CSU-Klausur in Wildbad Kreuth:Auch Macht hat ein Verfallsdatum

Die CSU-Landtagsfraktion trifft sich im verschneiten Wildbad Kreuth, um das Jahr vorzubereiten und die Frage zu stellen: Läuft die Zeit an der Macht womöglich bald ab? Denn fest steht: Die Partei kann keine Extrawurst mehr beanspruchen, die Formel "Bayern = CSU" geht nicht mehr auf.

Mike Szymanski

Auch Macht hat ein Verfallsdatum. Die CSU ist von allen Parteien allerdings jene, die es verstanden hat, diesen Termin am längsten für sich hinauszuzögern. Sie ist eine Ausnahmeerscheinung in der Parteienlandschaft, und das Ende dieser Eigenschaft war ihr oft prophezeit worden. Dennoch hat sie sich seit 1957 im Freistaat an der Regierung halten können.

CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth

Trübe Aussichten: Die CSU hat sich wie schon vor zwei Wochen zur Klausurtagung in Wildbad Kreuth getroffen. (Archivbild vom 6. Januar)

(Foto: dapd)

Allein dies begründet ihre Sonderrolle im Bund. Deshalb durfte die CSU stets die Extrawurst beanspruchen. Wenn sich von diesem Dienstag an die Abgeordneten der CSU-Landtagsfraktion ins Bergidyll von Wildbad Kreuth zurückziehen, um das Jahr vorzubereiten, dann stellt sich ihnen auch die Frage, ob die Zeit an der Macht womöglich bald abläuft: Haltbar längstens noch bis zur Bundes- und Landtagswahl 2013?

In Bayern ticken die Uhren auch nicht mehr anders als im Rest der Republik. Sie gehen in jedem Fall nicht mehr langsamer, auch wenn die CSU sich das so sehr wünscht. Die Selbstherrlichkeit, die sich nach der Landtagswahl 2003 in der Partei einstellte, die Edmund Stoiber das Erlebnis einer Zweidrittelmehrheit bescherte, ist in knapp zehn Jahren einem Gefühl der Angst gewichen.

Das erste Mal seit Jahrzehnten hat ein Oppositionsbündnis realistische Chancen, die CSU aus der Regierung zu verdrängen. Es besteht aus SPD, Grünen und Freien Wählern und wird vom beliebten, sozialdemokratischen Münchner Oberbürgermeister Christian Ude angeführt. In Umfragen trennt die Angreifer und die CSU nur noch ein Prozentpunkt.

Erfolgreich, aber kalt

Früher konnte nur die CSU sich selbst wirklich gefährlich werden; immer dann, wenn sie sich Intrigen und Affären hingab. Heute aber ist die CSU verletzlich geworden. Sie befindet sich in einem Transformationsprozess, wie ihn die Partei zuletzt so heftig nach dem Tod von Franz Josef Strauß durchlebt hat. Auch damals machte sich Existenzangst breit. Zwar sah es zunächst so aus, als würde mit Max Streibl als Ministerpräsident und Theo Waigel als Parteichef der Übergang gelingen. Dann aber versank die CSU im Strudel der "Amigo"-Affäre, die den überforderten Streibl schließlich das Amt kostete.

Erst mit dem Nachfolger Edmund Stoiber schaffte die CSU die personelle wie inhaltliche Erneuerung. Der Technokrat Stoiber hatte Bayern bis zu seinem Sturz vor genau fünf Jahren nach seinen Maßstäben komplett neu vermessen: Laptop und Lederhose, dies war sein Leitmotiv, das er wie ein Besessener verfolgte. Auf dem Höhepunkt seines Reformeifers war Bayern viel mehr Laptop als Lederhose - eine bis in die letzte Faser durchsanierte Bayern-AG, als dessen Chief Executive Officer der Ministerpräsident und Parteichef sich verstand und in der selbst das Blindengeld nur noch ein lästiger Kostenfaktor war. Stoibers Bayern war erfolgreich, aber kalt.

Seinen Erben ist es nicht mehr gelungen, überhaupt eine Idee für den Freistaat zu entwickeln. Seine beiden halben Nachfolger, Günther Beckstein als Ministerpräsident und Erwin Huber als Parteichef, kamen in ihrer kurzen Zeit nicht voran. 2008 wurde die CSU bei der Landtagswahl mit 43,4 Prozent abgestraft und in eine Koalition mit der FDP gezwungen.

Die Zäsur in der Geschichte der CSU

Diese Niederlage markiert eine Zäsur in der Geschichte der CSU. Das Ende eines bayerischen Sonderwegs hat damals seinen Anfang genommen. Der heutige Parteichef Horst Seehofer führt seine CSU wohl nicht mehr zur alten Stärke zurück, sondern schnurstracks in die Normalität. Allenfalls die Mehrheit der Mandate scheint noch erreichbar zu sein. Die Zeiten, in denen die CSU mit Wahlergebnissen jenseits der 50 Prozent rechnen konnte, dürften für immer vorbei sein. Der Letzte, dem sie in der Partei ein solches Kunststück zugetraut hatten, hat sich selbst als Blender entlarvt; Karl-Theodor zu Guttenberg wird dafür nicht mehr in Frage kommen.

Die Bürger haben auch keinen Grund, es zu bereuen, die Alleinherrschaft der CSU gebrochen zu haben. Wirtschaftlich steht Bayern unter Schwarz-Gelb so gut wie nie da (auch wenn die Liberalen daran den geringsten Anteil haben). Allenfalls ein Drittel der Bayern wünscht sich heute eine allein von der CSU geführte Staatsregierung zurück.

Zur Faktenlage gehört auch: In den vergangenen 20 Jahren hat die Einwohnerzahl in Bayern um eine Million zugenommen. Ein großer Teil kommt aus anderen Bundesländern, wenn nicht aus dem Ausland - allen ist gemeinsam, dass sie nicht mit der "Staatspartei" CSU aufgewachsen sind. Viele von ihnen ziehen zwar gerne für das Oktoberfest die Lederhose an; das heißt aber nicht, dass sie automatisch CSU wählen. Die Formel "Bayern = CSU" geht nicht mehr auf.

Seehofer versucht, darauf zu reagieren. Er hat seiner von Männern dominierten Partei eine Frauenquote aufgezwungen, damit sie moderner und attraktiver auch für Wählerinnen wird. Seehofer lässt - anders als Stoiber - seine Partei diskutieren, auch wenn dies draußen als Streit wahrgenommen wird.

Er verkämpft sich weder für Wehrpflicht noch für Atomkraft, wenn die Mehrheit der Deutschen der Meinung ist, beides brauche es nicht mehr. Man kann all dies bedauern, weil die CSU so aufhört, eine besondere Partei zu sein und sich dem Zeitgeist anschließt. Aber ihr bleibt auch nichts anderes übrig.

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