Brexit, Brüssel, Bayern:Mit Stoiber in der Achterbahn

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Immer auf Zack: Edmund Stoiber (CSU) mischt selbst mit inzwischen 74 Jahren noch in der großen Politik mit.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Auf einer Veranstaltung kämpft der frühere Ministerpräsident für Europa und mit 52 Seiten Schnullerverordnung

Von Maximilian Gerl

Öffentliche Auftritte von Edmund Stoiber ähneln einer Achterbahnfahrt. Das liegt weniger an seiner berühmten Transrapid-Rede, sondern daran, dass sie ihre Höhen und Tiefen haben und doch nie langweilig werden. Für Dienstagabend hatte der Bayerische Wirtschaftsbeirat zu einer solchen Fahrt geladen, im Bayerischen Hof in München soll der Ministerpräsident a. D. über den Brexit sprechen. Aber Stoiber fehlt. Er wurde "Opfer der Restrukturierung der Infrastruktur", wie Klaus Josef Lutz vom Wirtschaftsbeirat sagt. Heißt: Stoiber steht im Stau.

Mit einer Viertelstunde Verspätung eilt Stoiber in den vollbesetzten Saal und auf die Bühne. Als Vollprofi, erfahren von unzähligen Auftritten, ist er sofort in seinem Element. Er sei irgendwann aus dem Auto gestiegen und zu Fuß weitergegangen, berichtet er dem Publikum. Dann kommt er zum Thema: Am 30. Juni, wenige Tage nach dem Brexit-Referendum, habe er mit Lutz telefoniert. "Wir haben uns unterhalten, auch über viele Dinge."

Wenn er in Fahrt kommt, dann kriegt auch das Mikro eine Watschn ab

Stoiber treiben viele Dinge um. Bevor er deshalb weiter über die Briten und ihr Nein zu Europa spricht, lobt er die Österreicher und ihr klares Nein zur Türkei. Deren Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte kürzlich dafür plädiert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara auszusetzen. Für Stoiber eine Aussage, die sich "wohltuend" von dem abhebe, was er aus Brüssel oder Berlin höre. "Ich finde es gut, wenn man die Dinge beim Namen nennt", sagt er.

Langsam nimmt Stoiber Fahrt auf, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um auf das Thema des Abends einzugehen, den Brexit. Wirtschaftlich gesehen treffe Großbritannien ein Austritt aus der EU hart, erklärt Stoiber. Im Mai habe das britische Wirtschaftswachstum bei 2,3 Prozent gelegen, für kommendes Jahr seien nur noch 0,8 Prozent prognostiziert. Aber die ökonomische Sichtweise greife zu kurz, Europa ist ein komplexes Gebilde. "Lassen Sie mich einen Vorspann machen, den ich schon gemacht habe", sagt Stoiber.

Womit er beim Thema Flüchtlinge wäre. Er wiederholt, was er schon bei anderen Gelegenheiten gesagt hat: Eine Obergrenze für Flüchtlinge sei nötig, weil "wir das nicht schaffen", anders als von Bundeskanzlerin Angela Merkel behauptet. Europa komme bei der Lösung der Flüchtlingsfrage eine Schlüsselrolle zu, "ob uns das gefällt oder nicht". Und letztlich brauche die EU ein einheitliches Asylsystem und eine bessere Überwachung der Außengrenzen. "Da ist mir zu wenig geschehen", sagt Stoiber, er will, dass europäische Marineverbände vor der libyschen Küste patrouillieren. "Das wäre eine Aufgabe!" Und: "Die EU ist eine Stabilitätsinsel in einer zunehmend unsicheren Welt!" Stoiber hält jetzt ein flammendes Plädoyer für Europa, ein Kampf, den er am Rednerpult so vehement führt, dass das Mikro prompt eine Watschn mitbekommt.

Stoiber besinnt sich. "Über was reden wir eigentlich?", sagt er und meint es rhetorisch. Undeutliche Zurufe aus dem hinteren Teil des Saals deuten an, dass manche Zuhörer sich das auch fragen, ganz unrhetorisch. Stoiber kommt zurück zum Brexit: "Ich war genauso überrascht wie die meisten Anwesenden." Aber die Entscheidung sei demokratisch gefallen, "und sie wird auch vollzogen werden". Der EU empfiehlt Stoiber, sich zu überlegen, an welchen Stellen sie Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten zurückverlagern könnte, um Bürokratie ab- und Vertrauen aufzubauen. Ein EU-Ausschuss habe mal über "52 Seiten Schnullerverordnung" beraten, erzählt Stoiber: Als er nach dem Sinn gefragt habe, sei er "fast an die Wand gestellt worden".

Nach einer Stunde ist Stoiber fertig. "Wow", sagt Lutz, "das war ein fulminantes Bekenntnis zu Europa." Es folgen Fragen aus dem Publikum, auf die Stoiber auch eine Antwort weiß, wenn sie als Meinung daherkommen. Dann gibt es für alle Nervennahrung. Ende der Achterbahnfahrt.

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