CSU-Vorstoß:Der kleine, aber feine Unterschied

Bundestagswahl 2013

Wie viele Sitze eine Partei bei einer Kommunalwahl in Bayern erreicht, wird seit 2010 nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren berechnet.

(Foto: Diether Endlicher/dpa)

Eine Änderung des kommunalen Wahlrechts wäre vor allem für große Parteien günstig

Von Matthias Köpf und Christian Sebald

Eine der jüngsten Gemeinderatswahlen in Bayern ist die vom November 2016 im 4500-Einwohner-Ort Schechen im Landkreis Rosenheim. Die CSU kam dabei auf neun, die Parteifreien Bürger auf vier und die SPD auf drei Sitze. Berechnet wurde das Ergebnis nach dem Verfahren von Hare-Niemeyer, wie es seit 2010 für alle Kommunalwahlen in Bayern gilt. Nach dem alten d'Hondt'schen Verfahren hätte sich zwar die gleiche Sitzverteilung ergeben, doch bei der Schechener Wahl von 2014 zeigen sich durchaus Unterschiede. Diese Wahl hat sich zwar als gefälscht erwiesen und ist daher 2016 wiederholt worden. Wäre aber 2014 alles mit rechten Dingen zugegangen, dann hätten nach Hare-Niemeyer die CSU neun, die Parteifreien drei und die SPD sowie die Liste Georg Weiß jeweils zwei Räte stellen können. Nach d'Hondt jedoch hätten die Freien drei und stattdessen Weiß nur einen Sitz erhalten. Das zeigt, dass der Streit und die Berechnung der Sitzverteilung Wirkungen bis in die kleinste Gemeinde haben kann.

Denn die verschiedenen Verfahren, aus anteiligen Wahlergebnissen mit mehreren Nachkommastellen eine Verteilung von ganzen Sitzen abzuleiten, bringen nicht in erster Linie bei besonders großen Parlamenten oder besonders vielen Wählern unterschiedliche Ergebnisse. Größere Unterschiede ergeben sich vielmehr dann, wenn die Stimmenzahlen der Parteien besonders weit auseinander liegen. Das d'Hondt'sche Verfahren begünstigt diejenigen Parteien zusätzlich, die schon mehr Stimmen erhalten haben. Kleinere Parteien bekommen dann im Verhältnis weniger Sitze. Dagegen bildet das Hare-Niemeyer-Verfahren das Stimmenverhältnis exakter ab. Auch deswegen hat der Landtag 2010 die Umstellung für die Kommunalwahlen beschlossen, damals während der Koalition der großen CSU mit der kleinen FDP.

Dass Teile der seit 2013 wieder allein regierenden CSU diese Reform nun rückgängig machen und damit am ehesten den eigenen Ortsverbänden Vorteile verschaffen wollen, ist nicht nur parteiintern umstritten. Vor allen die Opposition übt scharfe Kritik. Die Grünen haben eine Beispielrechnung für die Stadtratswahlen von 2014 in München, Nürnberg und Augsburg angestellt. Demnach hätten in München von einer Rückkehr zu d'Hondt die CSU, die SPD und die Grünen mit je einem zusätzlichen Mandat profitiert, auf Kosten von je einem Sitz der FDP, der Bayernpartei (BP) und der rechtslastigen Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA). Die BP und die BIA wären nach d'Hondt nicht in den Stadtrat gekommen. In Nürnberg hätte demnach allein die SPD mit einem Sitz auf Kosten der ÖDP profitiert, in Augsburg CSU und SPD mit jeweils einem Mandat auf Kosten der AfD und der CSU-Abspaltung CSM. Dass es mit Hare-Niemeyer zuletzt viele kleine und teils rechtslastige Gruppen in Stadt- und Gemeinderäte geschafft hätten, weil es hier keine Fünf-Prozent-Klausel gibt, gilt vielen in der CSU als Argument für d'Hondt.

Die Debatte über die Verfahren ist keine bayerische Spezialität. So hat in den USA der spätere Präsident Thomas Jefferson 1792 das d'Hondt'sche Verfahren vorgeschlagen, das dort als "Jefferson-Verfahren" bekannt ist. Im Jahr 1840 wurde es vom "Hamilton-Verfahren" abgelöst, wie das Hare-Niemeyer-Verfahren dort heißt. Im Deutschen Bundestag wurden die Sitze bis 1983 nach d'Hondt verteilt. Weil das danach eingeführte Hare-Niemeyer-Verfahren unter ganz bestimmten Bedingungen dazu führen kann, dass eine Partei bei gleicher Stimmenzahl in einem etwa durch Überhangmandate vergrößerten Parlament sogar weniger Sitze erhält als in einem kleineren, gilt für den Bundestag seit 2009 das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren, das dieses Paradox vermeidet. In Bayern wurde die Sitzverteilung im Landtag nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von 1992 auf Hare-Niemeyer umgestellt. Eine Beispielrechnung des statistischen Landesamts zeigt, dass die CSU 1994 dadurch nur 120 statt 124 Sitze errungen hat. Die SPD profitierte mit 70 statt 69 Sitzen, die Grünen mit 14 statt elf.

Beim Bayerischen Gemeindetag beobachtet man den Streit mit großem Erstaunen. "Das Gemeindewahlrecht oder gar die unterschiedlichen Auszählverfahren sind in den Kommunen überhaupt kein Thema", sagt Verbandssprecher Wilfried Schober. Nach seiner Überzeugung geht der Streit am politischen Leben in den Kommunen völlig vorbei. "Vor allem in den kleinen, ländlichen Kommunen kommt es auf die Persönlichkeit eines Kandidaten für den Gemeinderat an", sagt er. "Die Zugehörigkeit zu einer Partei spielt da eine eher geringe Rolle." Das Gleiche gelte für die spätere Arbeit. "Kommunalpolitik ist Sachpolitik, das ist der entscheidende Unterschied zur Landes- und zur Bundespolitik."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: