Christian Stückl im Interview:"Über was lacht Gott? Über Planung!"

Waren die Passionsfestspiele in Oberammergau ein Erfolg? Machen Sie es in zehn Jahren noch einmal? Ist die Wiesn nicht auch nur ein Volksschauspiel? Ein Gespräch mit dem Intendanten Christian Stückl.

Tobias Dorfer und Lars Langenau

Löwenbräu-Zelt, SZ-Wiesntisch. Christian Stückl kommt ein wenig zu früh - und geht gleich wieder: Erst mal nach draußen, eine rauchen. Der 48-jährige Intendant des Münchner Volkstheaters hat seit dem 15. Mai die Passionsfestspiele in Oberammergau inszeniert, die am Sonntag zu Ende gehen und erst in zehn Jahren wieder aufgeführt werden. Stückl ist gutgelaunt, aber sein Unbehagen im Wiesnzelt ist ihm anzumerken. Er trinkt Kaffee, kein Bier. Das hier ist nicht seine Welt. Nicht sein Theater.

Christian Stückl im Interview: Christian Stück, Intendant der Oberammergauer Passionsspiele und des Münchner Volkstheaters: Über was lacht Gott? Über Planung!

Christian Stück, Intendant der Oberammergauer Passionsspiele und des Münchner Volkstheaters: Über was lacht Gott? Über Planung!

(Foto: Stephan Rumpf)

Trotzdem ist es Zeit für eine persönliche Bilanz des vergangenen halben Jahres. Zum besseren Verständnis haben wir sein bairisches Idiom weitgehend ins Hochdeutsche übertragen.

sueddeutsche.de: Am Sonntag gehen die Passionsfestspiele in Oberammergau zu Ende. Sind Sie in zehn Jahren wieder der Regisseur?

Christian Stückl: Das ist ja momentan alles noch ganz lustig. Jeden Tag stehen Kinder in Oberammergau, zum Teil mit Zetteln, und die fragen: "Kannst du es mir bitte schriftlich geben, dass ich das nächste Mal Johannes werde!" Ich sage dann: "Kommt gar nicht in Frage." Warum? Weil's dann vielleicht einen anderen Regisseur gibt. Ich weiß im Moment wirklich nicht, ob ich es noch einmal machen werde.

sueddeutsche.de: Aber die Bereitschaft wäre da?

Stückl: Seitdem ich gewählt wurde, liegen 25 Jahre zurück, das ist die Hälfte meines Lebens. Bis zu den nächsten Passionsspielen sind es noch zehn Jahre und da weiß ich doch noch gar nicht, wohin es mich treibt. Der Geist ist schon da, aber ich habe wirklich keine Ahnung. Fünf Mal hat der Vater vom Ernst Maria Lang die Passionsfestspiele inszeniert, das habe ich nicht vor. Ich erzähle Ihnen einen Witz: Über was lacht Gott? Über Planung!

sueddeutsche.de: Münchens Oberbürgermeister Christian Ude soll schon einen Nachfolger für sein Amt installiert haben. Ist das Christian Stückl für die Leitung des Münchner Volkstheaters auch gelungen?

Stückl: Ich probiere es. Im Volkstheater machen wir seit zehn Jahren dieses Krippenspiel - ich habe es jetzt beispielsweise einem 17-Jährigen übertragen. Und vor zehn Jahren habe ich einen kleinen Stöpsel gehabt, der hat bei der ersten Probe ganz laut mitgesungen, das war der Abdullah. Zehn Jahre später kam er zu mir ins Theater und meinte, er habe mich ununterbrochen beobachtet, jetzt wolle er Regisseur werden. Er ist seit anderthalb Jahren mein Assistent und bewirbt sich im November für Regieschulen. Irgendwann muss ein Junger da sein, der sagt: "Ich mach' jetzt." Und ich habe da keine Berührungsängste.

sueddeutsche.de: Die Vorberichterstattung zur diesjährigen Passion war ja durchaus durchwachsen, da hieß es, dass wegen der Finanzkrise die Amerikaner wegbleiben. Wie war es tatsächlich?

Stückl: Es sind 80.000 Arrangements zurückgekommen. Vom englischen und amerikanischen Markt. Aber am Ende waren die alle wieder weg. Und wir haben noch zwei Zusatzspiele gemacht. Wir haben fast 100 Prozent Auslastung. Letztendlich haben wir mit den Spielen Gewinn machen können. Die Wirtschaftskrise war aber auch gut für das Spiel, weil wir so Bewegung in die Besucherströme gekriegt haben. Plötzlich konnten Leute auf Karten zugreifen, die früher gedacht haben, wir bekommen doch eh keine Tickets mehr.

sueddeutsche.de: Was waren das für Leute?

Stückl: Jüngere. Man hat ja nix gegen ältere Leute, aber jetzt am Montag beim Zusatzspiel war der Altersdurchschnitt plötzlich nicht mehr bei 70, sondern bei 50 Jahren. Das war gut.

sueddeutsche.de: Auch bei den Zusatzterminen waren die 5000 Plätze weg?

Stückl: Die Tickets waren in zwei Tagen weg. Es war jeden Tag ein Riesenandrang an der Theaterkasse. Im Internet hieß es, es gibt 45 oder 50 Karten - und dann sind da 300 Leute an den Kassen gestanden. Wir mussten zwei Mal die Polizei holen, weil sie sich geschlägert haben.

sueddeutsche.de: Sie wollten die Passionsspiele auch mal auf dem Petersplatz in Rom aufführen. Existiert die Idee noch?

Stückl: Das war vor zwei Jahren. Da war ich schon auf Sponsorensuche. Aber der Gemeinderat hat es dann niedergebügelt.

sueddeutsche.de: Die wichtigsten Rollen hatten Sie ja doppelt besetzt. Wie ist das mit Krankheitsfällen gewesen?

Stückl: Kurz nach der Premiere hat Jesusdarsteller Andreas Richter eine Erkältung gehabt. Und als er gesund war, hat Frederik Mayet eine bekommen. Bei Jesus hatten wir also keine Probleme. Bei den Priesterrollen hatte allerdings jemand Pfeiffersches Drüsenfieber bekommen und ist wochenlang ausgefallen.

sueddeutsche.de: Von der Kritik gelobt wurde vor allem auch der stark überarbeitete Text, der von Antijudaismus vollkommen befreit wurde und Jesus als jüdischen Reformrabbi erscheinen lässt. Wie haben Sie das gemacht neben Ihrer Münchener Intendantentätigkeit?

Stückl: Letztlich ist das ja eine kontinuierliche Arbeit. Ich beschäftige mich schon mit dem Thema, seit ich 15 Jahre alt geworden bin. Man kommt da nicht raus. Plötzlich fällt einem ein, wie die Szene läuft und dann setzt man sich hin und schreibt. Und dann ist es auch egal, ob man am nächsten Tag in München eine Probe hat. Außerdem kann ich nachts eh am besten schreiben.

sueddeutsche.de: Allgemein gab es für die aktuelle Inszenierung vorwiegend Lob.

Stückl: Es gab schon ein paar Kritiker, die auch wirklich kritisiert haben. Aber es hat sich in Grenzen gehalten.

sueddeutsche.de: Im Vorfeld gab es dafür großen Ärger in der Gemeinde. So wurde das neue ausfahrbare Glasdach kritisiert, das die Schauspieler vor Regen schützen sollte. Ist die Neuerung nach diesem durchwachsenen Sommer inzwischen allgemein anerkannt?

Stückl: Das Dach war ein Segen. Im Dorf haben sie gesagt: Teuer war es schon, aber gut ist es auch. Drei Millionen hat es gekostet, fünf Millionen hat es gebracht.

sueddeutsche.de: Was kommt am Montag, wenn es vorbei ist mit Oberammergau?

Stückl: Vorgestern war ich auf einer Generalprobe von Anna Karenina. Ich freue mich richtig und falle in kein Loch. Kürzlich hat jemand zu mir gesagt: "Du fühlst dich überflüssig." Auf meine Nachfrage erklärte er: "Man sieht es dir an!" Da hab ich gesagt: "Hast schon recht." Wennst a Kind in Oberammergau fragst, was Stückls häufigstes Wort sei, dann heißt es: "Pschschschschscht! Ruhe hinter der Bühne!"

Kleine Strafen in Oberammergau

sueddeutsche.de: Mussten Sie in Oberammergau viel disziplinieren?

Stückl: Ich habe da einen furchtbaren Menschen in einer Hauptrolle, der hat nur Blödsinn im Kopf. Als Angela Merkel im Publikum saß, hab' ich gedacht, den muss ich mir greifen. Der muss einfach wissen, dass ich da bin, sonst sagt der zu seiner Frau auf der Bühne plötzlich "Angela". Er hat dann tatsächlich keinen Blödsinn gebaut. Ansonsten hätte ich ihn für den Rest der Spiele nach Hause geschickt.

sueddeutsche.de: Es gibt in Oberammergau für Vergehen beim Theaterspielen ja allgemein viele kleine Strafen für die Darsteller.

Stückl: Das stimmt und deshalb disziplinieren sie sich selber. Wenn es heißt, Lachen auf der Bühne kostet fünf Euro, dann passt jeder auf.

sueddeutsche.de: Man hat den Eindruck, Deutschlands gesamte Politprominenz war dieses Jahr in Oberammergau. War Horst Köhler in seiner Amtszeit als Bundespräsident auch da?

Stückl: Er war angemeldet, ist dann aber zurückgetreten. Dafür hat Christian Wulff seinen Termin übernommen.

sueddeutsche.de: Bei der Premiere war auch der Vatikan hochrangig vertreten ...

Stückl: ... und am letzten Spieltag sollen offenbar 50 Bischöfe von der Deutschen Bischofskonferenz noch kommen.

sueddeutsche.de: Also dann dürfen Ihre Darsteller da auch keinen Blödsinn machen?

Stückl: Bei unserer letzten Aufführung sind erfahrungsgemäß alle emotional sehr aufgeladen. Den alten Herren, die mit 70, 80 Jahren, die da jetzt noch auf der Bühne stehen, denen laufen den ganzen Tag die Tränen runter. Sie merken, das ist ihr letztes Spiel.

sueddeutsche.de: Für einen Novizen ist es ungewöhnlich, dass bei Passionsspielen nicht geklatscht wird. So war es zumindest bei der Premiere, da hat am Ende tatsächlich keiner applaudiert.

Stückl: Das habe ich anders in Erinnerung, aber ich kann mich irren. Zumindest hat sich das geändert. Es gab mal eine Vorstellung, wo sie nach jeder Szene geklatscht haben. Bei Judas' Verzweiflung zählen die Soldaten mit, welcher Judas am meisten Applaus bekommt. Weil da auch zwischendrin geklatscht wird. Es stand, glaube ich, bei den Judas-Darstellern Carsten Lück und Martin Norz nachher 5:5.

sueddeutsche.de: Hätten Sie es sich gewünscht, dass nicht geklatscht wird?

Stückl: Das ist mir völlig egal. Das kann man auch nicht bremsen. Wir gehen hinterher nicht auf die Bühne. Aber dass die Leute klatschen, ist völlig okay. Der Papst wird ja auch beklatscht, wenn er auf die Bühne geht. Aber es gibt auch viele, die das nicht mögen. Die mit Stille rausgehen wollen.

sueddeutsche.de: Wir sitzen hier an einem Wiesn-Tisch. Da müssen wir auch über das Oktoberfest reden. Das ist hier ja auch eine Art Volkstheater ...

Stückl: Ich gehe so selten auf die Wiesn, dass ich gar nicht über die Wiesn reden möchte. Aber es ist lustig, wie sich die Stadt verändert mit den ganzen Dirndln und Lederhosen. Da holt jeder sein Gewand raus. Ein wenig Theaterhaftes hat es schon. Ich weiß ja nicht, wie der Münchner Fasching aussieht - aber so ähnlich stelle ich mir das vor. Das hat sich offenbar verschoben aufs Oktoberfest.

Mitarbeit: Sabine Buchwald und Franz Kotteder

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