Dingolfing:Zurück zu alten Ufern

Im Landkreis Dingolfing-Landau soll die Isar auf 31 Kilometern renaturiert werden. Die Kraftwerksbetreiber nennen zu viel Umweltschutz "existenzbedrohend"

Von Christian Gschwendtner, Dingolfing

Eine Geschichte über die untere Isar muss mit der Vergangenheit beginnen: Josef Rehmeier steht in seiner Küche in Dingolfing. Das Erste, was er an diesem Nachmittag zeigt, ist ein Schwarz-Weiß-Foto von 1951. Darauf sieht man, wie er als kleiner Bub in der Isar planscht. Um ihn herum sind Kiesbänke. Keine Stauseen. So ziemlich das Gegenteil von dem, was die Isar bei Dingolfing heute ist. Rehmeier sagt: "Ich will, dass die Isar wieder so wie 1951 wird."

Eine schöne Vorstellung, nur völlig unrealistisch. Rehmeier, 69, weiß das selbst am besten. Er war 25 Jahre lang Ortsvorsitzender beim Bund Naturschutz (BN). Ungefähr genauso lang kämpft er dafür, dass die Isar wieder Freiräume bekommt. Bis vor Kurzem ein ziemlich aussichtsloser Kampf. Eine halbe Stunde später steht er auf der alten Isarbrücke in Dingolfing. Rehmeier will zeigen, was falsch läuft. Dafür hat er einen Trick: einfach ins Wasser runterspucken. Dann sieht man mit welcher Geschwindigkeit die Isar vorbeifließt. Das Problem: Es regnet. Man sieht die Spucke nur kurz, dann ist sie weg.

Luftaufnahme von der aufgestauten Isar zwischen Niederpöring und Plattling

Eingezwängt in ein schmales Korsett aus Dämmen gräbt sich die Isar zwischen dem niederbayerischen Niederpöring und Plattling mehr als vier Meter tief in den Boden. Vom ehemaligen Wildfluss ist hier nicht mehr viel übrig.

(Foto: Klaus Leidorf)

Also wartet Rehmeier, bis ein Grasbüschel vorbeischwimmt. Er zählt die Sekunden mit. Dann sagt er: "0,8 Meter pro Sekunde könnten es sein." Genau das ist das Problem: Unterhalb von Landshut fließt die Isar oft so langsam, dass man sich manchmal fragt, ob sie überhaupt noch fließt. Schuld daran sind die vielen Wasserkraftwerke. Sie bremsen den Fluss, stauen ihn auf, rauben ihm die natürliche Kraft. Allein neun solche Kraftwerke gibt es zwischen Landshut und Deggendorf. Im Schnitt alle acht Kilometer eins. So eng beieinander, wie in keinem anderen Flussabschnitt.

Ist die Isar noch ein wilder Alpenfluss? Rehmeier winkt ab, bevor die Frage fertig gestellt ist. Das silberne Halskettchen springt auf und ab. Er sagt: "Ab Landshut ist die Isar im Grunde nur noch eine technische Anlage." Unbestritten ist: Die Fische sind über die Jahrzehnte weniger geworden. Früher gab es hier mal viele Nasen, Barben, Huchen und andere strömungsliebende Fische. Das ist vorbei. Auch die Isar selbst hat sich immer tiefer ins Flussbett eingegraben. Wo hätte sie auch hin sollen, wenn links und rechts die Ufer zubetoniert sind. Die Folge: Der Grundwasserspiegel ist mit abgesunken.

An der mittleren Isar hat sich die Lage dagegen seit einigen Jahren entspannt. Auch weil 2002 der damalige Kraftwerksbetreiber Eon einwilligte, weniger Wasser aus der Isar in Kraftwerkskanäle auszuleiten, damit die Isar selbst mehr Wasser hat. Weiter unten gilt die Isar aber noch immer als hoffnungsloser Fall. Als ein Fluss, dem man die letzte Energie herausgezogen hat. Das soll sich nun ändern.

Josef Rehmeier zeigt auf das Ufer links neben der Brücke, wo er als Kind gebadet hat. In ein paar Monaten sollen hier wieder weitläufige Kiesbänke entstehen. Auf einem Abschnitt von 400 Metern. Arbeiter werden zusätzlich Gesteinsblöcke, Wurzelstöcke und Geröll in den Flusslauf kippen. Das soll Fische anlocken, die im Moment keine Laichplätze finden. Wenn es gut läuft, dann kommt auch der Fischadler zurück. Ein Anfang wäre das, sagt Josef Rehmeier. Sein Motto lautet: "Besser 30 Prozent von wenig, als 100 Prozent von nichts."

Dingolfing ist kein Einzelfall: Auf insgesamt 31 Kilometer Länge wird der Fluss im Landkreis Dingolfing-Landau in den nächsten fünf Jahren renaturiert. Das Ziel: Die Isar wieder erlebbar machen. So, dass die Leute auch unterhalb von Landshut wieder baden gehen können. 6,4 Millionen Euro lässt sich der Freistaat das Projekt kosten - wobei das meiste Geld von der EU kommt. Die Isar entwickelt sich zunehmend zu Bayerns Vorzeigefluss.

Nur die Wasserwirtschaft sieht die Lage nicht ganz so entspannt. Vor allem der Eon-Nachfolger Uniper, der mit Abstand größte Kraftwerksbetreiber an der Isar, ist alarmiert. Man spricht dort von "existenzbedrohenden Marktbedingungen" und meint die angeblich immer strenger werdenden Umweltauflagen. Ganz besonders: die EU-Wasserrahmenrichtlinie. Ihretwegen müssen die Kraftwerksbetreiber zum Beispiel dafür sorgen, dass die Fische nun ungehindert in den Flüssen hin und her wandern können. Ohne von Staustufen gestoppt zu werden. Eine teure Sache. Denn möglich ist das nur mit Aufstiegshilfen, sogenannten Fischleitern, für die Uniper Millionen ausgeben muss. Das ist aber nicht das einzige Problem.

Zwanzig Kilometer oberhalb von Dingolfing zündet sich der Kraftwerksmeister Reinhard Hartl, 53, auf dem Stauwehr Altheim eine Zigarette an. Ein Kollege mit Latzhose läuft vorbei. Er erzählt, wie sie nach der Landshuter Hochzeit wieder die üblichen Fünf-Liter-Partybierfässer aus der Isar rausgefischt haben. Hartl nickt nur. Er sagt: "Alles, was es zu kaufen gibt, landet irgendwann bei uns." Fahrräder, ganze Wohnzimmergarnituren, eine Beate Uhse Gummipuppe - nichts, was der Kraftwerksmeister nicht schon aus dem Fluss gezogen hat.

Bei Uniper nennen sie das Treibgut "Zivilisationsmüll". Müll, den sie sachgerecht entsorgen müssen. Auch das geht nach Unternehmensangaben ins Geld. Hinzu kommen die schwankenden Strompreise, die den Erzeugern Probleme bereiten. Hartl erzählt, dass sie erst am Tag zuvor das Kraftwerk im Leerlauf hätten fahren lassen. Weil sich der Vollbetrieb nicht mehr rentiert habe.

Neben Hartl steht ein Uniper-Pressesprecher. Er schlägt vor, dass man sich noch kurz die neuen Fischaufstiegshilfen auf der anderen Seite anschaut. "Eine schöne Sache", sagt der Sprecher. Genau genommen handelt es sich um einen Nebenbach, auf dem die Fische das Hindernis, das Stauwehr, umschwimmen können. Sie müssen dafür nur den Eingang zum Bach finden. Als der Sprecher vor der Fischleiter steht, knipst er erst mal ein Foto mit dem Handy.

Der Kraftwerksleiter wird zum Ende des Rundgangs nachdenklich. Er spüre, dass sich die Einstellung zu Wasserkraftwerken verändert hat. Warum, verstehe er nicht so richtig. Er fragt, ob es denn besser sei, mehr Kohle zu verbrennen. Oder weiter Atomstrom zu produzieren. Und dann sagt er noch: "Auf der Isar sind die Fehler schon vor 150 Jahren gemacht worden." Lange bevor die ersten Wasserkraftwerke errichtet wurden. Als die Menschen zum ersten Mal in den Flusslauf eingriffen, um Land zu gewinnen.

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