Schulen in Bayern:Wie viele Lehrer braucht das Land?

Schulfrieden

Zahlenspiel: Es sind nie genug Lehrer, sagen die einen. Der Finanzminister sieht das allerdings anders.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Individuelle Förderung, Ganztag, Inklusion - das geht nicht ohne ausreichend Personal an den Schulen. Der Lehrerverband fordert zwei Pädagogen pro Klasse, 20 000 neue Kollegen seien nötig. Das Kultusministerium winkt ab und verweist auf bereits geschaffene Stellen.

Von Anna Günther

Über kein Thema wird in der Bildungslandschaft so gestritten wie über Lehrerstellen. Die Verbände beklagen zu wenig Jobs, die angestellten Lehrer streiken, weil ihre Zukunft mit befristeten Verträgen ungewiss und die Bezahlung schlechter ist als die der Beamten. Zugleich verlassen jedes Jahr junge Lehrer die Unis und stehen, wenn sie nicht zu den Besten gehören, nach dem Referendariat auf der Straße. Das Problem ist: Alle Seiten haben irgendwie recht.

Über die Ziele sind sich die Betroffenen sogar einig: gleichen Zugang zu Bildung und gute Abschlüsse für alle Kinder. Niemand soll zurückbleiben, es geht um (Bildungs-)Gerechtigkeit und damit ums Prinzip. Die Allheilmittel auf dem Weg zur Gerechtigkeit heißen individuelle Förderung, Ganztag und Inklusion. Doch da ist auch Schluss mit der Einigkeit: Heuer investiert das Kultusministerium 11,2 Milliarden Euro, 2016 sollen es 11,5 Milliarden Euro sein. Die Verbände beklagen, dass Herausforderungen wie Flüchtlingskinder, Inklusion und der Ganztag nur mit deutlich mehr Personal zu meistern sind.

BLLV verlangt deutlich mehr Lehrerstellen

Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) verlangt 20 000 zusätzliche Stellen für alle Schularten. Mit dem "Schönreden" der Politik, dass die Unterrichtsversorgung doch gesichert sei, fühlen sich die Lehrer auf den Arm genommen, sagt die BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Die Realität und der Blick der Politik klafften dramatisch auseinander. Trotz kreativem Vertretungsplan lassen sich Personallücken oft nicht stopfen und Stunden fallen aus. Die Mobile Reserve aus etwa 2300 Lehrern ist oft schon im Februar nicht mehr verfügbar. An individuelles Fördern sei nicht zu denken. Die Lösung sieht Fleischmann im Zwei-Lehrer-Prinzip: Nur so sei es möglich, sich einzelnen Schülern intensiver zu widmen. Eine Volksschule wie Fleischmanns im Münchner Umland bräuchte aus ihrer Sicht bei 35 Klassen und 80 Lehrern mindestens zehn zusätzliche Pädagogen.

Der Bayerische Philologenverband (BPV) argumentiert mit dem Modellversuch Mittelstufe Plus: Das Interesse daran überstieg mit 60 Prozent der Siebtklässler an den 47 Schulen alle Erwartungen. Nur die Gymnasien sollen mit ihrem normalen Budget auskommen, aber in vier Jahren wird es eine zusätzliche Jahrgangsstufe geben, dann müssen schlagartig neue Lehrer her - ginge die Mittelstufe Plus 2017 an allen Schulen in Betrieb, erst recht. "Wir dürfen nicht jetzt hoch qualifizierte Lehrer nach dem Referendariat auf die Straße setzen, die später dringend benötigt werden", sagt Lisa Fuchs, die Chefin der Referendare und Junglehrer im BPV.

Das ist die nächste Crux: Nur für einen Teil der Referendare gibt es Stellen. In den beliebten Fachrichtungen wie Deutsch/Geschichte oder Deutsch/Sozialkunde für das Gymnasium gilt ein Notenschnitt von mindestens 1,48 beziehungsweise 1,25. Beim Grundschullehramt sind es 2,29. Der Run auf Gymnasien und Realschulen ist auch mit der Bezahlung zu erklären, diese Lehrer verdienen besser als ihre Kollegen.

Das Gerangel geht weiter

Wie viele Stellen es gibt, orientiert sich an der Zahl der Kinder - und die sinkt. 1,69 Millionen lernen heuer an Bayerns Schulen, 86 000 ihrer Lehrer bezahlt der Staat. Nur sieben Prozent von ihnen sind laut Kultusministerium Angestellte, die Hälfte davon befristet. Private und städtische Schulen kommen noch dazu. Das Ministerium antwortet Verbänden und Opposition stets mit blanken Zahlen: Seit 2008 wurden 5000 neue Stellen geschaffen, und 2200, die eigentlich wegen der sinkenden Schülerzahlen weggefallen wären, blieben im System. Demografische Rendite, heißt das im Ministerium. Die 2014 in Form von 829 Stellen nur wegen massiven Protests nicht gestrichen wurde.

"Aber ist die Rendite wirklich da?", fragt Jürgen Böhm, der Vorsitzende des Realschullehrerverbands. Nur zehn Prozent der Realschul-Referendare bekamen eine Stelle, dieses Jahr könnten es noch weniger sein. Wer keine kriegt, hofft auf befristete Jobs. 6000 Lehrer arbeiteten 2013 mit Zeitvertrag, meistens an Gymnasien und Berufsschulen. Ob es weitergeht, wissen sie erst kurz vor dem ersten Schultag - wenn überhaupt. Die Bundesländer sparen Geld, weil sie nur einen Teil des Jahres Gehalt bezahlen, den Rest übernimmt der Steuerzahler. "Sommerferien-Arbeitslosigkeit" nennt das die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), 2014 waren im August 6400 Lehrer in Deutschland ohne Job, 670 davon allein in Bayern.

Nur die Besten bekommen einen Job

Wer kann, orientiert sich um. Und wenn dann mitten im Schuljahr Lehrer in Pension oder Elternzeit gehen, sind die Besten oft schon weg. Um die Lücken zu schließen, mussten 2013 sogar 2999 Studenten ohne zweites Staatsexamen oder externe Spezialisten ran. "Das ist ein Skandal, der Staat muss sich schämen", sagt Günther Felbinger, Bildungsexperte der Freien Wähler. Er fordert vorausschauende Planung, mit der zumindest die Stellen der Pensionisten rechtzeitig ausgeschrieben und nachbesetzt werden könnten.

Aufnahmetests oder einen Numerus Clausus, um die Lehrer-Schwemme abzumildern, lehnt das Ministerium ab. In Deutschland gelte freie Berufswahl "und wenn ein junger Mensch sich für ein Lehramtsstudium entscheidet, ist das sein gutes Recht", sagt ein Sprecher. Man setzt auf Informationen und Prognosen. Gerade bei Realschulen und Gymnasium reiche ein Bruchteil der Studenten aus, um den Bedarf zu decken. Gesucht werden Förder- und Mittelschullehrer, die Chance, umzuschulen ergriffen im vergangenen Schuljahr 169 Gymnasiallehrer, 20 neue Plätze für Gymnasiallehrer an der Mittelschule hat das Ministerium erst geschaffen.

Ein Ende des Gerangels ist nicht in Sicht: Das Ministerium buhlt mit anderen um Budget, Referendare um Stellen und Schulen um Informatiklehrer. Da der freie Markt hier greift, bekommen eben nur die Besten einen Job. Nur, über das pädagogische Talent sagen Noten wenig aus.

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