretter auf das Granitpflaster hinuntergeworfen werden. Der Kranführer hievt sie mit den Greiferzähnen in einen Container.

Das Gebäude wird seit dem frühen Morgen für den Abriss vorbereitet, zuerst werden die Fußböden herausgerissen, in wenigen Tagen soll der ganze Bau fallen. Das wird ein Spektakel werden. Denn es ist ein mächtiger Riegel mit meterdicken Mauern und Gewölben, er prägt den Dorfplatz seit Jahrhunderten. Der Zehentstadel ist das älteste Gebäude im Dorf, das Gemäuer stammt noch aus dem Mittelalter. Der Abriss dieses Baudenkmals verursachte sogar in München einen Aufschrei. Der Landeskonservator Egon Johannes Greipl ist fassungslos. "Das Ortsbild wird irreparabel beschädigt. Es ist, als würde man einem Menschen die Schneidezähne ausschlagen."

Außer den Arbeitern lässt sich in Pemfling niemand blicken. Bis ein paar Bauern ihre Container vorbeischieben und gegenüber dem alten Zehentstadel auf das Milchauto warten. Der Kranführer gibt sich wortkarg, "fragen 's doch den da drüben." Tatsächlich ist einer der Milchlieferanten der Besitzer des Zehentstadels, der bis zum Mai noch als Wirtshaus diente. Die neben ihm stehende Frau sagt zu ihm: "He Konrad, heut' lässt du es aber krachen." Er entgegnet, ohne mit einer Miene zu zucken: "Ja, ja, ich lass es krachen. Andere lassen es rauchen. Die brennen ihr altes Zeug einfach nieder, die tun nicht lange herum."

Fast zwei Jahrzehnte hat Konrad Maier darum gestritten, das Gebäude abreißen zu dürfen. Deshalb ist dieser Montag für ihn ein Freudentag. Er will für sich und seine Familie ein neues Heim errichten, auch wenn Pemfling damit ein herausragendes Denkmal verliert. Bis zuletzt hatte das Landesamt für Denkmalpflege alles versucht, um das Gebäude zu retten.

Doch Maier hat sich durchgesetzt.

Konrad Maier ist von der Richtigkeit seines Tuns fest überzeugt: "Ich werde etwas Neues hinbauen, was dem Ort Pemfling gewiss nicht schaden wird." Aber der Zehentstadel war doch das Aushängeschild von Pemfling! "Und wir haben da drin wohnen müssen", wirft er ein. "Das war doch eine Belastung für uns. Man braucht dem Haus wahrlich nicht nachweinen. Die Wände sind nass, der Schimmel ist drin und eine Heizung gab es auch nicht. Hocken Sie sich mal im Winter dort hinein. Wenn Sie kleine Kinder haben, die erfrieren Ihnen."

Das Ringen um den Erhalt des Pemflinger Zehentstadels offenbart idealtypisch, in welchem Dilemma sich der Denkmalschutz in Bayern befindet. 120.000 Denkmäler sind im Land gemeldet, 65 Prozent von ihnen sind aber in privater Hand. Die Politiker beschwören zwar unentwegt, wie wichtig die Denkmäler für die Identität des Freistaats seien, gleichzeitig aber haben sie in den vergangenen 20 Jahren die Denkmalpflege totgespart. Die Fördermittel reichen hinten und vorne nicht, die wenigsten Denkmalbesitzer können eine Sanierung aus Eigenmitteln stemmen.

Vom diktatorischen Verhalten der Denkmalpfleger

"Pemfling ist ein Paradebeispiel für das Versagen des Systems Denkmalschutz", sagt sogar Landeskonservator Greipl. Einen Ausweg scheint es nicht mehr zu geben. Seit dem Wegfall des sogenannten Dissensverfahrens müssen die Denkmalpfleger bei Abrissvorhaben nicht mehr angehört werden. Hat der zuständige Landrat erst einmal unterschrieben, dann dürfen auch denkmalgeschützte Gebäude jederzeit abgerissen werden. Vor zwei Jahren hatte der damalige Chamer Landrat Theo Zellner der Familie Maier diese Unterschrift erteilt. Schweren Herzens, wie er damals sagte, aber eine andere Lösung habe es nicht mehr gegeben.

Landeskonservator Greipl hatte dennoch bis zuletzt für den Erhalt des Zehentstadels gekämpft. "Eine denkmalgerechte Instandsetzung und Nutzung wäre ohne jeden Zweifel möglich gewesen", sagt er. 2008 habe das Landesamt für Denkmalpflege noch eine Instandsetzungsplanung finanziert. "Dieser Vorschlag war doch unter aller Sau", erwidert dagegen Maier. Er ließ selber ein Gutachten anfertigen, "von einem unabhängigen Sachverständigen", und da seien Kosten von 3,8 Millionen Euro, nach oben offen, herausgekommen. "Das einzig Vernünftige ist der Abriss."

Eine Aussage wie diese tut dem Chamer Kreisheimatpfleger Hans Wrba in der Seele weh: "Es ist doch so viel Geschichte in dem Haus." Historiker sehen in dem zum ehemaligen Edelsitz in Pemfling gehörenden Wohngebäude ein herausragendes Zeugnis für Bauformen, Verwaltungs- und Sozialstrukturen in der Oberpfalz seit dem 15. Jahrhundert. Stuckdecken und wunderbar verzierte Türen zeugen vom gehobenen Status der einstigen Bewohner.Trotzdem findet sich im Dorf kaum jemand, der den Abriss bedauern würde.

Eine Wurfweite entfernt ist das Rathaus, in dem Bürgermeister Franz Haberl erklärt, warum der Gemeinderat zweimal einstimmig für den Fall des Zehentstadels gestimmt hat. "Die Denkmalpfleger haben nicht erkannt, dass in diesem Gebäude eine Familie unter absolut unzumutbaren Bedingungen leben musste." Theo Zellner habe dies gesehen und deshalb nach dem Grundsatz Mensch vor Gebäude entschieden. Nie seien den Besitzern finanzierbare Alternativen für ein zeitgemäßes Wohnen aufgezeigt worden.

Kreisheimatpfleger Wrba will nicht ausschließen, dass man vor 20 Jahren "vielleicht noch zu harsch mit Denkmalbesitzern umgegangen ist". Die Familie Maier sei jedenfalls nie mehr auf irgendein Angebot eingegangen.

Konrad Maier wirft den Denkmalpflegern sogar diktatorisches Verhalten vor: "Die bestimmen immer nur, was ich machen muss, und ich muss es bezahlen, mag es noch so sinnlos sein. Das ist doch ein Narrenstück." Maier hält es zwar für sinnvoll, Schlösser und Burgen zu erhalten, "aber doch nicht solche Schadgebäude wie meines. Ich wohne auch lieber in einem Haus, das hell ist und in dem es nicht muffelt."

Heimatpfleger Hans Wrba macht sich keine Illusionen mehr. "Zu viele Menschen haben keine Beziehung mehr zu ihrer Geschichte und zu ihrer Heimat." Und so fragt er sich resigniert: "Was wird unsere Tourismus-Region in Zukunft noch alles bieten können außer zersiedelte Landschaft, gespickt mit Toskana-Häusern und Industriegebieten?" Landeskonservator Greipl befürchtet, dass der Fall Pemfling eine fatale Signalwirkung für den ohnehin schon dramatisch geschwundenen Denkmalbestand im ländlichen Raum haben könnte. Und Konrad Maier, der von seiner Frau zum Essen gerufen wird, sagt zum Reporter: "Schreiben's ned zu schlecht über mich."

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