Digitales Nachschlagewerk:Landesgeschichte für alle

  • 1000 Lexikon-Artikel finden sich mittlerweile auf der Homepage des Online-Nachschlagewerks.
  • Mehr als 800 Experten haben Artikel geschrieben, seit zehn Jahren gibt es das Historische Lexikon im Internet.
  • Der Projektleiter hofft auf bis zu eine Million Zugriffe jedes Jahr.

Von Wolfgang Görl

Schon wahr, der Mensch soll nicht ewig am Computer sitzen, sind ja doch nur Pöbeleien und Selbstbeweihräucherungen im Netz - aber manchmal kommt man einfach nicht weg vom Bildschirm. Zum Beispiel dann, wenn man als zielloser Internetsurfer bei www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hauptseite strandet.

Digitales Nachschlagewerk: Neben Textbeiträgen bietet das "Historische Lexikon Bayerns" mehr als 4000 Abbildungen: Hochwasser in Partenkirchen am 13. August 1932.

Neben Textbeiträgen bietet das "Historische Lexikon Bayerns" mehr als 4000 Abbildungen: Hochwasser in Partenkirchen am 13. August 1932.

(Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

Was sind da für spannende Geschichten zu lesen: Zum Beispiel wie der Königssohn Konradin in Jahr 1267 in Italien einfiel, mit seinem staufischen Heer in Rom einmarschierte und dann doch vernichtend geschlagen und hingerichtet wurde; oder wie Kurfürst Ferdinand Maria im 17. Jahrhundert die bayerische Flotte ausbaute, mit dem Prunkschiff "Bucentaur" an der Spitze, das, angetrieben von 128 Ruderern, mit 16 Böllerkanonen an Bord den Starnberger See beherrschte; oder dass die oberpfälzische Adelsfamilie Hohenfels im 13. Jahrhundert in diverse politische Auseinandersetzungen verstrickt war, die nicht immer glücklich für sie endeten. Und was enthielt gleich noch mal die "Anifer Erklärung" vom 12. November 1918? Richtig, König Ludwig III., nach der Revolution auf Schloss Anif bei Salzburg geflohen, entband darin die bayerischen Beamten, Offiziere und Soldaten vom Treueeid auf ihn.

Digitales Nachschlagewerk: Eine fiktive Darstellung Frankens aus der Schedelschen Weltchronik (1493).

Eine fiktive Darstellung Frankens aus der Schedelschen Weltchronik (1493).

(Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

Diese und die knapp 1000 anderen Lexikonartikel, die sich auf der Webseite finden, haben den Segen der Wissenschaft. Genau zehn Jahre ist es her, dass das "Historische Lexikon Bayerns" online ging. Seine Macher verstehen es "als zentrales wissenschaftliches Nachschlagewerk zu allen Fragen der bayerischen Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart". Das Lexikon, das es nur im Netz und nicht auf Papier gibt, ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bayerischen Staatsbibliothek, der Kommission für Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaft sowie der Konferenz der Landeshistoriker an den bayerischen Universitäten. Wissenschaftlicher Leiter ist Ferdinand Kramer, der Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische und Vergleichende Landesgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Digitales Nachschlagewerk: Eine Seite der Ottheinrich-Bibel aus dem 15. Jahrhundert.

Eine Seite der Ottheinrich-Bibel aus dem 15. Jahrhundert.

(Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

Als Projektleiter, der sich mit der täglichen Arbeit herumschlagen muss, fungiert der Historiker Stephan Kellner, der dem Referat Bavarica an der Staatsbibliothek vorsteht. Im Gegensatz zu einem Buch, dessen inhaltliche Arbeit erledigt ist, sobald es in Druck geht, ist das Online-Lexikon ein Werk, das sich im dauernden Fluss befindet und stetig anschwillt. "Als wir 2006 so weit waren, uns im Internet zu zeigen, hatten wir 120 Artikel", sagt Kellner. Mittlerweile ist man dabei, die Tausender-Marke zu knacken, und auch was die Epochen betrifft, ist von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart alles zu finden, obwohl sich im Einzelnen noch viele Lücken auftun. Da wartet Arbeit für viele Jahre.

Beim Stichwort Online-Lexikon denkt der digital sozialisierte Mensch sogleich an Wikipedia, das in seinem Anspruch, fundiertes Wissen zu vermitteln, auf die Schwarmintelligenz setzt. Derlei Vertrauen auf die Kompetenz der Masse haben Kellner und seine Mitarbeiter nicht. Für das Historische Lexikon Bayerns dürfen nur Autoren schreiben, die sich wissenschaftlich mit dem jeweiligen Thema beschäftigen, etwa Universitätshistoriker, Archivare oder versierte freie Forscher. Darüber hinaus gibt es eine Redaktion, bei der die Fäden zusammenlaufen.

Der Weg eines Lexikonartikels ins Internet ist in der Regel verschlungen und kann Jahre dauern. Da hat man eine Epoche, etwa die Zeit der Weimarer Republik, mit welcher die Lexikon-Macher vor zehn Jahren ihr Online-Debüt feierten, und dann müssen die drei Redakteure - sie haben nur befristete Teilzeitstellen - ran, um Stichworte zu sammeln und am Ende die Sachbegriffe zu bestimmen, also etwa "Blutfahne der NSDAP" oder "Thule Gesellschaft". Das alles kann ein Jahr dauern, auch der wissenschaftliche Beirat, der aus Professoren und Privatdozenten besteht, muss noch einen Blick darauf werfen, ehe die bange Frage im Raum steht: "Wer kann den Artikel schreiben?" In Frage kommen Experten, die im Idealfall schon mal über das Thema geforscht haben. Abgesehen vom Fachwissen sollten sie auch über ein gerüttelt Maß an Idealismus sowie über Vermögen verfügen, denn das Honorar für die Arbeit, die oft etliche Monate in Anspruch nimmt, beträgt 30 Euro - eine Summe, für die ein Handwerker nicht einmal seinen Werkzeugkasten öffnet. Trotzdem haben bereits mehr als 800 Experten für das Online-Lexikon geschrieben. Und es gibt Hoffnung: "Wir sind dabei, das Honorar kräftig zu erhöhen", versichert Kellner.

50 000 Zugriffe sind es derzeit pro Monat, das Lexikon soll noch bekannter werden

Ist der Artikel fertig, erfolgt die Qualitätskontrolle durch die Redaktion, und damit gar nichts schief geht, nimmt der wissenschaftliche Beirat den Text noch einmal in die Mangel. Gibt es was zu meckern, muss der Autor sein Werk überarbeiten - eine Prozedur, die selten Begeisterung hervorruft. Und selbstverständlich wird auch die korrigierte Fassung noch einmal unter die Lupe genommen.

Wo so viel Kompetenz im Einsatz ist, darf das Publikum - hoffentlich - darauf vertrauen, Informationen zu erhalten, mit denen es im Streitgespräch mit Wikipedia-Lesern die Oberhand behält. Rund 50 000 Zugriffe verzeichnet das bayerische Online-Lexikon pro Monat, und Kellner hofft, im laufenden Jahr auf insgesamt eine Million zu kommen. Das Nachschlagewerk genießt mittlerweile einen so guten Ruf, dass manche Leute auch bei ihrer Urlaubsplanung die Historiker um Rat fragen. "Sehr geehrte Damen und Herren", schreibt eine Dame an das Historische Lexikon Bayerns, "ich habe versucht über verschiedene Institute eine Schifffahrtskarte für den Rhein-Main-Donau-Kanal zu bekommen, leider ohne Ergebnis. Besteht die Möglichkeit, von Ihnen diese Karte zu bekommen? Wir, mein Mann und ich, machen eine Tour von Duisburg zum Donaudelta." Da muss sogar der wissenschaftliche Beirat passen.

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