Bildung:"In der Schule unvorstellbar, für das bayerische Staatsexamen normal"

  • Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hat Lehramtsstudenten nach ihren Erlebnissen im Studium gefragt.
  • Der Grundtenor der E-Mails: Frustration. Von zu schweren Prüfungen, mangelnder Vorbereitung und schlechten Berufsaussichten ist die Rede.

Von Anna Günther

"Insgesamt war das Examen ein sehr frustrierendes Erlebnis", schreibt ein Student. "Einziges Ziel: Versuchen eine 5 zu schaffen und keine 6", ergänzt eine andere. "Der Staat finanziert fünf Jahre unser Studium, und am Schluss scheitern wir am Staatsexamen und stehen mit nichts in der Hand da", heißt es weiter. Andere Lehramtsstudenten sprechen von "unfairen Belastungen", von Willkür, Angst und dem Gefühl, nur ein ungeliebtes Anhängsel der Fakultäten zu sein. So beschreiben einige Lehramtsstudenten der neun bayerischen Universitäten das Studium und die Prüfungskultur im Staatsexamen.

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hatte nach den Klausuren im Frühjahr in den sozialen Netzwerken Absolventen aller Unis aufgefordert, ihre Geschichten zu teilen. Bis Ende Mai waren mehr als 100 E-Mails eingegangen, mittlerweile sind sie ausgewertet. Das Ergebnis erschüttert die BLLV-Hochschulreferentin: "Schon in den ersten Tagen kamen 70 E-Mails, der Grundtenor war leider immer unglaubliche Frustration", sagt Ulla Adam.

Die Studenten beklagen fehlende Transparenz bei den Korrekturen, fühlen sich gering geschätzt und nicht vorbereitet. Es gebe keinen Erwartungshorizont, keine Statistiken und kein Feedback, liest man in den E-Mails. "In der Schule unvorstellbar, für das bayerische Staatsexamen normal", schreibt ein Student. Zuletzt hatte es viel Unmut über die Aufgaben im Mathe-Examen gegeben, die einige Prüflinge als "unlösbar" empfunden haben.

In den Prüfungen der vergangenen Semester mussten die Klausuren immer wieder wegen Fehlern in den Angaben unterbrochen werden. "Man stelle sich den Aufruhr vor, wenn das in der Schule passiert wäre", schreibt eine Studentin. Offen Kritik zu üben oder gegen ihre Noten zu klagen, trauen sich die wenigsten. Zu tief sitze die Angst, deshalb keinen Job zu bekommen, sagt Ulla Adam. Auch die Studenten, die das Examen schaffen, behielten es als "Terror" in Erinnerung. Von der Note der Abschlussprüfung hängt ab, ob sie einen Job beim Staat bekommen.

Aber: Was sind gut 100 E-Mails bei 37 000 Lehramtsstudenten und etwa 5500, die jedes Jahr das Staatsexamen bestehen? In der Regel nehmen nur die Unzufriedenen an derlei Umfragen teil. Ulla Adam bleibt unbeeindruckt: Ihre Aktion ist die dritte Studentenbefragung des BLLV in zwei Jahren und die Aussagen decken sich fast wörtlich.

Diesmal sollten die Studenten frei schreiben, 2015 wurden 1300 junge Männer und Frauen gezielt befragt. Ein Jahr später ging BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann auf Uni-Tour, der Eindruck bestätigte sich. "Als die Lehrerbildungszentren kamen, haben wir gehofft, dass sie die Lösung der Probleme sind. Aber die Durchschlagskraft fehlt, es gibt keine Stellen und zu wenig Zeit für intensive Beratung", sagt Fleischmann. Genau das wünschen sich die Studenten: mehr Informationen zum Stoff, zu Jobaussichten und alternativen Abschlüssen, falls sie das Examen nicht schaffen.

Für Fleischmann ist es ein "ökonomischer Supergau", Leute auszubilden und sie dann ohne Abschluss ziehen zu lassen. Außerdem kritisiert sie mangelnde Wertschätzung. "Wie sollen Lehrer Kinder mitreißen, wenn man sie so in die Welt schickt?", fragt sie. Wer jetzt noch denke, dass die Lehrerbildung in Bayern zu 100 Prozent funktioniere, habe "etwas auf den Augen". Sie vermutet hinter dem Niveau der Staatsexamen auch Kalkül, "es gibt zu viele Studenten, also wird ausgesiebt". Wäre der politische Wille da, hätte das Ministerium auch auf die Probleme vieler im Mathe-Examen reagieren können. Zwar erstellen Professoren die Examensaufgaben, freigegeben werden diese aber von den Prüfungsausschüssen des Ministeriums.

Längst gibt es auch in Mathe zu viele angehende Lehrer und kaum Stellen an Gymnasien und Realschulen. Anders sieht es dagegen an den Grund-, Mittel-, und Förderschulen sowie Berufsschulen aus. Das Ministerium versucht deshalb mit Umschulungen gegenzusteuern. BLLV und die Oppositionsparteien fordern schon lange eine Reform der Lehrerausbildung. Seit Jahrzehnten gelingt es nicht, den Schweinezyklus in den Griff zu bekommen: Wenn Lehrer einer Schulart fehlen und deshalb deutlich mehr Abiturienten dieses Lehramt studieren, dauert es sieben Jahre, bis sie fertig sind. Bis dahin kann die Jobsituation aber längst eine andere sein.

"Es ist kaum möglich, die Lehrer an die Stellen zu bringen, an denen sie gebraucht werden. Wir müssen die Lehrerausbildung neu strukturieren ", sagt Martin Güll (SPD), der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Landtag- Aber Schulminister Ludwig Spaenle (CSU) verschließe sich allen Ideen. Güll und dem BLLV schwebt ein Stufenlehrer vor. Statt für eine spezielle Schulart zu studieren, würde sich das Fachstudium an den Jahrgangsstufen orientieren. So sollen Lehrer flexibler zwischen den Schularten wechseln können. Michael Piazolo (Freie Wähler) lehnt das ab, er wünscht sich mehr Flexibilität im Studium und fordert, dass angehende Lehrer schon an der Uni zwischen Schularten wechseln können. Außerdem sei mehr Praxis nötig, und Lehramtsstudenten müssten leichter nebenbei einen Bachelor oder Master machen können.

Im Ministerium hält man am dreigliedrigen Schulsystem fest. Lehrer werden ausgebildet, um die Begabungen der Schüler zu fördern. Aber nur die "schulartspezifische Lehrerbildung" könne Lehrer "gezielt auf ihr künftiges Berufsfeld vorbereiten". Außerdem seien "Länder mit Stufenlehrerausbildung vor Problemen bei der Lehrergewinnung keinesfalls gefeit", heißt es. Auch das Niveau des Staatsexamens werde nicht angetastet, um die Qualität beizubehalten. Eine Musterlösung gebe es nicht, weil die "Hoheit der fachlichen Bewertung" bei den Prüfern an den Unis liege.

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