CSU-Mann mit rechtsextremer Vergangenheit:"Ich war sehr widersprüchlich"

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Er müsse mit den Vorwürfen wegen seiner Vergangenheit leben, sagt Jürgen Baumgärtner aus dem fränkischen Kronach. (Foto: Catherina Hess)

Jürgen Baumgärtner war in seiner Jugend ein aktiver Neonazi. Nun ist er für die CSU in den Landtag gewählt worden und vertritt soziale Positionen. Geht das? Ein SPD-Mann sagt: nein.

Von Olaf Przybilla

Mario Hahn hat den Abend der Landtagswahl ohne große Emotionen verfolgt. Denn im Grunde war ihm klar, dass Jürgen Baumgärtner in den Landtag gewählt werden würde. Baumgärtner, der CSU-Mann aus dem fränkischen Kronach, der mal Neonazi gewesen ist. Der auf Rudolf-Heß-Gedenkmärschen der Rechtsextremisten in Wunsiedel mitgelaufen ist. Und sich selbst als "Gauleiter" bezeichnet haben soll, kurz vor dem Mauerfall.

So jedenfalls hat es Hahn in Erinnerung. 48 Prozent der Stimmen hat Baumgärtner am Wahltag geholt. Ein Ex-Nazi, sagt Hahn, ist also jetzt Abgeordneter. Er habe aber mit so einem Ergebnis gerechnet: "Ich kenne ja die Gleichgültigkeit der Leute."

Baumgärtner, 40 Jahre alt, Oberstleutnant bei der Bundeswehr, seit ein paar Wochen Mitglied des Landtags, rührt in einer Tasse Kaffee und holt tief Luft. "Ja, der Mario", sagt er, "was soll ich dazu eigentlich noch sagen?". Mehr als zwanzig Jahre haben die beiden Männer miteinander zu tun, ohne sich wirklich zu kennen. Man duzt sich, das schon, aber das mache man eben so, sagt Baumgärtner, wenn man in etwa gleich alt ist und aus demselben Landstrich kommt. Im Grunde hat man sich nur einmal länger in die Augen geschaut. Das war bei einer Tanzveranstaltung, vermutlich im Jahr 1989, nicht weit von der Zonengrenze entfernt.

Baumgärtner war Nazi damals und hatte gleichgesinnte Kameraden dabei. Hahn war entsetzt von Baumgärtner. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel an dem Abend, an den zu erinnern Hahn seither nicht müde wird. Auch vor der Landtagswahl hat er daran erinnert, sich an die Öffentlichkeit gewandt. "Weil ich es unerträglich finde, dass ein Mensch, der noch kurz vorm 18. Lebensjahr von Auschwitz nichts wissen wollte, sich selbst für geeignet hält, im Landtag zu sitzen", sagt Hahn.

Mit so was müsse er leben, sagt Baumgärtner. Er fürchte, für den Rest seines Lebens. Er hat diese Vergangenheit, habe nie einen Hehl daraus gemacht. Baumgärtner war Teil der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene". Nicht rechts, sondern extrem rechtsextrem. Hat er sich selbst als "Gauleiter" von Kronach bezeichnet damals? Er möchte das nicht ausschließen, sagt der CSU-Abgeordnete, auf die Tischplatte starrend. Halte es aber für unwahrscheinlich. Denn: "Es gab in der Hierarchie mindestens einen über mir, da hätte ich mit so einer Behauptung Probleme bekommen können."

Kein Mitläufer, "sondern eine Führungsfigur"

Seit der Zeit hat er gelegentlich Kontakt mit Hahn. Der war mal SPD-Gemeinderat im fränkischen Mitwitz. Aber darum geht es nicht zwischen den beiden. Sondern allein um Baumgärtners Vergangenheit. Hahn will immer wieder von ihm wissen, ob er es wirklich richtig findet, als Ex-Nazi ein hohes Amt anzustreben, Baumgärtner wollte das 2001 schon einmal. Baumgärtner erwidert, er wisse nicht, wie lang Hahn ihn das noch fragen will. Und dass er sich kurz nach dem Mauerfall vollständig abgewandt hat von der braunen Szene. Erkennend, dass er sich völlig verrannt hat.

Hat ein Mensch, der als 17-Jähriger Nazi war, es aber seit 20 Jahren nicht mehr ist, keine zweite Chance verdient? Hahn, wie Baumgärtner 40 Jahre alt, Kundenbetreuer für ein schwedisches Unternehmen, sieht das grundsätzlich nicht anders. Nur dass Baumgärtner seiner Beobachtung nach kein Mitläufer war, der ein paar Hakenkreuze auf eine Hauswand geschmiert hat. "Sondern eine Führungsfigur der Nazi-Szene in Franken", sagt Hahn. Bei der Plattenparty damals in Kronach habe sich Baumgärtner doch selbst als solche vorgestellt. Er habe Hahn auf braune Lakaien aufmerksam gemacht, die an seiner Seite stünden. Auf das "dumme Fußvolk", das er dabei habe und das Hahn gehörig Ärger machen könne.

Um einen "Gegen Nazis"-Aufkleber ist es gegangen, den er, Hahn, getragen hat an dem Abend. Um sein Leben gebangt habe er, weil Baumgärtner plötzlich ein Messer gezückt habe. "Der war 16 oder 17", sagt Hahn. "Will man so einen als Abgeordneten?"

"Widersprüchlich, ich weiß"

Es ging um eine Frau an dem Abend, sagt dagegen Baumgärtner. Das sei der Auslöser für den Zoff gewesen. "Er hat meine Freundin angemacht, ich glaube, dass ich das nicht leiden konnte." Baumgärtner versucht ein Lächeln. Ein Messer? "Niemals." Für einen Neonazi war "der Fahndungsdruck doch viel zu hoch". So dumm sei er damals sicher nicht gewesen. Im Übrigen sei er nicht vorbestraft. Er habe provozieren wollen damals, sei in ein schreckliches Fahrwasser geraten, sagt Baumgärtner. Nicht nur um Wunsiedel, um diese Nazi-Aufmärsche, sei es ihnen gegangen. Sondern um Gemeinsamkeit, das Leben in der Gruppe.

Seine Eltern hätten furchtbar darunter gelitten. Unter ihm. Das habe ihm schrecklich leidgetan. "Widersprüchlich, ich weiß", sagt Baumgärtner, "aber ich war widersprüchlich." Widersprüchlich. Wer sich zwei Stunden mit Baumgärtner unterhält, erlebt einen CSU-Abgeordneten mit ungewöhnlichen Ansichten.

Zwei Jahrzehnte bei der Bundeswehr war Baumgärtner, zuletzt im Bereich "strategische Aufklärung". Auslandseinsätze aber lehnt er kategorisch ab. Wer militärische Intervention für ein Mittel zur Befriedung halte, "hat was nicht verstanden in der Geschichte", sagt er. Kosovo sei ein Fehler gewesen, der Einsatz in Afghanistan auch. Eine Minderheitenmeinung in der CSU, natürlich, das wisse er nur zu gut. Sei ihm aber gleichgültig.

Wie ein verkappter Sozialdemokrat

Bayerische Bildungspolitik? "Die SPD hat völlig recht, es fallen im Freistaat viel zu viele durchs Raster." Er will einen Streetworker im ländlichen Kronach etablieren für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden. Das seien diejenigen, die für Menschenfänger anfällig seien, "um die müssen wir uns doch kümmern". Privatisierung von Kliniken? Der größte Fehler, sagt er. Frauenquote? Dafür kämpfe er seit vielen Jahren und habe sich früher im heimischen CSU-Verband eine blutige Nase geholt. Ist er in der richtigen Partei? Baumgärtner glaubt das schon. "Ich lehne dieses Rechts-Links-Schema sowieso ab", sagt er, "es geht um Realpolitik". Dass er aber wie ein verkappter Sozialdemokrat wirke, das höre er oft in Kronach. Baumgärtner zuckt mit den Achseln.

CSU-Kandidat mit rechtsextremer Vergangenheit
:"Es gibt nichts schönzureden"

Der fränkische CSU-Landtagskandidat Jürgen Baumgärtner hat eine heikle Vergangenheit: Als Jugendlicher war er Rechtsextremist. Im Interview erzählt er, was ihn an der Szene faszinierte, warum er Spaß am Provozieren hatte - und wie er den Ausstieg geschafft hat.

Von Olaf Przybilla

Wer Baumgärtner fragt, ob er ein NPD-Verbot befürworte, muss sich auf einen längeren Vortrag einstellen. Warum das unverzichtbar ist; wie die Verbindungen in die freie Naziszene funktionieren; wie dort der Rassenhass gelehrt wird; wie man diese Strukturen, wenn schon nicht zerschlagen, so doch massiv behindern könnte. "Ich weiß, von was ich rede", sagt er. Wie auswendig gelernt klingt das nicht. Noch immer marschieren Nazis durch Wunsiedel, viel weniger als früher zu Baumgärtners Zeiten, wo manchmal Tausende in die Kleinstadt eingefallen sind. Aber sie sind da.

Hat Baumgärtner dort je demonstriert gegen den braunen Hass? "Ich glaube, ich wäre nicht der Richtige dafür", sagt er. Aber an seiner früheren Schule hat er über Rechtsextremismus referiert, das schon. War ihm wichtig. "Wenn ich dieses Saubermann-Gerede höre, könnte ich jedesmal kotzen", entgegnet Mario Hahn. Mit einer so tief braunen Vergangenheit sei man einfach nicht geeignet für ein Amt im Landtag. Egal, wie sehr sich einer geändert haben mag seit jener Zeit.

Baumgärtner glaubt, dass Hahn demnächst SPD-Bürgermeister im oberfränkischen Mitwitz werden und sich durch seine Attacken öffentlich profilieren möchte. Hahn findet das lächerlich. Erstens plane er das nicht. Zweitens wolle von der Nazi-Vergangenheit eines Abgeordneten keiner hören in einem überschaubaren Ort wie Mitwitz. "Da wird man eher angefeindet, wenn man so was anspricht", sagt Hahn.

© SZ vom 18.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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