Wildbad Kreuth:Mit welchen Mitteln die CSU Merkel doch noch überzeugen will

Drastische Schilderungen der bayerischen Lebenswirklichkeit in Sachen Flüchtlinge reichen nicht. Die Kanzlerin lässt Kritik abprallen. Jetzt setzen die Christsozialen auf Merkel-Gegner in der CDU.

Von Daniela Kuhr und Wolfgang Wittl

Trotz aller Anspannung in Kreuth - ihren Humor hat die CSU noch nicht verloren. Zum Besuch der Kanzlerin am Mittwoch werden an Journalisten kleine Schildchen verteilt, damit sie für die Sicherheitskräfte leichter zu identifizieren sind. Sie zeigen Angela Merkels Oberkörper, an dem ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift "CSU" baumelt. Darüber faltet die Kanzlerin mit den Händen ihre berühmte Merkel-Raute. Die CDU-Chefin sieht so aus, als habe sie das CSU-Herz in ihr eigenes Herz geschlossen. Der Wahrheit näher kommt da ein Schild, das auf dem Weg zum Tagungszentrum aufgestellt ist: "Vorsicht, Dachlawine." Und es ist ja auch einiges ins Rutschen geraten im Verhältnis zwischen den Unionsschwestern CDU und CSU, nicht erst seitdem der Winter eingekehrt ist.

Der Ärger in der CSU über den Flüchtlingskurs der Kanzlerin wird vermutlich nur noch von der Hilflosigkeit übertroffen bei der Frage, wie man Merkel von einer Abkehr überzeugen kann. Ganz gleich, was die Bayern in den vergangenen Monaten unternommen, egal welches Register sie gezogen haben: Die Kanzlerin zeigte sich unbeirrt. Und so sagt Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer am Mittwoch, unmittelbar vor Merkels Eintreffen in Kreuth, von ihrem Besuch bei der Landtagsfraktion erwarte er sich "eigentlich nichts".

Wenige Minuten später darf Seehofer sich bestätigt fühlen. Merkel tritt vor die Kameras und betont, wie wichtig es gerade in diesen herausfordernden Zeiten sei, miteinander zu reden, auch wenn man sich nicht in allem einig sei. "Worin wir uns einig sind, ist, dass wir die Zahl der ankommenden Flüchtlinge nachhaltig und spürbar reduzieren müssen." Ein Satz, den man in den vergangenen Wochen wieder und wieder von ihr gehört hat. Dann erzählt Merkel noch kurz, dass sie weiterhin auf internationale Gespräche setze, und schon verabschiedet sie sich. Gemeinsam mit Horst Seehofer geht sie nach drinnen, wo die Landtagsabgeordneten die Kanzlerin schon erwarten.

Die CSU baut auf Merkels Gegner in der CDU

Selten war die Entschlossenheit der CSU-Fraktion, die sich als Kraftzentrum der Partei versteht, größer, das zeigt schon die Rednerliste. Fast jeder Abgeordnete hat das Bedürfnis, der Kanzlerin ein paar Takte mit auf den Weg zu geben. Benimmregeln wurden vorher nicht aufgestellt, aber selbst hier weiß man, dass Krawall keinen Eindruck bei Merkel hinterlässt. Ein Vorfall wie beim CSU-Parteitag, als Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne wie ein Schulmädchen dastehen ließ, sollte nicht noch einmal passieren, man wolle nah an der Sache bleiben, heißt es nun. Das gelingt nicht immer: ruhig, aber auch ruppig - so präsentieren sich die Gastgeber. Die Sache, das bedeutet nach Ansicht der CSU: die Situation an Bayerns Grenzen, überforderte Kommunen und Helfer, mit Flüchtlingen belegte Schulturnhallen, gravierender Wohnungsmangel. Ein paar Abgeordnete meinen, man müsse Merkel die Lebensrealität nahebringen. Andere halten dagegen: Wer glaube, die Kanzlerin sei nicht informiert, täusche sich.

Aber wie soll man Merkel dann zu Korrekturen bewegen? Es gebe noch viele Möglichkeiten, sagt Seehofer. Welche, will er nicht verraten, um seine Position nicht zu schwächen. Der CSU-Vorsitzende zeigt sich von seinem Schwächeanfall am Tag zuvor erholt, bereits abends hatte er wieder alle Sitzungen bestritten. Den Münchner Kardinal Reinhard Marx empfängt er am Mittwoch trotzdem lieber drinnen, um nichts zu riskieren. Klar ist, die CSU baut auf Merkels Gegner in der CDU. Vor allem deren Druck könne Merkel zu einer Kurskorrektur veranlassen.

Gebannt blickt man auf die Landtagswahlen im März in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Sollte die CDU schlecht abschneiden, werde eine Reaktion unvermeidlich sein. Auch wenn die CDU an die Landesregierung komme, beim Stimmenanteil aber abstürze, werde sich etwas ändern. Die Abgeordneten in anderen Ländern und im Bund würden dann zu zweifeln beginnen.

Die Optionen der CSU indes sind begrenzt: Das bayerische Kabinett will die Bundesregierung schriftlich auffordern, an den Grenzen "wieder rechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen", sonst werde man vor dem Verfassungsgericht klagen. In einer einstimmig verabschiedeten Resolution wurden Merkel zwölf Punkte vorgelegt, um die Flüchtlingszahlen zu begrenzen. Um etwa in ein Kontingent von maximal 200 000 Asylbewerbern aufgenommen zu werden, sollen die Flüchtlinge ihren Antrag "nicht an der deutschen Grenze, sondern nur und bereits in den Ländern" stellen, in denen sie zuerst Schutz suchten. Drastischere Schritte, etwa eine Ausweitung der CSU auf Bundesebene, schließen selbst Merkels größte Kritiker aus. Aber die Minister aus der Bundesregierung abziehen - warum nicht?

Einen Sturz Merkels wünscht im Grunde niemand

Es werde der Zeitpunkt kommen, an dem man Merkel nicht mehr unterstützen könne, sagt ein einflussreicher CSU-Mann. Diese Flüchtlingspolitik sei Mitte des Jahres vorbei - "so oder so". Keiner könne "lange eine Politik mittragen, die er für falsch hält", sagt Fraktionschef Thomas Kreuzer. Manche hoffen, dass Merkel die europäischen Flüchtlingsgipfel im Februar und März nutze, um innenpolitisch einzulenken. Sie könne dann guten Gewissens sagen, sie habe alles versucht, und würde nicht ihr Gesicht verlieren. Einen Sturz Merkels wünscht in der CSU im Grunde niemand, es schließt ihn aber auch keiner mehr aus, wenn die eigene Existenz gefährdet ist. Je näher die CSU auf die Wahlen im Bund (2017) und im Land (2018) zusteuert, desto kompromissloser wird sie vorgehen.

Der Mann, der für die Nachfolge aus CSU-Sicht am ehesten infrage kommt, trat am Mittwoch kurz vor Merkel auf. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stellte gleich einmal klar, dass er zu Flüchtlingen nichts sagen werde. Denn: "Entweder sage ich dasselbe wie die Kanzlerin, das wäre langweilig. Oder ich sage das Gegenteil, dann hätte ich ein Problem." - "Bei uns nicht", antwortete ihm prompt die Fraktion wie im Chor.

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