Führungswechsel in Bayern:Die CSU ist in einer historisch bedrohlichen Lage

Markus Söder kommt zur Vorstandssitzung in der CSU-Landesleitung.

Vom Minister zum Ministerpräsidenten: Markus Söder (CSU) soll an diesem Freitag zum Nachfolger Horst Seehofers gewählt werden.

(Foto: picture alliance / Andreas Geber)

Geschlossen wird die Partei Markus Söder zum Ministerpräsidenten wählen, doch die alten Sicherheiten sind weg. Die Angst vor Veränderung ist der größte Feind der Christsozialen.

Kommentar von Wolfgang Wittl

Sofern nicht Ungeheuerliches geschieht, wird die CSU an diesem Freitag im Bayerischen Landtag eine routinierte Demonstration ihrer Macht abliefern. Trotz aller Kämpfe, trotz Zerrissenheit und persönlicher Vorbehalte wird sie geschlossen Markus Söder zum jüngsten Ministerpräsidenten in Bayerns Nachkriegsgeschichte wählen. Die neue Machtstatik wäre damit manifest: Gegen Söders Willen wird in der CSU nichts mehr geschehen, Parteichef Horst Seehofer schrumpft zum Moderator des Übergangs.

Mit dem für sie typischen Reflex hat die CSU damit geschafft, worum andere Parteien sie beneiden. Gnadenlos tauscht sie ihr Führungspersonal aus, sobald es keinen Erfolg mehr verspricht. Und weil keine Wahl für die CSU wichtiger ist als die Landtagswahl am 14. Oktober, hat sie aus ihrer Sicht wieder alles richtig gemacht. An der Basis keimt Aufbruchsstimmung, die Skepsis gegen Söder schwindet allmählich, in Umfragen geht es leicht nach oben. Soweit die oberflächliche Betrachtung. Wer jedoch genauer hinblickt, erkennt eine CSU in einer historisch bedrohlichen Lage. Sie ist Gefangene einer Zeitenwende, ohne zu wissen, wie sie aus dieser Gefangenschaft ausbrechen kann.

Die CSU nach Seehofer und vor Söder ist eine in hohem Maß verunsicherte Partei. Die schlechten Wahlergebnisse haben ihr Selbstbewusstsein mehr beschädigt, als sie sich eingestehen will. Die CSU ist männerdominiert und hat eine Hierarchiegläubigkeit, die für eine offene Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht zeitgemäß ist. Sie verliert in Städten, sie verliert auf dem Land. Und das Schlimmste für sie ist: Sie weiß nicht immer, warum.

Die Ratlosigkeit rührt daher, dass alte Formeln nicht mehr greifen. Nicht einmal die Opposition vermag zu bestreiten, dass Bayern gut dasteht. Es wäre geradezu albern, der seit 60 Jahren regierenden CSU ihre Verdienste daran abzusprechen. Trotzdem wenden sich Wähler ab. Weniger die Leistungsbilanzen einer Regierung zählen heute, sondern Stimmungen; weniger der Wohlstand, sondern Sorgen. Das ist bitter für eine Partei, die dem politischen Pragmatismus alles unterordnet. Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel hat diesen Trend sicher verstärkt, eingesetzt hat er schon vorher.

Früher sahen Winter in Bayern oft so aus: Das halbe Dorf traf sich am zugefrorenen Weiher zum Eisstockschießen, weil man keine Arbeit hatte. Gewählt wurde trotzdem CSU, denn sie war der Garant, dass alles so blieb, wie es war; und wenn sich etwas änderte, dann zum Besseren. Heute treffen sich die Stockschützen auf modernen Asphaltbahnen. Sie sind meist Rentner, die anderen sind in der Arbeit und schreiben an der nächsten wirtschaftlichen Erfolgsmeldung mit. Doch längst nicht jeder wählt mehr CSU. Früher standen sowjetische Panzer nur Kilometer hinter der Grenze, die Welt war jeden Tag in Gefahr, aber sicher eingeteilt in Gut und Böse. Heute lässt sich die Welt mit jedem Handy an jedem Ort herunterladen, und keiner weiß so recht, was sie als Nächstes bringt. Die Angst vor Veränderung ist der größte Feind der CSU, die Gesellschaft im Umbruch ihre größte Herausforderung.

Täglich wird es schwerer, die Fliehkräfte zusammenzuhalten

Lange ist es der Volkspartei CSU gelungen, Bayern in seinen Widersprüchen abzubilden: Stadt und Land, Unternehmer und Arbeiter, Bewahrung und Fortschritt, Einheimische und Zugezogene. Jetzt wird es täglich schwerer, die Fliehkräfte zusammenzuhalten. Die CSU habe den Alleinvertretungsanspruch für das bürgerliche Lager, sagt der neue Generalsekretär Markus Blume. Das ist ein verständlicher Wunsch, mehr aber nicht, denn die Erosion setzt sich fort: Vor zehn Jahren zogen die Freien Wähler in den Landtag ein, es war eine Antwort der Wähler auf die Arroganz der CSU-Macht. Und bald wird wohl auch die AfD im Plenum sitzen.

Seehofer hatte das richtige Gespür, als er der CSU mehr Demut gegenüber der Bevölkerung verordnete. Die interne Debattenkultur aber hat unter ihm gelitten. Zu viele Manager der Macht hat die CSU, zu wenige Vordenker. Söder hat nur Bayern im Blick, Bundespolitik kümmert ihn wenig. Doch je mehr sich die CSU als bayerische Lobbypartei inszeniert, desto mehr verzwergt sie sich auf Dauer. Sicher, mit Seehofer in Berlin und Söder in München ist die CSU derzeit am besten aufgestellt. Doch von der alten Erfolgsformel spricht auch jetzt keiner mehr. Das letzte 50 plus x war 2004 bei einer Europawahl, 14 Jahre ist das her. Und manch einem in der CSU dämmert daher die schlimmste aller Fragen: Sind wir auch nur noch eine normale Partei?

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