Denkmalschutz:Die Poesie der Steine

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Die Grabmäler auf dem Nürnberger Johannisfriedhof erzählen viel über das reichsstädtische Bewusstsein der Stadt. Nun zählt die Epitaphienkultur zum immateriellen Kulturerbe. Dennoch droht der Verfall.

Von Olaf Przybilla

Wenn Thomas Haydn als Chansonnier auftritt, dann bedient er das Publikum gerne mit einem Detail aus seinem Lebenslauf. Aufgewachsen ist er in einem Ort in Niederösterreich, pittoresk aber überschaubar. Aus dieser wohligen Schönheit hat es ihn dann bald weggezogen, "raus in die weite Welt", das war sein Ziel, sagt Haydn. Angekommen ist er in Fürth.

Das muss man nicht sofort verstehen, aber wer Haydn in seiner Werkstatt mit Blick auf den Johannisfriedhof in Nürnberg besucht, bekommt eine erste Ahnung davon, dass man von dem 50-Jährigen kaum die Geschichte einer gebrochenen Biografie erwarten darf. Einen wie Haydn - Chansonnier und Epitaphienkünstler - könnte man in sich am ehesten in Prag vorstellen. Oder eben, schon der Sprache und des Namens wegen, in Wien. Beides aber kommt für ihn nicht in Frage. "So eine Epitaphien-Kultur wie da draußen", sagt Haydn und nickt in Richtung Fenster, "das haben Sie doch sonst nirgendwo."

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In seinem Metier fühlt sich Haydn also längst angekommen in der großen Welt - und versucht diese Botschaft seit 17 Jahren unters Volk zu bringen. Verstanden fühlte er sich selten, bis Nürnbergs Epitaphienkultur nun in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden ist. Dieses jahrelange Kämpfen für eine angemessene Würdigung eines Kulturschatzes habe ihn mitunter fast kirre gemacht, sagt Haydn.

Und dann bricht es regelrecht aus ihm heraus: "Das ist doch der Wahnsinn. So was gibt's nirgendwo auf der Welt. Diese Stadt war kunsthistorisch mal wichtiger als Florenz. Die war längst eine Metropole, nicht nur auf der städtischen Visitenkarte. Und wo kann man das sehen? Da draußen könnte man es sehen. Man muss nur hingehen und den Ort angemessen erhalten." Danach holt er erst mal Luft.

Haydn ist überzeugter Österreicher, dieses Laissez-faire in seinem Heimatland, und die Art, auf kulturelle Überlieferung stolz zu sein, das hält er grundsätzlich für vorbildlich. Natürlich, das könne einem auch auf die Nerven gehen. "Seit Jahrhunderten der immer gleiche Wiener Schmäh. Trotzdem: Sie machen was draus, sie machen was draus." Und in Nürnberg?

Haydn führt jetzt hinaus, auf den Johannisfriedhof. Aber nicht zum Grab Dürers und nicht zu dem von Theo Schöller. Nicht zu Harsdörffer, dem Barockdichter, und nicht zum Großindustriellen Theodor von Cramer-Klett. Auch nicht zum Humanisten Pirckheimer, zum Maler Anselm Feuerbach nicht und nicht zu Ludwig Feuerbach, dem Philosophen. Haydn leitet direkt zum Grabmal von Wenzeslaus Linck, einem Theologen der Lutherzeit. Ein breiter Riss in der Inschrift zieht sich quer durch dessen Namen hin zum Wort "Tumulus", lateinisch für Grabmal. "So was", sagt Haydn, "werd' ich nie verstehen können. Das muss doch jemandem was wert sein. Wenigstens der evangelischen Kirche."

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Es gibt Augenblicke in Geschichten, die würde man in Drehbüchern albern finden. Thomas Haydn hat bis zu dem Moment etwa eine Stunde über die Geschichte und Bedeutung dieses Friedhofs referiert. Und er hat zart seine Enttäuschung darüber angedeutet, dass er sich nun zwar 17 Jahre lang den Mund fusselig geredet habe über den drohenden Verfall eines nicht zu überschätzenden Kulturerbes; dass aber auch eine Woche, nachdem nun alle wissen könnten von der Einzigartigkeit der Epitaphienkultur, sich trotzdem kein wirklich hochrangiger Vertreter von Stadt oder Kirche gemeldet und ihm zu seiner Hartnäckigkeit gratuliert hat.

Das alles hat Haydn mit anschwellender Wucht erläutert, als er von des Doktoris Vinceslai Linck Theologi ramponierter Inschrift aufschaut und in etwa hundert Meter Entfernung je einen Vertreter von Stadt und Kirche entdeckt.

Dort führt Haydn jetzt hin und je näher man kommt, umso deutlicher wird das rot-weiße Flatterband um zwei Grabmale. Bei der Gruppe angekommen, folgt eine kurze Begrüßung, man kennt sich. Danach herrscht erst mal Schweigen. Zwei Grüfte sind eingestürzt, die historischen Grabmale liegen deshalb zum Teil unter der Erde. "Wenn da einer gestanden hätte in dem Moment", hebt der Vertreter der Stadt nach einer längeren Pause an, die Vertreterin der Friedhofsverwaltung aber fällt ihm sanft ins Wort: "Bitte keine Szenarien."

Danach herrscht wieder Schweigen, bis sich Haydn verabschiedet. Könnte man so einen Einsturz überhaupt verhindern auf einem historischen Friedhof? "Man müsste sich auf jeden Fall darum kümmern, dass so was nicht passiert", antwortet er.

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Lohnen würde es sich auf jeden Fall. Bernd Windsheimer hat ein Buch über den Johannisfriedhof geschrieben, er weiß, was diesen so besonders macht. Der Historiker erzählt vom reichsstädtischen Bewusstsein, das sich auf dieser Grabstätte der einst zweitgrößten Stadt im Reich spiegelt und über das die Epitaphien und Grabinschriften bis heute Zeugnis ablegen. Die Steine stehen unter Denkmalschutz, schon weil es dergleichen so nicht gibt. 6500 Sandsteine liegen in Nürnberg eng an eng und zumeist ohne ausgewiesene Wege, allesamt im selben Maß: sechs reichsstädtische Werkschuhe lang, drei breit. Macht 1,67 Meter auf 0,835 Meter.

Dieser Friedhof der Patrizier sollte gleichmäßig angelegt sein, damit sich keiner über den andern erheben konnte. Jahrhunderte lang hielten sich alle daran, ein Liegesandstein glich dem anderen. Im 19. Jahrhundert hielt zunächst der Blumenschmuck Einzug. Und danach, zu beobachten im hinteren Teil des Friedhofs, begannen neureiche Wirtschaftsbürger, ihre Gräber mit opulenten Engelsskulpturen zu verziehen. Man sieht dort gewissermaßen die Entdeckung des Individuums.

Gleichzeitig aber auch einen Teil des Problems. Auch diese Engel stehen unter Denkmalschutz, die Restaurierung nur einer der Figuren kann schon mal 10 000 Euro kosten. Mit Friedhofsgebühren kommt man da nicht weit, zumal inzwischen auch Gräber leer stehen, was lange undenkbar zu sein schien auf dem Johannisfriedhof. Das macht den Erhalt nun nicht leichter.

Immerhin, sagt Haydn, muss er sich längst nicht mehr als einsamer Rufer fühlen. Der Bürgerverein im Stadtteil St. Johannis etwa hat jüngst einen elegischen Aufruf veröffentlicht. Wenn nicht endlich jemand Geld in die Hand nehme, dann "geht das hier den Bach runter", sagt der Vorsitzende Sven Heublein. Und das ausgerechnet im 500. Jubiläumsjahr. Heublein sieht da zuvorderst die evangelische Kirche in der Pflicht. Er klingt regelrecht verzweifelt.

Haydn machen solche Mitstreiter glücklich. "Wir haben lang gekämpft, das tut so gut." Vor allem ein digitales Verzeichnis wäre dringend notwendig, damit man geklaute Epitaphien wenigstens mit einem Duplikat ersetzen könnte notfalls. Vor drei Jahren erst hatte ein 25-Jähriger 42 Grabziertafeln auf dem Rochusfriedhof gestohlen, 19 davon blieben verschollen, darunter fünf von enormen historischem Wert. Haydn war Gutachter beim Prozess gegen den Dieb, ihm war zum Heulen, sagt er.

Passiert so was auf dem Johannisfriedhof, so würde der Verlust eines nicht ersetzbaren Kulturerbes drohen. Und der von Geschichte: Wer beispielsweise etwas über die Kindersterblichkeit einer Großstadt an der Schwelle zur Frühen Neuzeit erfahren möchte, der muss sich nur das Grab von Caspar Mellfürer anschauen. Der Bäckermeister ließ auf dem Stein seine "Leibs Erben und Nachkommen" abbilden, links die Söhne, rechts die Töchter. Über neun der 14 männlichen Köpfe sieht man ein Kreuz. Und über allen sechs weiblichen.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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