Dominik Schirmer:Kampf um Patientenrechte

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Dominik Schirmer wechselt von Verdi zur AOK Bayern. Er ist in der Sozial- und Gesundheitsbranche kein Unbekannter. (Foto: privat)

AOK Bayern holt sich den Gewerkschafter als Verstärkung ins Haus

Von Dietrich Mittler, München

In rund 3500 Gesprächen hat die AOK Bayern im Jahr 2015 Patienten beraten, die wegen des Verdachts auf Behandlungsfehler bei ihr Hilfe suchten. Dabei ging es vielfach um Fehldiagnosen, den Verdacht, die falschen Medikamente bekommen zu haben - bis hin zu missglückten Operationen. Nun hat sich die AOK, mit mehr als vier Millionen Mitgliedern die größte Krankenkasse Bayerns, im Ringen um Patientenrechte als Verstärkung einen Gewerkschafter ins Haus geholt. Er hat Erfahrung in harten Auseinandersetzungen: Dominik Schirmer ist in der Sozial- und Gesundheitsbranche kein Unbekannter. Viele Jahre lang stritt er bei der Gewerkschaft Verdi für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen - sei es in Kindergärten, Krankenhäusern, Altenheimen oder auch im Rettungsdienst.

Schirmer ist nun bei der AOK zuständig für jene, deren Leben durch Behandlungsfehler eine Wende ins Tragische genommen hat. Außerdem soll er in Zukunft gegen korrupte Ärzte vorgehen. Als Tarifverhandlungsführer bei Verdi - Fachbereich Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen - musste Schirmer in den zurückliegenden Jahren oft kämpfen. Gut zehn Wochen ist er nun auf dem neuen Posten als AOK-Bereichsleiter Grundsatz und Verbraucherschutz. Er habe bereits einige harte Fälle vorgelegt bekommen, in denen Patienten nach mutmaßlichen Behandlungsfehlern um einen finanziellen Ausgleich für ihre Leiden kämpfen. "Und ich hatte bereits mit Versicherungen zu tun, die versuchten, das alles abzuwiegeln", sagt der 49-Jährige.

Obwohl Schirmer harte Auseinandersetzungen durchaus schätzt, wenn sie fair verlaufen, macht ihn eines betroffen: "Diese Beteiligungslosigkeit, die einem da begegnet nach dem Motto ,Das kann doch mal passieren'." Inzwischen erlebe er nun mit, was es heißt, wenn Patienten den Ärzten einen Behandlungsfehler erst einmal nachweisen müssen. "Das ist eine Zumutung", sagt er. Es müsse also darum gehen, "systemisch etwas zu verändern".

Schirmer ist im Spessart aufgewachsen, als uneheliches Kind in einem stockkatholischen Dorf. Vom Pfarrer sei er anfangs "sträflichst ignoriert " worden - noch dazu als Evangelischer, der als Gast im katholischen Religionsunterricht unter der Bank Micky-Maus-Hefte las. Mit 14 Jahren ging Schirmer mit dem Quali von der Schule ab, unterschrieb seinen Ausbildungsvertrag als Einzelhandelskaufmann im Büro- und Schreibwarenhandel, und sofort danach trug er sich im Aschaffenburger Gewerkschaftsbüro als Mitglied ein.

Im Zivildienst kam er beim Arbeiter-Samariterbund mit der Pflege in Berührung, machte die Rettungsausbildung. Mit dem auf dem zweiten Bildungsweg erworbenen Fachabitur kam ihm das sehr zugute, um sein erstes Studium als Sozialarbeiter zu finanzieren. Er fuhr im Rettungsdienst mit, acht Jahre allein beim Bayerischen Roten Kreuz. Daneben jobbte er auch noch als Taxifahrer. Es folgte das Soziologiestudium, dann seine Zeit als wissenschaftlicher Angestellter im neu gegründeten Institut für Pflegewissenschaft in Bielefeld.

"Das alles hat mir bei den Tarifverhandlungen geholfen", sagt Schirmer. Als 1998 aus München das Angebot der damaligen Einzelgewerkschaft ÖTV kam, war Schirmer zur Stelle. Die ÖTV ging 2001 in der Gewerkschaft Verdi auf. Und Schirmer unternahm größere und kleinere Feldzüge: Er kämpfte für ein moderneres Tarifsystem an Privatkliniken und für das Bündnis zum Wert der sozialen Arbeit in Bayern, in das er so unterschiedliche Organisationen wie die Arbeiterwohlfahrt oder die Caritas zusammenbringen konnte. "Alle an einen Tisch zu holen, das war oft schon ein Kraftakt", sagt er. Dann die bundesweiten Krankenhausproteste, bei denen Ärzte, Schwestern und technisches Personal gemeinsam auf die Straße gingen, um für die bessere finanzielle Ausstattung der Häuser zu kämpfen - auch daran war Schirmer beteiligt, knüpfte fleißig Netze, verhandelte freundlich, aber zäh.

Wenn er aus dieser Zeit erzählt, ist er wieder ganz Gewerkschafter. Aber er wollte den Schnitt. Dass der kam, liegt zum einen auch daran, dass sich der IG-Metaller Matthias Jena im Mai 2010 klar gegen den Kandidat Schirmer durchsetzte und neuer DGB-Chef in Bayern wurde. Aber Dominik Schirmer macht auch eine persönliche Rechnung auf: "Alle 17 Jahre hat sich in meinem Leben etwas verändert", sagt er. Bald werde er 50, müsse also noch weitere 17 Jahre arbeiten. "Und da will ich mich doch noch ein paar Herausforderungen stellen." Überraschend klingt seine Erklärung, warum die AOK gerade ihm ein Angebot gemacht hat. "Ich bin eben kein klassisches AOK-Gewächs", sagt er. In seiner neuen Position sei das aber eher ein Vorteil. "Ich weiß, ich habe Ecken und Kanten", räumt Schirmer noch ein. "Ich gehe aber jetzt mal davon aus, dass man die auch wollte."

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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