Bildung in Bayern:Trotz Gerichtsbeschluss - Rektor schickt Flüchtlingskinder weg

Children of migrants use chalk while playing in refugee deportation registry centre in Manching

Kinder in den Transitzentren wie hier in Manching dürfen keine Schulen besuchen, sondern bekommen etwas Unterricht in den Unterkünften.

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)
  • Sechs Flüchtlingskinder aus dem Transitzentrum Manching in Oberbayern dürfen den regulären Unterricht besuchen. Das hat das Münchner Verwaltungsgericht beschlossen.
  • Der Freistaat setze sich jedoch über den Beschluss hinweg, die Kinder wurden vom Rektor einer Ingolstädter Schule wieder weggeschickt.
  • Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts könnten Präzedenzfälle sein, auf die sich weitere Asylbewerber berufen, deren Kindern der Freistaat den Regelunterricht verweigert.

Von Andreas Glas und Anna Günther

Die Ansage ist eindeutig: Es bestehe "Anspruch auf Teilnahme am regulären Schulunterricht", heißt es in den Beschlüssen des Münchner Verwaltungsgerichts. Also packten die sechs Kinder ihre Schultaschen und gingen am vergangenen Dienstag zur Schule. In eine richtige Schule, zum ersten Mal seit Monaten. In der Ingolstädter Schule angekommen, drückten sie dem Direktor den Gerichtsbeschluss in die Hand. Doch noch bevor sie ihre Schultaschen ausgepackt hatten, schickte sie der Direktor wieder fort. So erzählt es Hubert Heinhold, der Anwalt der sechs Kinder. Der Rauswurf sei für ihn "eine Unverschämtheit".

Bei den Kindern handelt es sich um Flüchtlinge aus Kosovo, die im Transitzentrum in Manching bei Ingolstadt leben. Bislang erlaubt der Freistaat nur einen sehr eingeschränkten Unterricht in den Zentren in Manching, Deggendorf und Regensburg sowie in der sogenannten besonderen Aufnahmeinrichtung in Bamberg. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts könnten Präzedenzfälle sein, auf die sich weitere Asylbewerber berufen, deren Kindern der Freistaat den Regelunterricht verweigert. Derzeit erhalten in den vier Einrichtungen mehr als 400 Kinder und Jugendliche nur "Rumpfunterricht", wie Heinhold es nennt. Der Anwalt rechnet damit, dass der Gerichtsbeschluss auf jedes vierte Kind anwendbar ist. Der Flüchtlingsrat hat bereits eine Klagewelle angekündigt.

Die Furcht vor einer Klagewelle könnte auch der Grund gewesen sein, weshalb der Freistaat sich zunächst über die Entscheidung des Gerichts hinweggesetzt und in Absprache mit der Schulleitung entschieden hat, die Kinder wieder wegzuschicken. "Ein Verfall der Rechtskultur", sagt Anwalt Heinhold, "wir nähern uns ungarischen und polnischen Verhältnissen, wenn das Recht von der Politik missachtet wird." Das Kultusministerium dagegen verweist darauf, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig ist - rudert inzwischen aber zurück. Nach Absprache mit der Regierung von Oberbayern dürfen die sechs Kinder in der kommenden Woche nun doch den Unterricht in der Ingolstädter Schule besuchen.

Die Beschlüsse haben drei Eltern aus Kosovo erzwungen, die mit ihren Kindern zwischen 2013 und 2014 eingereist sind und in Deutschland Asyl beantragt haben. Ihre Anträge wurden abgelehnt und alle drei Familien im Manchinger Transitzentrum untergebracht. Sie legten Klage ein gegen den negativen Bescheid, doch darüber wurde bislang noch nicht entschieden. Das Zentrum hatte der Freistaat ursprünglich eingerichtet, um dort Asylanträge zügig zu bearbeiten und Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive binnen weniger Wochen abschieben zu können. Offiziell heißt das "beschleunigtes Verfahren", doch die Realität sieht oft anders aus: Wenn Asylbewerber gegen ihre Abschiebung klagen oder aus anderen Gründen nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden können, müssen sie bis zu 24 Monate in den großen Einrichtungen verharren.

Das kritisieren Asylhelfer und viele Oppositionspolitiker im Landtag, weil die Flüchtlinge in dieser Zeit zum Nichtstun verdammt sind. Sie dürfen nicht arbeiten, es gibt keine Deutschkurse - und ihre Kinder müssen den Unterricht besuchen, der im Transitzentrum angeboten wird. Das aber ist in Manching reiner Sprachunterricht in Übergangsklassen. Regelschulunterricht gibt es nur für jene 31 Flüchtlingskinder, die in dem Teil des Geländes untergebracht sind, der als reguläre Gemeinschaftsunterkunft genutzt wird. Die übrigen 51 Kinder sind von normalen Schulen ausgeschlossen. In Deggendorf, Regensburg und Bamberg besucht kein einziges Kind die Regelschule.

Die sechs kosovarischen Kinder hatten in den vergangenen Jahren bereits in Regelschulen gelernt oder den Kindergarten besucht. Das Verwaltungsgericht bescheinigt ihnen gute Deutschkenntnisse und befriedigende Noten. Seit sie im Transitzentrum einquartiert sind, werde ihnen "eine altersgemäße, ihrem Kenntnisstand entsprechende Beschulung vorenthalten", sagt ihr Anwalt. Dass es keinen Grund gibt, die Kinder von einer Regelschule fernzuhalten, hat nun auch das Münchner Verwaltungsgericht bestätigt.

Selbst daran, dass die drei Familien zurecht im Transitzentrum untergebracht sind, hat das Gericht erhebliche Zweifel. Die Begründung: Bei den Asylverfahren dieser Familien handele es sich nicht um beschleunigte Verfahren - ebenso wenig wie bei vielen anderen Asylbewerbern, die in Manching, Deggendorf, Regensburg oder Bamberg untergebracht sind. Viel zu lange dauerten die Verfahren schon. Deshalb, so das Gericht, seien die kosovarischen Familien gar "nicht verpflichtet, in einer solchen Unterkunft zu leben". Auch diese Passage des Beschlusses könnte möglicherweise eine Grundlage für weitere Klagen sein. Von einem Präzedenzfall will man im Kultusministerium allerdings nichts wissen. Der Beschluss sei eine reine Einzelfallentscheidung.

Ein Sprecher des Flüchtlingsrats ist derweil überzeugt, "dass wir jetzt ein gutes Referenzurteil haben und den Unterricht auch für viele andere Kinder durchsetzen können".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: