Flüchtlinge:Staatsregierung legt neues Konzept für Deutschklassen vor

Übergangsklasse für Flüchtlinge

Schon jetzt werden Flüchtlinge in Übergangsklassen wie hier in Oberhaching unterrichtet.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)
  • Das Kultusministerium arbeitete Ideen für Deutschklassen für junge Flüchtlinge aus, es mangelt allerdings an Pädagogen.
  • Die Kinder in diesen Integrationsklassen sollen Ganztagesunterricht bekommen, vier Stunden sind für "Kulturelle Bildung und Werteerziehung" eingeplant.
  • Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, hält die Konzepte für sinnvoll - aber für alle Schüler.

Von Anna Günther

100 Punkte stellte Ministerpräsident Markus Söder in seiner Regierungserklärung vor, darunter auch Deutschklassen für junge Flüchtlinge. Was das genau sein soll und wie sich diese Klassen von den Übergangsklassen unterscheiden, für die Bayern sich seit 2015 in ganz Deutschland als Vorreiter der gelingenden Integration feiern ließ, blieb wochenlang unklar. Die Experten im Kultusministerium arbeiteten Ideen aus, die Entscheidung soll vor kurzem in der Staatskanzlei gefallen sein. Das Ministerium verschickte nun den Entwurf des Deutschklassen-Konzepts an die Lehrerverbände. Bis zum 3. Juli haben diese Zeit, Stellung zu beziehen.

Wie bisher sollen diese Integrationsklassen bis zu zwei Jahren dauern, schnelle Lerner sollen früher in den Regelunterricht gehen dürfen. Die größten Unterschiede zu den Übergangsklassen liegen in Ganztagsunterricht und einer deutlich umfangreicheren Stundentafel. Neben bis zu 18 Stunden Deutsch sollen die Kinder in der Grundschule auch Religion, Mathematik, Musik, Kunst, Werken, Heimat- und Sachunterricht sowie Sport haben. In der Mittelschule kommen Wahlfächer und Wirtschaft dazu. Vier zusätzliche Stunden sind für "Kulturelle Bildung und Werteerziehung" eingeplant. Was das sein soll und wie der Lehrplan aussieht, steht nicht im Konzept. Aus dem Ministerium heißt es auf Nachfrage, dass Werteerziehung mit Themen wie dem christlichen Menschenbild, Achtung vor dem Leben und der Menschenwürde oder Sinnfragen fächerübergreifend bereits Stoff des Lehrplans sind.

Zu Schuljahresbeginn gab es 610 Übergangsklassen an Grund- und Mittelschulen, in denen 9700 junge Flüchtlinge halbtags Deutsch und auch bayerische Werte und Gepflogenheiten kennenlernten. Kommt künftig der Nachmittagsunterricht dazu, werden deutlich mehr Pädagogen gebraucht. Wie viele Stellen und wie viel Budget für die ganztägigen Deutschklassen nötig sind, kann laut dem Schreiben an die Verbände "noch nicht genau beziffert werden". Zusätzliche Stellen hat Söder in der Regierungserklärung versprochen, fraglich ist allerdings, wo die Pädagogen herkommen sollen. Und davon hängt ab, ob die Deutschklassen allein Wahlkampftaktik sind - oder ob Söder pädagogisch etwas erreichen will.

Denn selbst für den Regelunterricht an den 3400 Grund- und Mittelschulen fehlen Lehrer. 1300 Realschul- und Gymnasiallehrer schulen momentan um, damit sie an den Volks- und seit diesem Schuljahr auch an Förderschulen einspringen und Klassen übernehmen können. 300 sind bereits fertig. Mittlerweile nimmt das Ministerium Interessenten aller Fachkombinationen, bis zu einem Notenschnitt von 3,5 und lockt sogar mit Umschulungen in Teilzeit. Die Flüchtlingskinder bräuchten aber Lehrer mit der Zusatzausbildung Deutsch als Zweitsprache und Sozialpädagogen sowie Schulpsychologen für den Nachmittag. Auch hier gilt: Stellen gibt es, aber keine Menschen.

Verbände fordern mehr Werteerziehung und politische Bildung für alle Schulkinder

Mehr Stunden Deutsch als Zweitsprache, Ganztagsunterricht und mehr Wertevermittlung hält Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes pädagogisch sogar für sinnvoll. Parallelwelten und Spaltung lehnt sie aber entschieden ab. Fleischmann fordert wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Bayerische Elternverband Werteerziehung und mehr politische Bildung für alle Schulkinder, egal welcher Religion, Nationalität oder sozialen Hintergrunds. Reines Einüben von Stoff und Abfragen von Werten von jungen Flüchtlingen ist für Fleischmann "untragbar": "Heißt das dann, wer die Note Zwei hat, hat es geschafft und ist integrationswürdig? Es geht nicht, aufgrund von Leistungserhebungen darüber zu entscheiden." Werte vermittelt man, indem sie in der Schule gelebt werden.

Ähnlich hält die BLLV-Chefin es mit dem Ganztag: Rhythmisierter Unterricht bis zum Nachmittag, also Lernen und Spiel im Wechsel, wäre für bayerische Kinder genauso ideal wie für die jungen Flüchtlinge. "Gute Integration wäre, die Angebote für beide Gruppen zu verbinden." Dieses Konzept ist teuer und am Ende bleibt die Frage, welche Lehrer das leisten sollen, wenn ohnehin Personal fehlt. "Eigentlich brauchen gerade belastete, traumatisierte, schwierige Kinder die besten Lehrer - aber was ist dann mit den anderen?", fragt Fleischmann. Eine Neid-Debatte im Wahlkampf könne niemand brauchen. Noch beschäftigt Bayern kaum Seiteneinsteiger an den Schulen. "Billigkräfte für Migrantenkinder" lehnt Fleischmann ab. Eine schnelle Lösung sieht sie nicht, mittelfristig könnten multiprofessionelle Teams helfen. Am 1. August soll die neue Schulordnung von Grund- und Mittelschulen in Kraft treten.

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