Brauchtum:Leonhardi-Fahrten: Selfie mit Pferd

Leonhardi-Ritte sind beliebt, die Leute pflegen die Tradition in Scharen. Weil es Brauch ist. Und weil sich so schöne Fotos machen lassen.

Von Toni Wölfl

7 Bilder

Farmers dressed in traditional Bavarian costumes ride in a wooden carriage on the way to the church of Reitham

Quelle: REUTERS

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Vielleicht war es nur ein Missverständnis, dass die Bauern den Heiligen Leonhard als Patron verehren und Prozessionen abhalten, die in den nächsten Tagen wieder Tausende Schaulustige anziehen werden. Denn der Heilige wird mit einer Kette in den Händen dargestellt, einer Viehkette, so deuteten sie wenigstens die Bauern. Dabei ist die Kette sein Symbol, weil der Heilige Leonhard ursprünglich der Patron der Gefangenen war.

Die Verwechslung hat sich längst etabliert. Beim größten Leonhardi-Ritt am Montag in Bad Tölz werden 10 000 Besucher erwartet, sagt Organisator Klaus Pelikan. Für den Referenten des Bürgermeisters ist das bevorstehende Ereignis besonders bedeutend, denn der Leonhardi-Ritt zählt seit diesem Jahr offiziell zum immateriellen Kulturerbe Bayerns. Langfristiges Ziel: Unesco-Weltkulturerbe.

Farmers' wives dressed in traditional Bavarian costumes ride in a wooden carriage on the way to the church of Reitham

Quelle: REUTERS

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"Der Weg dorthin ist sehr lang, aber erstrebenswert. Die Leonhardi-Fahrt soll so erhalten bleiben, wie sie schon immer war", sagt Pelikan. Deswegen gibt es strenge Regeln für die Fahrt: keine Reiterinnen und Brettlhupferinnen, nur vierspännige, eisenbereifte Wagen und zum Abschluss das Goaßlschnalzen. Dabei hat sich das Prozedere durchaus verändert.

Farmers with their wives and children dressed in traditional Bavarian costumes ride in a wooden carriage on the way to the church of Reitham

Quelle: REUTERS

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In den Anfangszeiten um 1772 sei es eher wild zugegangen, sagt Pelikan. "Es haben fast Wettfahrten stattgefunden." Seit 161 Jahren laufe die Fahrt nun in geordneten Bahnen, wie es von Pfarrer Pfaffenberger damals gewünscht worden sei. "Uns kommt's nicht aufs Event an. Die Mitfahrer machen's als Wallfahrt", sagt Pelikan. "Mit Alkohol sind wir zurückhaltend. Erst nach der Messe wird's etwas lockerer."

Farmers' wives and children dressed in traditional Bavarian costumes ride in a wooden carriage on the way to the church of Reitham

Quelle: REUTERS

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So planen viele Veranstalter, ob beim größten Leonhardi-Ritt in Bad Tölz oder beim ältesten in Kreuth, der 1442 schon stattgefunden haben soll. Und es kommen stets neue hinzu. "Mir sind vor allem Leonhardi-Ritte bekannt, die alte Traditionen wiederbelebt haben", sagt die Kreisheimatpflegerin im Landkreis Dachau, Birgitta Unger-Richter. So zum Beispiel in Pasenbach, wo ein Schaudepot mit traditionellen Umzugswagen besichtigt werden kann.

"Aber Bräuche sind nicht für immer festzementiert", sagt die Kunsthistorikerin. Der Begriff "Brauchtum" werde deshalb in der Fachsprache auch nicht mehr verwendet: zu starr, zu unveränderlich, zu "tümlich" eben. "Bräuche verändern sich mit den Lebensweisen und Lebensumständen der Menschen. In der zunehmend säkularen Gesellschaft werden religiös motivierte Bräuche deshalb künftig sicherlich große Veränderungen erfahren."

Farmers' children dressed in traditional Bavarian costumes ride in a wooden carriage on the way to the church of Reitham

Quelle: REUTERS

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Das merkt man schon jetzt: Die Segnung der Pferde und die Messe sind zwar immer noch Teil von Leonhardi-Fahrten. "Aber diese älteren Traditionsstränge haben Gesellschaft bekommen", sagt Manuel Trummer, Kulturwissenschaftler an der Universität Regensburg. "Neuere Aspekte wie lokale Identität, Nostalgie, Tourismus und Unterhaltung haben an Bedeutung gewonnen." Diese Veränderung wird von der Omnipräsenz der Handykameras begleitet: "Es gibt viel mehr Bilder." Spektakulärere Fotos entstünden, weil viel inszeniert werde. "Die Selbstdarstellung in Bezug auf Bräuche ist genauso groß wie überall sonst auch, zum Beispiel mit Selfies. Wir dürfen Bräuche nicht isoliert von der Gesellschaft betrachten. Und die Bilderflut kann auf den Brauch zurückwirken."

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Quelle: Hartmut Pöstges

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Wie die Kirchweih-Feste verschiedener Orte in der Oberpfalz zeigen, die Trummer als Beispiel nennt. Ausgewählte Fotos der Feiern seien auf Internetseiten gesammelt worden. "Das schafft Formen, verfestigt Vorstellungen und regt zu Nachahmung an." Die Folge: Die Feste ähnelten sich immer stärker, weil sich die Veranstalter an bildlichen Vorbildern orientierten. "Das kann, muss aber nicht zu einem Wettstreit der Brauchmacher führen", sagt Trummer. Wer hat das beste Fest, das schönste Pferd und den höchsten Maibaum? Und vor allem: Wer hat das beeindruckendste Foto davon?

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Quelle: Claus Schunk

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Der Ethnologe Rainer Wehse nennt noch andere Gründe für den Erfolg von Bräuchen: "Wir haben mehr Zeit und mehr Geld." Im Vergleich zum 19. Jahrhundert seien die Arbeitszeiten vieler Branchen gekürzt und die Löhne erhöht worden, sagt der ehemalige Dozent der Ludwig-Maximilians-Universität. "Und das Geld muss in der Freizeit irgendwohin. Die Ansprüche an das, wofür wir Geld ausgeben, sind höher." Ein Brauch wie der Leonhardi-Ritt biete sich dafür an: Der Schmuck für die Pferde kostet Geld, die Vorbereitung Zeit.

Der Drang nach Authentizität sei bei Bräuchen oft sehr groß, aber häufig fiktiv, sagt Wehse. "Es lässt sich nicht alles reproduzieren. In Wirklichkeit ist es meist anders als früher." Er beobachtet eine Polarität zwischen Altem und Neuem: "Der Bezug auf früher ist ein Wert an sich. Schon unter Karl dem Großen wurden Gesetze beibehalten, allein weil sie alt waren." Andererseits sei heutzutage alles Neue positiv konnotiert. "Mit Turnschuhen zum ganz alten Brauch - da sind wir ambivalent."

© SZ vom 04.11.2016/vewo
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