Kirche:Gewaltvorwürfe gegen katholisches Kinderheim in Donauwörth

Kirche: Im ehemaligen Kloster Heilig Kreuz in Donauwörth war von 1916 bis 1977 ein Kinderheim untergebracht. Schutz fanden die Kinder dort offenbar nicht.

Im ehemaligen Kloster Heilig Kreuz in Donauwörth war von 1916 bis 1977 ein Kinderheim untergebracht. Schutz fanden die Kinder dort offenbar nicht.

(Foto: imago)
  • In einem früheren Kinderheim der katholischen Kirche in Donauwörth soll es Misshandlungen gegeben haben.
  • Obwohl das Bistum einigen Betroffenen bereits 2011 eine Entschädigung zahlte, kommen die Vorwürfe erst jetzt an die Öffentlichkeit.
  • Die Methoden, von denen die Opfer berichten, erinnern an die Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen.

Von Andreas Glas und Johann Osel

Die katholische Kirche ist erneut mit Fällen von brutalen Erziehungsmethoden und Misshandlungen in einem früheren Kinderheim konfrontiert. In Donauwörth, im ehemaligen Kloster Heilig Kreuz, soll es in den Sechziger- und Siebzigerjahren zu willkürlichen Bestrafungen und Gewalt gekommen sein. Zwei Schwestern, die 1965 mit drei Geschwistern in das Heim kamen, berichten von wahllosem Sadismus - "aus dem Beichtstuhl raus und gleich auf den Stuhl und mit dem Rohrstock auf das nackte Hinterteil", sagt eine Betroffene. Zudem soll es sexuelle Übergriffe durch ältere Burschen im Heim gegeben haben. Der Bayerische Rundfunk hat das Martyrium der Frauen am Mittwoch an die Öffentlichkeit gebracht. Nur 24 Stunden später haben sich bereits zwei weitere Betroffene beim Bistum Augsburg gemeldet.

Die Vorfälle bringen das Bistum in Erklärungsnot. Zwar erfuhr es bereits im März 2011 von den Vorwürfen der Schwestern, befand diese für glaubwürdig und zahlte ihnen nur einen Monat später eine Entschädigung. Doch die Öffentlichkeit informierte das Bistum sieben Jahre lang nicht. Auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung teilt das Bistum mit, dass in dieser Zeit sogar ein drittes Opfer eine Entschädigung erhielt. Hoffte man, dass die Vorfälle keine Wellen schlagen? Dass sich mögliche weitere Opfer nicht zu Forderungen ermuntert fühlen? Solche Vorwürfe hatte es auch in Regensburg gegeben, wo die Aufklärung des Missbrauchs und der Misshandlungen bei den Domspatzen zunächst zögerlich verlief - und erst Fahrt aufnahm, nachdem sich Opfer an die Medien wandten.

Dass das Bistum sieben Jahre lang stillhielt, rechtfertigt ein Sprecher damit, dass einer der drei entschädigten Betroffenen gebeten habe, "der Öffentlichkeit keine Angaben zu den Zahlungen zu machen. Der Opferschutz und die Persönlichkeitsrechte haben deshalb eine Aufarbeitung dieser Fälle erschwert". Kam dem Bistum nicht in den Sinn, dass es weitere Opfer gegeben haben könnte? Immerhin dürften zwischen 1916 und 1977, als das Heim bestand, Hunderte Kinder dort gewohnt haben. Dass die Kirche die Zahlungen geheim hielt und mit dem Argument "Opferschutz" argumentiert, klingt auch deshalb fragwürdig, weil die Schwestern im BR-Bericht betonen, dass die Misshandlungen endlich an die Öffentlichkeit kommen müssten.

Eigentlich zum Schutz vor ihrem prügelnden Vater waren die Schwestern aus ihrer Familie genommen worden. Im Heim aber erwartete sie offenbar das Gegenteil von Schutz. Damals war körperliche Züchtigung erlaubt; erst 1980 schaffte der Landtag die Prügelstrafe offiziell ab. Allerdings, so die Schwestern, habe die Gewalt im Heim auch damals übliche Erziehungsmethoden "weit überstiegen". Schläge ins Gesicht, bis die Lippe platzte; Zwang, Erbrochenes aufzuessen; stundenlanges nächtliches Knien auf Bügeln; und immer wieder Prügel. Zentrale Figur der Anschuldigungen ist der Pfarrer Max Auer. Er war der Enkel des Lehrers und Verlegers Ludwig Auer, der 1914 gestorben war und die Pädagogische Stiftung Cassianeum, die spätere Heimbetreiberin, hinterließ. Heute trägt diese etwa einen Kindergarten und finanziert religionspädagogische Forschung.

Hört man den Frauen zu, erkennt man weitere Parallelen zum Missbrauch bei den Domspatzen. Freilich stehen 547 Opfern in Regensburg bislang wenige Fälle in Donauwörth gegenüber - doch manche Erziehungsmethoden gleichen sich, erinnern an Foltermethoden. Ein Frau berichtet, sie sei einen Tag lang in einen dunklen Keller gesperrt worden. Ein Hausmeister, der sie schreien hörte, habe sie nicht befreit, sondern mit einem Wasserschlauch bespritzt und im Keller sitzenlassen. Auch in Regensburg berichtete ein Zögling, er habe "stundenlang barfuß und nur in Unterhose bekleidet im dunklen Waschsaal stehen" müssen.

Außerdem, sagen die Frauen, sei es nachts in Donauwörth verboten gewesen, auf die Toilette zu gehen. Wer ins Bett machte, sei - wie in Regensburg - bestraft worden. Als die Erzieherin das feuchte Bett gesehen habe, "gab es zwei Tage nichts zu trinken", sagt eine der Frauen. Regeln wurden offenbar aufgestellt, um weitere Bestrafungen erst möglich zu machen. Nach außen - auch eine Parallele zu Regensburg - war die Heimleitung offenbar bemüht, die Gewalt zu verbergen. Wenn der Bischof Josef Stimpfle zu Besuch kam, sei eine heile Welt inszeniert worden. "Wir waren aufgeputzt, es wurde gesungen."

Die Fälle sind strafrechtlich verjährt

Als sich die beiden Frauen 2011 beim Bistum und der Stiftung Cassianeum meldeten, hatte die Kirche gerade begonnen, auf Fälle von Misshandlungen in ihren Einrichtungen zu reagieren. 2010 war etwa eine Telefon-Hotline vorgestellt worden. Damit wollte man sich "den Erwartungen ehemaliger Heimkinder stellen und sie bei der Aufarbeitung ihrer Lebensgeschichten nach Kräften unterstützen", hieß es in einer Mitteilung der Bischofskonferenz. Die Kirche beteiligte sich am Fonds Heimerziehung. Den Kontakt zur Donauwörther Stiftung haben laut BR auch die Schwestern gesucht - und wurden zunächst abgewiesen.

Nach dem Bericht teilte Peter Kosak vom Stiftungsvorstand mit: "Was die von körperlichen und seelischen Misshandlungen betroffenen Frauen geschildert haben, hat mich zutiefst bewegt und auch beschämt." Er selbst sei seit Kurzem im Amt - dass die Stiftung überhaupt ein Kinderheim betrieben hat, sei ihm erst durch die Medienanfrage bekannt geworden. Von der Stiftung 2011 angebotene Gespräche seien nicht zustande gekommen. Gleichwohl hätten sich die Frauen an den diözesanen Missbrauchsbeauftragten gewandt.

Die Fälle sind strafrechtlich verjährt. Die Schwestern, 58 und 60 Jahre alt, leiden unter postraumatischen Belastungsstörungen. Ihr Wunsch: Die Sache soll bekannt werden, es sei "traurig, dass diese Zeit so ausradiert ist". Weder im Cassianeum noch im Stadtarchiv fände sich Material zum Heim, so Kosak. Er kündigte an, den Bistumshistoriker zu beauftragen - Betroffene, Ex-Heimbewohner und Zeitzeugen sollen sich melden. Die Stiftung erhoffe sich eine gründliche Aufarbeitung und Dokumentation der Zusammenhänge - diese würden dann entsprechend veröffentlicht.

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