Deutschlands geistige Kulturgüter:Zwei bayerische Traditionen prämiert

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Die Passionsspiele in Oberammergau sind für Ludwig Spaenle "Belege für die Lebendigkeit und die Vielfalt des bayerischen immateriellen Kulturlebens". (Foto: Getty Images)

Die Passionsspiele aus Oberammergau und die Lindenkirchweih aus Limmersdorf gehören zu den wichtigsten geistigen Kulturgütern Deutschlands. Doch an oberster Stelle stehen nicht die beiden bayerischen Traditionen - der Gewinner kommt aus Rheinland-Pfalz.

Von Heiner Effern, München

Manchmal würden sich die Oberammergauer schon gerne gegenseitig die Schädel einschlagen, hat Christian Stückl einmal gesagt. Speziell wenn sie wegen ihres berühmten Passionsspiels streiten. Der Intendant des Münchner Volkstheaters muss es wissen, er stammt aus dem Ort und hat das Theaterstück schon dreimal inszeniert.

Unerbittlich beharken sich die Erneuerer und Bewahrer der Tradition neun Jahre lang - bis sie im zehnten Jahr alle zusammen das Leiden und Sterben Christi auf so beeindruckende Weise nachspielen, dass die ganze Welt über die Leistung dieses kleinen, seltsamen Dorfes staunt. Keine Überraschung also, dass die alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele nun offiziell zu den wichtigsten geistigen Kulturgütern Deutschlands gehören.

Erstmals wurde eine solche Liste nach den Vorgaben der Unesco erstellt. Sie soll traditionelles Wissen und Können, Bräuche und Darstellungen auch für die kommenden Generationen bewahren. Die Konferenz der Kultusminister der Länder nahm 27 Vorschläge auf. Erstaunlich ist wenigstens auf den ersten Blick der zweite bayerische Bewerber, der ebenfalls in den Kreis berufen wurde: die Limmersdorfer Lindenkirchweih. Jedes Jahr feiern die Bewohner des fränkischen Dorfs am Tag St. Bartolomä (24. August) oder am Sonntag darauf die Weihe ihrer Kirche.

Besondere Kirchweihfeier in Limmersdorf geehrt

Eine solche Kerwa, wie sie in Franken heißt, gilt als das Fest aller Feste. Selbstverständlich wird bei so einer Sause seit Jahrhunderten getanzt, doch in Limmersdorf (Kreis Kulmbach) haben sie den dafür nötigen Boden einfach eine Etage höher gelegt: Sie drehen und schreiten zum Takt der Musik in der Krone ihrer Dorflinde.

Keine Überraschung, dass die alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele offiziell zu den wichtigsten geistigen Kulturgütern Deutschlands gehören. (Foto: Getty Images)

Die Limmersdorfer reagieren also aus gutem Grund erfreut, aber auch selbstbewusst auf die Auszeichnung. Die Lindenkirchweih schmücke die Liste der prämierten deutschen Traditionen, sagt Veit Pöhlmann, der Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung und Förderung der Limmersdorfer Kirchweihtradition. "Da gehören wir schon hin." Zu viel fränkische Bescheidenheit sei in diesem Fall einmal nicht nötig, findet er. Die Ehrung gelte nicht nur dem Dorf, sondern all den in Franken noch weit verbreitete Kirchweihfeiern. Eine reiche Tradition, die sich vor den 26 anderen immateriellen Kulturgütern auf der Liste nicht zu verstecken braucht.

Idee der Genossenschaften auf Platz eins

An oberster Stelle stehen allerdings nicht die beiden bayerischen Traditionen, sondern die von Rheinland-Pfalz für alle anderen Länder eingebrachte Idee der Genossenschaften. Mit dieser wird sich der Bund um die Aufnahme in die Welterbeliste der Unesco bewerben. Die ersten Genossenschaften gründeten sich vor etwa 150 Jahren in Deutschland. "Es ist ein Modell der Selbsthilfe und Selbstverwaltung.

Allein in Deutschland haben Genossenschaften heute 21 Millionen Mitglieder", sagt Christoph Wulf. Der Professor für Anthropologie und Erziehung an der Freien Universität Berlin leitete das wissenschaftliche Auswahlgremium für die Liste. Die ethischen Prinzipien von Genossenschaften wie Fairness und Solidarität haben "Einfluss auf das Denken und Handeln der Mitglieder und der ganzen Gesellschaft", würdigt Wulf die Idee, mit der große Persönlichkeiten wie Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen verbunden sind.

Bayerischer Kultusminister frohlockt

Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) ist trotzdem zufrieden, dass beide vom Freistaat eingereichte Vorschläge auf die Bundesliste der bedeutendsten Kulturgüter gekommen sind. "Sie gelten als besonders überzeugende Belege für die Lebendigkeit und die Vielfalt des bayerischen immateriellen Kulturlebens." Auch in Oberammergau freute man sich über die Auszeichnung für die Passionsspiele. "Das ist richtig stark, das hatten wir gehofft", sagte Bürgermeister Arno Nunn (parteifrei). Die Tradition geht auf das Wüten der Pest während des Dreißigjährigen Krieges zurück.

Einige Oberammergauer gelobten, alle zehn Jahre das Leiden und Sterben von Jesus Christus zu spielen, wenn ihre Lieben verschont würden. Von diesem Tag an soll es keinen Pesttoten mehr in Oberammergau gegeben haben. Im Jahr 1634 führte das Dorf zum ersten Mal das Stück auf. Das Aufführungsjahr hat sich zwar verschoben (die nächste Passion wird 2020) gespielt, doch die Tradition ist in Oberammergau so lebendig wie eh und je. Vielleicht auch, weil jedes Mal so intensiv darüber gestritten wird. Erst im Jahr des Spiels gilt der sogenannte Passionsfrieden, die Basis für eine außergewöhnliche kulturelle Leistung.

© SZ vom 13.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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