Berg-Quartiere:Die Ansprüche an DAV-Hütten steigen

rotwandhaus

In hundert Jahren hat sich am Rotwandhaus von außen kaum etwas verändert.

(Foto: Knoll)
  • Die Schutzhütten des Deutschen Alpenvereins werden von Tagesausflüglern immer mehr als Berggasthöfe gesehen.
  • Die Wirte kämpfen mit den gestiegenen Ansprüchen ihrer Gäste.
  • Sie haben zudem Probleme, geeignetes Personal für die Hütten zu finden.

Von Günther Knoll

Der erste "Kaiser" wird an diesem Tag um kurz nach zehn Uhr am Vormittag ausgerufen. Der ältere Gast, dem der Aufruf gilt, blickt ganz beglückt auf seinen Teller, ehe er sich ein ruhiges Plätzchen sucht, um dort die in der Pfanne zubereitete Mehlspeise zu genießen. Ruhige Ecken, wo man sich Kaiserschmarrn oder andere Gerichte von der Speisekarte schmecken lassen kann, gibt es an diesem Freitag im August genug auf dem Rotwandhaus. Natürlich auch den Linseneintopf mit Wiener Würstchen, ein typisches Bergsteigergericht, wie es seit je auf den Hütten des Deutschen Alpenvereins (DAV) angeboten wird, für Mitglieder sogar vergünstigt. Sonst aber hat man sich auf das eingerichtet, was Peter Weihrer als "stark geänderte Ansprüche" beschreibt.

Die DAV-Herberge auf knapp 1800 Meter unterhalb der Rotwand ist eigentlich eine Schutzhütte, wie Weihrer präzisiert, der seit 27 Jahren hier der Wirt ist. Doch viele, die heraufkommen, sehen in ihr einen Berggasthof. Der Spitzingsee gehört zu den bevorzugten Ausflugszielen der Münchner, und wenn sie die Bahn hinauf zur Taubenstein-Bergstation nehmen, wandern sie in gut einer Stunde herüber zum Rotwandhaus. Es gibt aber noch viele andere Routen, längere und kürzere, leichtere und schwierigere, sogar mit dem Mountainbike kann man herauffahren.

Ein Haus wie viele andere

Das macht das Rotwandhaus so reizvoll, dass im Herbst weder im Schutzhaus, das innen aussieht wie viele andere Berghütten auch, noch draußen auf der geräumigen Terrasse ein Platz zu finden ist. Um den Ansturm zu bewältigen, hat man eine Gulaschkanone und einen zweiten Ausschank im Freien eingerichtet. An den Herbstwochenenden gehe es rund, sagt Weihrer, der diesen eher ruhigen Tag für einen Arztbesuch genutzt hat. Er kommt einem erst beim Abstieg im Jeep entgegen. Der neue rutschfeste Fußboden habe seinem Knie schwer zugesetzt, so dass er es untersuchen lassen musste.

Das ist aber kein großer Grund zum Jammern für den gelernten Koch, der zu Hause im Brixental im österreichischen Tirol auch noch einen Bergbauernhof betreibt. Und der dient als Lieferant für die Küche an der Rotwand. Rind, Lamm in vielen Variationen, Schweinsbraten nicht, sagt der Wirt, die "Fackln" verarbeite man lieber zu Speck. Der DAV hat in vielen seiner Hütten die Initiative "So schmecken die Berge" ausgerufen, für welche die Zutaten möglichst aus ökologischer Berglandwirtschaft kommen sollen. Sie soll helfen, die bergbäuerlich geprägte alpine Kulturlandschaft zu erhalten, die regionale Wirtschaft zu fördern und Ressourcen und Energie zu schonen.

Berg-Quartiere: Als Schutz und Unterschlupf für Bergsteiger und Bergwanderer war das Rotwandhaus über dem Spitzingsee einst gedacht.

Als Schutz und Unterschlupf für Bergsteiger und Bergwanderer war das Rotwandhaus über dem Spitzingsee einst gedacht.

(Foto: Archiv des DAV, München)

Gleichzeitig gibt es auf dem Rotwandhaus eine biologische Kleinkläranlage, eine Solaranlage, ein Blockheizkraftwerk. Die Sektion "Turner-Alpenkränzchen München", kurz "Kranzl" genannt, der das Haus gehört, nennt den Hüttenwirt auf ihrer Homepage "auch noch Hütteningenieur". Für Peter Weihrer ist das wohl eher ein zweifelhafter Titel: "Zu viel Technik ist mir das inzwischen da oben", sagt er, auch wenn man das Material längst nicht mehr mit dem Maultier heraufbringe müsse, sondern im Auto auf einem ausbebauten Weg.

Der wird im Winter als Rodelbahn genutzt, denn die Hütte wird längst ganzjährig bewirtschaftet, auch wenn im November nicht übernachtet werden kann. Die "Kranzler" investieren immer wieder in "ihr" Rotwandhaus: Zuletzt in neue sanitäre Anlagen, in warmes Wasser, in das Kleinkraftwerk.

Hüttenwirte müssen viel bieten

Und trotzdem ist das manchen Gästen nicht gut genug: Sie möchten Zweibett-Zimmer, aber das sei auf einer Berghütte nun einmal nicht selbstverständlich, meint Weihrer. Andere rügen die mangelnde Bergerfahrung mancher Wanderer, keine Ahnung von Hüttenruhe und Rücksicht, heißt es in einer Internet-Bewertung. Im Haus gibt es das traditionelle Lager mit rund 50 Plätzen und dazu 26 Betten. Es gibt auch Gäste, die Bedienung erwarten. Bei insgesamt sechs Personen, die auf der Hütte arbeiten und unter anderem täglich von 10 bis 19 Uhr warme Küche anbieten, gehe das nicht, sagt Weihrer. Jeder muss sich das, was er isst und trinkt, schon selbst an der Theke abholen.

Überhaupt sei es schwer, gutes Personal zu finden, sagt Weihrer, "obwohl dir da droben das verdiente Geld bleibt, weil du es nicht ausgeben kannst". Den einen ist das Essen zu teuer, obwohl es die Ansprüche "biologisch" und "regional" erfüllt. Manche Gäste loben den Komfort und die Küche. Zwei junge Burschen, die eben heraufgekommen sind, bezahlen locker 15 Euro für zwei "Russn-Mass"; das sei "in Ordnung für da heroben", meint der eine zum anderen.

Spagat für die Wirte

Das ist der Spagat, den ein Hüttenwirt heutzutage offenbar zu bewältigen hat. Ob bei all diesen Ansprüchen denn dann noch Zeit bleibt, die Bergwelt zu genießen? Er wisse schon, was da draußen vor der Hütte geboten sei, sagt der drahtige 52-Jährige, schließlich fahre er oft ins Tal für Besorgungen und er müsse sich auch um das Wegenetz kümmern. Murmeltiere pfeifen rund um die Hütte, überall weiden Kühe und Schafe, zwei Kolkraben spielen in der Luft. Manche Wanderer bleiben stehen, beobachten die Natur, anderen verschwenden kaum einen Blick. Ihnen scheint es um die Bewegung zu gehen, so dass nicht einmal Zeit bleibt, die schmutzigen Bergschuhe vor dem Betreten der Hütte zu säubern.

Bergsteiger, welche die nahen Ruchenköpfe zum Klettern nutzen, sind inzwischen die Minderheit im Rotwandhaus. Selbstversorger, die traditionell DAV-Hütten nutzen dürfen, müssen zumindest einen "Infrastrukturbeitrag" leisten, ist einem Anhang am Schwarzen Brett im Eingangsbereich zu entnehmen. Allein die Kläranlage verursacht Kosten von 10 000 Euro pro Jahr, wie dort ebenfalls zu lesen ist. Inzwischen ist der Koch schon beim "Kaiser elf", obwohl noch lange nicht Mittagszeit ist.

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