Der Fall Mannichl:Ein Stich und die Folgen

Als Polizeidirektor Mannichl niedergestochen wurde, schien gewiss: Der Täter ist ein Rechtsextremer. Doch jetzt mehren sich die Zweifel am Tathergang.

A. Ramelsberger, M. Hägler, S. Wimmer und J. Käppner

Zunächst war alles klar in diesem Fall. Alois Mannichl, der Polizeidirektor von Passau, wurde am 13. Dezember 2008 um 17 Uhr 30 im Eingang seines Hauses niedergestochen. Unmittelbar danach rief die Polizei die Fahndung nach einem rechtsradikalen Täter aus.

Der Fall Mannichl: Was geschah wirklich am 13. Dezember 2008 am Eingang des Hauses von Passaus Polizeidirektor Alois Mannichl? Das Landeskriminalamt hat die Ermittlungen nun völlig neu aufgerollt.

Was geschah wirklich am 13. Dezember 2008 am Eingang des Hauses von Passaus Polizeidirektor Alois Mannichl? Das Landeskriminalamt hat die Ermittlungen nun völlig neu aufgerollt.

(Foto: Foto: dpa)

Am nächsten Tag kam der bayerische Innenminister ans Bett des niedergestochenen Polizeichefs, am zweiten Tag der Ministerpräsident. Spätestens am dritten Tag aber kamen erste Fragen auf.

Es sind Fragen von großer Brisanz, die, falls sie von der Sonderkommission des bayerischen Landeskriminalamts nicht beantwortet werden, zu schweren politischen Verwerfungen führen können. Erfahrene Ermittler sagen: "Irgendetwas passt da nicht zusammen."

Die Fragen entzünden sich an mehreren Punkten: dem Tathergang, dem angeblichen Täter aus der rechtsradikalen Szene, den unklaren Phantombildern, den Spuren auf dem Messer.

1. Die Tat

Ein großer rechtsradikaler Mann soll am Haus von Alois Mannichl in Fürstenzell geklingelt und ihn mit den Worten niedergestochen haben: "Schöne Grüße vom nationalen Widerstand. Du trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden herum." So berichtete es der Angegriffene seinen Kollegen von der Polizei. Für den Hergang der Tat gibt es bislang nur einen einzigen Zeugen: das Opfer selbst. Mannichl gab an, am Samstagabend habe es geläutet, er habe geöffnet und sogleich einen Mann mit hasserfülltem Gesicht gesehen. Dann habe der Mann ein Messer gezückt. Mannichl habe die Hand mit dem Messer noch mit beiden Händen erfasst und nach unten drücken können.

Später stellte sich heraus, dass das Messer aus Mannichls Haushalt stammt und angeblich vor dem Haus lag. Unklar ist: Woher sollte der Täter wissen, dass sich vor dem Haus ein Messer befand? Warum sollte er für einen Mordanschlag ein Küchenmesser benutzen? Warum lässt der Täter das Messer am Tatort zurück und geht das Risiko ein, seine DNA zu hinterlassen?

Allenfalls, wenn das Gespräch an der Tür länger gedauert haben sollte, hätte er das Messer entdecken können. Das aber stimmt nicht mit der Aussage von Alois Mannichl überein. Auch DNA-Material des Täters, das bei einer Rangelei an der Kleidung von Mannichl zu finden sein müsste, ist bisher nicht nachgewiesen worden.

"Ein solches Setting spricht sonst für eine Beziehungstat", sagt ein erfahrener Polizist. Der oberösterreichische Sicherheitschef Alois Lißl, der an den Ermittlungen beteiligt war, hält jedoch eine rechtsextreme Tat weiterhin für wahrscheinlich. Aber er sagt auch, der Tathergang lasse auf einen bestimmten Charakter des Täters schließen. "Messerattentäter haben eine andere Philosophie, sie wollen jemanden im Nahkampf besiegen." Es gehe bei einem solchen Modus operandi um eine sehr persönliche Rache.

Erfahren sie auf Seite zwei mehr über Täter, Tatwaffe und die rechte Szene.

Ein Stich und die Folgen

2. Der Täter

Erstaunlich ist, dass Mannichl nur eine sehr ungenaue Personenbeschreibung abgegeben hat. Ein Mann, 1,90 Meter groß, rundes Gesicht, Glatze. Mit niederbayerischem oder oberösterreichischem Akzent sprechend. Eine Zeugin aus der Nachbarschaft hatte dann von auffälligen Tätowierungen gesprochen, die sie bei einem Verdächtigen bemerkt haben wollte, in Form einer Schlange hinter dem Ohr des Täters oder eines Kreuzes im Gesicht.

Phantombilder aufgrund dieser Aussage wurden daraufhin veröffentlicht. Mittlerweile gehen die Fahnder davon aus, dass es diese Männer nicht gibt. "Wenn einer mit so einer Tätowierung einen Anschlag begeht, dann ist das so, als wenn ein Bankräuber mit dem Personalausweis auf der Brust in die Bank marschiert", sagt einer. "Solche Leute kennt man." Sie würden innerhalb von Tagen ermittelt.

Die Aussagen der Zeugin halten die Fahnder für nicht wirklich belastbar. Bleibt nur noch Mannichl selbst, ein erfahrener Polizist, seit Jahrzehnten im Dienst. "Die Erfahrung eines Polizeimannes sollte dazu führen, dass die Wahrnehmung die wesentlichen Dinge wie das Aussehen erfasst", sagt der Rechtspsychologe Martin Schmucker von der Uni Erlangen.

Natürlich könne eine auf einen selbst gerichtete Waffe einen gewissen "Aufmerksamkeitssog" haben und vom Täter ablenken. Aber bei einem Polizisten sei so etwas nicht zu erwarten. Andere Experten widersprechen: Das Trauma, das die erschütternde Erfahrung, zum Opfer einer Gewalttat zu werden, auslösen kann, habe schon zu erstaunlichsten Erinnerungslücken geführt - durch Schock oder Verdrängung. Das könne auch einem Polizisten passieren.

3. Das Messer

Zunächst hieß es, der Täter habe mit seinem Messer auf Mannichl eingestochen. Dann stellte sich heraus, dass dieses Messer aus dem Haushalt von Mannichl stammt, es soll ein gewöhnliches Haushaltsmesser mit einer zwölf Zentimeter langen Klinge sein.

Nach ersten Untersuchungen fanden sich darauf DNA-Spuren, allerdings nicht von Fremden. "Eine Fremdspur wurde bisher nicht eindeutig isoliert", sagt der Passauer Oberstaatsanwalt Helmut Walch, aber die Überprüfung sei noch nicht abgeschlossen. Nach Informationen der SZ gibt es auch keinerlei Wisch- oder Schleifspuren, die aber erkennbar sein müssten, wenn der Täter das Messer mit einem Handschuh angefasst haben sollte. Denn auch ein Handschuh hinterlässt Spuren.

Das Messer soll auf dem Fensterbrett vor dem Eingang zum Haus der Familie Mannichl gelegen haben - um Lebkuchen abzuschneiden, bei einem Fest, das wenige Tage vorher mit den Nachbarn gefeiert wurde. Bis heute ist nicht klar, ob mit dem Messer jemals Lebkuchen geschnitten wurde.

Der Stich traf Mannichl zwei Zentimeter unterhalb des Rippenbogens und nicht, wie anfangs erklärt wurde, zwei Zentimeter neben dem Herzen. Der Stich soll, wie aus Ärztekreisen zu hören ist, nicht mit Wucht geführt worden sein.

4. Die rechte Szene

Alois Mannichl beschrieb den Angreifer als einen sehr großen, glatzköpfigen Mann. Ein solcher Mann müsste nach Auskunft verschiedenster Fahnder schnell zu finden sein. Denn Polizei und Verfassungsschutz haben in ihren Dateien jeden Rechtsradikalen - auch mit Bild - verzeichnet. Auch die Österreicher haben ihre Dateien durchforstet, selbst die Tschechen haben recherchiert. "In den Dateien ist dieser Mann nicht", sagt ein hoher Beamter.

Natürlich kann es sein, dass sich eine sehr kleine Gruppe von Rechtsradikalen zu einer Terrortat verabredet hat. Aber dass diese Gruppe unentdeckt bleibt, dagegen spricht die Erfahrung. Die Fahnder hatten auch die Gruppe um den Münchner Rechtsradikalen Martin Wiese im Visier, als die 2003 gerade erst am Küchentisch saß und über Anschlagspläne auf den Bauplatz der Münchner Synagoge sprach.

Bayerns Fahnder haben ihre Zugänge zur rechtsradikalen Szene ausgebaut. "Es ist unwahrscheinlich, dass uns so eine Gruppe verborgen bleibt", sagt einer. Außerdem würden sich Rechtsterroristen irgendwann mit der Tat brüsten: Doch es gibt kein Bekennerschreiben, keinen Hinweis, nichts.

Es könnte auch sein, dass ein Täter aus einer anderen Szene den Verdacht bewusst auf die rechte Szene lenken wollte. Mannichl war einst Leiter einer Dienstelle gegen die Organisierte Kriminalität.

Aus dieser Szene kommen immer wieder Drohungen gegen Richter, Staatsanwälte, auch Polizisten. Aber Anschläge aus der OK-Szene laufen in der Regel anders ab als die Messerattacke von Passau. "Da geschieht ein Autounfall, und man kann nichts nachweisen", sagt ein Fahnder. "Ein Täter aus der OK-Szene kommt nicht unvermummt vor die Tür und greift sich ein Messer, das dort herumliegt."

Erfahren Sie auf Seite drei mehr über die Ermittlungen und die Familie des Opfers.

Ein Stich und die Folgen

5. Die Ermittlungen

Als die Polizei in Passau erfuhr, dass ihr Chef angegriffen worden war, überprüfte sie sofort alle Rechtsradikalen in Bayern. Noch in der Nacht wurde der Tatort gesichert. Doch wurde auch in alle Richtungen ermittelt?

Bereits im Dezember hatten Polizisten der Passauer Soko im örtlichen Blatt Am Sonntag geklagt, sie könnten Fragen, die jenseits der Theorie vom rechtsradikalen Attentat liegen, allenfalls intern diskutieren: "Wir haben es schließlich mit unserem eigenen Chef zu tun", wurde ein Soko-Mitglied zitiert. Fahnder aus anderen Städten sagen nun: "Ein guter Ermittler legt sich nicht so früh auf eine Richtung fest."

Offensichtlich hat sich der politische Hintergrund nie so verdichtet, dass die Generalbundesanwältin einen Anlass sah, den Fall zu übernehmen. Sie war von vornherein informiert. Im Fall des Rechtsradikalen Martin Wiese hatte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen sofort übernommen.

Der Sprecher des Landeskriminalamts, Detlef Puchelt, erklärt, es gebe momentan keine neuen Erkenntnisse im Fall Mannichl. Man wolle die Sonderkommission in Ruhe arbeiten lassen. Mannichl selbst hatte bei seinem Dienstantritt an diesem Mittwoch erklärt, solche Ermittlungen könnten Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre dauern.

6. Die Familie

Die Polizei Passau hat nach Informationen der SZ nicht wie sonst in unklaren Tatsituationen schnell das private Umfeld des Opfers aufgeklärt. Die Polizisten ermittelten in erster Linie in Richtung Rechtsradikale, eingehende Befragungen aller Familienmitglieder wurden zunächst nicht vorgenommen. Normales Procedere sei es, von innen nach außen zu ermitteln, sagt ein Ermittler. Ein Drittel der Arbeit sei es, die privaten Verhältnisse zu recherchieren. Das sei hier zu spät erfolgt. Mannichl selbst wurde bereits am 18. Dezember förmlich vernommen, auch seine Frau wurde befragt.

Die Mannichls haben zwei erwachsene Kinder, eine Tochter und einen Sohn, der in Berlin lebt. Die Kinder wurden erst vor ein paar Tagen vernommen, als das Landeskriminalamt die Ermittlungen übernahm. Die Mannichls hatten angegeben, Sohn und Tochter seien zur Tatzeit nicht zu Hause gewesen. Alois Mannichl selbst, so sagt Oberstaatsanwalt Walch, habe großes Verständnis, dass nun auch in seinem privaten Bereich ermittelt werde. "Er ist sehr kooperativ."

Das Landeskriminalamt hat die Ermittlungen nun völlig neu aufgerollt.

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