Brennerbasistunnel:Österreich gräbt, Deutschland schläft

Am Brenner haben die Vorarbeiten für den Basistunnel längst begonnen, im bayerischen Inntal gibt es dagegen noch nicht einmal Planungen für die Zufahrten dorthin.

Heiner Effern

Mit jedem Meter in den Berg hinein wird es düsterer, mit jedem Atemzug ziehen feiner Staub und der saure Geruch von Spritzbeton in die Lungen. Unten an der Ortsbrust, wie die Bergmänner die Front des Tunnels nennen, blinken die Lichter der schweren Fahrzeuge, alle vier Stunden werden hier untertage zwei Meter Fels gesprengt. Aus der Tiefe des Lochs schießt ein Bergmann auf einem vierrädrigen Fahrzeug, einer Mischung aus Geländewagen und Unimog, in Bocksprüngen auf der unebenen Piste vorbei, als wenn er auf der Flucht wäre.

Das Dröhnen der schweren Maschinen noch in den Ohren, mit Blick auf die Europabrücke und den Brenner sagt der Rosenheimer Landrat Josef Neiderhell draußen an der frischen Luft: "Faszinierend. Da geht was voran. Dabei hört man bei uns immer, die Österreicher fangen erst irgendwann mit dem Bauen an."

Mit "bei uns" meint der Landrat die Bundesregierung und die Deutsche Bahn. Die vermitteln den Bewohnern des bayerischen Inntals den Eindruck, der Brennerbasistunnel sei ein so unsicheres Projekt, dass man sich um die Zufahrten auf bayerischer Seite noch nicht kümmern müsse. "Wir haben daher noch genügend Zeit, eine Schienentrasse zu finden und mit ausreichendem Lärmschutz zu planen", schrieb etwa Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer am 21. März an den Landrat. Die Fertigstellung des Brennerbasistunnels sei ja erst 2025 geplant.

An diesem Termin zweifeln Neiderhell und auch die Bürgermeister des bayerischen Inntals nach dem Besuch in Tirol nicht mehr. "Wir müssen sofort mit den ersten Vorplanungen beginnen", fordert Neiderhell. In 14 Jahren zwei neue Gleise von München an die Tiroler Grenze zu bauen, hält er für eine extrem sportliche Aufgabe. Die Bohrung des Erkundungsstollens in den Brenner hinein ist für ihn ein deutliches Zeichen, dass die Österreicher und Italiener fester denn je entschlossen sind, den etwa 9,7 Milliarden Euro teuren Tunnel zu bauen. Am vergangenen Dienstag erklärte der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter: "Die letzten Unklarheiten sind ausgeräumt, die notwendigen Beschlüsse vorhanden. Damit steht dem Baustart am 18. April nichts mehr im Weg."

Der Beginn der sogenannten Hauptbauphase hat allerdings noch nichts mit dem Bau der zwei 55 Kilometer langen Röhren zu tun, in denen später die Züge im eingleisigen Betrieb zwischen Innsbruck und Franzensfeste in Südtirol verkehren sollen. Bisher graben Bauleute lediglich am Erkundungsstollen, der Aufschluss über mögliche Probleme beim eigentlichen Bau geben soll. Allein diese Vorbereitung soll Österreich 1,6 Milliarden Euro kosten. Simon Lochmann von der Gesellschaft für den Bau des Brennerbasistunnels (BBT) rechnet in einem Baucontainer in der Sillschlucht vor, warum sich das lohnt, obwohl der Gotthardtunnel als weitere Alpenquerung in der Schweiz deutlich vor dem Brennertunnel fertig sein wird.

"Im Jahr 2008 haben zwei Millionen Lkw den Brenner überquert. Fast 70 Prozent auf der Straße." Auch wenn der Gotthardtunnel Verkehr absaugen sollte, müsse wegen des prognostizierten Verkehrszuwachses der Brenner unterquert werden, weil sonst der Kollaps drohe. "Es gibt keinen anderen Weg."

Als Lochmann seine bayerischen Gäste vor der Baustelle für den Stollen oberhalb von Innsbruck verabschiedet, ist Wolfgang Berthaler, Bürgermeister von Flintsbach, hin- und hergerissen. "Beeindruckend, was technisch möglich ist. Und deprimierend, wie man das bei uns ignoriert." Er denkt an die Karte, auf der ein Filzstiftstrich quer durch die Natur geht - die einzige Idee für die neue Zulauftrasse, die bisher vom Bundesverkehrsministerium kam. "Man kommt sich verarscht vor", sagt Berthaler.

Neidisch blicken der Flintsbacher Bürgermeister und seine Kollegen ins Inntal nach Tirol. Dort zeigt ihnen Martin Pellizzari von der Österreichischen Bundesbahn ÖBB, wie eine moderne zweigleisige Trasse für den Güterverkehr im engen Inntal aussehen könnte. Dafür steigt er mit seinen Gästen in einem Schacht etwa 20 Meter in die Tiefe, stemmt eine schwere Stahltür auf und steht am Rand von zwei frisch verlegten Gleisen. Die Oberleitung fehlt noch, Restarbeiten sind noch zu erledigen, doch Ende 2012 sollen die gesamten 40 Kilometer der neuen Trasse zwischen Innsbruck und Kundl bei Wörgl in Betrieb gehen.

Nicht weniger als 32 Kilometer davon verlaufen im Berg oder unter der Erde des Inntals. Etwa 2,4 Milliarden lässt sich Österreich diese Strecke kosten, die allerdings nicht nur als Brennerzulauf dient. Auf diesen 40 Kilometern wickelt Tirol auch den Ost-West-Verkehr von Salzburg nach Vorarlberg ab. 350 Züge fahren auf den bestehenden zwei Gleisen täglich. "Wir sind dort am Ende mit der Kapazität", sagt ÖBB-Mann Pellizzari. Der Neubau endet allerdings 20 Kilometer vor der bayerischen Grenze, für die Lücke gibt es zwar Planungen, die aber noch einen Haken haben. Niemand weiß, wo Deutschland den Anschluss an das eigene Gleisnetz haben will. "Bisher gibt es auch noch keinen Termin für den Beginn dieser Planungen", schrieb Verkehrsminister Ramsauer an den Rosenheimer Landrat.

Wie lange so ein Projekt bis zur Realisierung braucht, das haben die Oberbayern in Tirol erfahren: 16 Jahre wird es im Jahr 2012 gedauert haben, bis die 40 Kilometer der Unterinntalbahn fertig sind. "Und schlechter als in Tirol darf es für unsere Bewohner auch nicht sein", sagt Landrat Neiderhell. Zwei weitere Gleisen an der Oberfläche seien im Inntal "nicht vermittelbar". 200 Züge fahren jetzt schon auf den beiden Gleisen mitten durch die Dörfer. Mit Gewalt und zu Lasten des Lärmschutzes und des Nahverkehrs ließen sich wohl noch gut 50 Züge draufpacken. Zwei neue Gleise haben aber kaum mehr Platz. Denn durch das Inntal zwängen sich auch noch Inn, Autobahn, Erdöl-, Gas- und Hochspannungsleitung sowie die Staatsstraße.

In Tirol ist die Lage nicht besser, umso mehr imponierte dem Flintsbacher Bürgermeister Bernthaler dort die starke Bürgerbeteiligung bei der Suche nach der Trasse. "Wir haben vier Jahre dafür gehabt und dabei keinen Zeitdruck gespürt", sagt ÖBB-Mann Pellizzari. Genau das Gegenteil fürchtet Bernthaler in Deutschland. "Wir haben Angst, dass in Berlin einer etwas aus der Schublade zieht, und so wird dann gebaut." Kostengünstig, oberirdisch. "Das wäre tödlich für unsere Gemeinden. Die Lebensqualität wäre weg", sagt Bernthaler.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: