Bildung:Der Politikunterricht ist die größte Baustelle an bayerischen Schulen

Eine Studie der LEV hat Schüler und Eltern zum G 8 befragt.

Am Gymnasium wird Politik die letzten drei Schuljahre gelehrt, an der Realschule nur im letzten.

(Foto: dpa)

Schüler und Lehrer beklagen, Sozialkunde komme im Lehrplan viel zu kurz. Im Ministerium ernten sie dafür nur Achselzucken

Von Anna Günther

Die Tendenz der Bundesländer zum Sparkurs beim Geschichtsunterricht haben Dutzende Lehrer auf dem Historikertag beklagt. Und verabschiedeten auf dem größten geisteswissenschaftlichen Kongress Europas, der gerade in Hamburg zu Ende ging, eine Resolution. Die größere Baustelle aber dürfte in Bayern der Politikunterricht sein, der hier immer noch Sozialkunde heißt. Am Gymnasium wird Politik in den letzten drei Schuljahren je eine Stunde pro Woche unterrichtet, in der Realschule nur im Abschlussjahr.

Dabei gehören Klagen über die Politikverdrossenheit der Jugend zu großen Wahlen wie die Hochrechnungen am Abstimmungstag. Nach dem Brexit-Votum protestierten Tausende junge Briten in London gegen den EU-Austritt, abgestimmt hatten die wenigsten. Und auch in Bayern geht die Wahlbeteiligung seit Jahrzehnten zurück. Die Landtagswahl 2008 und die darauf folgende Bundestagswahl markierten den Tiefpunkt. 2013 war die Wahlbeteiligung marginal höher. Dabei haben Politiker es in der Hand, die Wähler der Zukunft für Demokratie und deren Vorzüge zu begeistern.

Der Sozialkundeunterricht in Bayern soll nicht nur Verfassungen und politische Systeme thematisieren, sondern jeden Jugendlichen zum "zoon politikon" erziehen, einem politischen Wesen frei nach Aristoteles, das eigenverantwortlich und im Sinne der Gemeinschaft handeln soll und in der Lage ist, die komplexen Zusammenhänge der Gegenwart zu verstehen. So steht es im Lehrplan fürs Gymnasium, ähnlich ist es bei Real- und Mittelschulen formuliert.

In einem Jahr kommt der Lehrplan Plus in die weiterführenden Schulen und mit der Rückkehr zu neun Jahren wäre am Gymnasium mehr Zeit. Geht es nach den Landesschülersprechern, sollte diese auch für Sozialkunde und mehr Diskussionen über aktuelle Themen genutzt werden. "Den Antrag für mehr Sozialkunde gibt es so lange wie den Landesschülerrat", sagt die Sprecherin, Acelya Aktas. Passiert sei in diesen acht Jahren aber nichts.

Dabei könnte der Widerspruch zwischen den Wahlstatistiken und diesen Schülerkongressen kaum größer sein. Wer Versammlungen wie Basis besucht, staunt über Diskussionsfreude, Engagement und gelebte Demokratie. Die Sozialkundestunden reichen nicht, um das Politik-Bedürfnis dieser Schüler zu stillen - und weniger Interessierte zu erreichen. "Der Wille ist da und man kann nicht früh genug anfangen", sagt die 17-jährige Augsburgerin. Viele Jugendliche belegten Kurse am Nachmittag, um über Aktuelles zu debattieren. "Denn wenn ich in Englisch über die Ureinwohner Amerikas diskutiere, hat das nichts mit dem Tagesgeschehen zu tun", sagt Aktas.

Auf die Frage nach mehr Sozialkunde erntet man im Ministerium Achselzucken. Lehrer sollen Freiräume nutzen, wenn aktuelle Fragen aufkommen, heißt es. Sozialkunde sei erst bei der Umstellung zum G8 im Gymnasium gestärkt worden und bis zur 10. Klasse übernehmen andere Fächer die politische Bildung. Außerdem sei zusätzlicher Unterricht schwer vermittelbar, wenn viele Eltern eher weniger Unterricht wollen. Und welches Fach solle für mehr Sozialkunde Zeit abgeben?

Die Stundentafel anzufassen, würde Begehrlichkeiten wecken. Entsprechend vorsichtig drückt David Denninger sich aus. Aber ginge es nach dem Sozialkundelehrer und Vorsitzenden des bayerischen Geschichtslehrerverbands, könnte Geschichte für mehr Politik ein wenig umstrukturiert werden - sofern dafür zwei Stunden Geschichte pro Woche von der 5. Klasse bis zum Abitur Pflicht werden. "Mehr Sozialkunde würde die Schüler nicht belasten, sie wollen diskutieren und stellen oft Fragen etwa zu Trump und Hillary", sagt Denninger.

Zeit dafür sei kaum, auch weil eine Sozialkundestunde selten 45 Minuten habe, wenn die Schüler erst von anderen Kursen ins Klassenzimmer kommen. Die Einstündigkeit bringe auch organisatorische Probleme, erschwere die Notengebung für das Abitur und führe zur Entprofessionalisierung, weil Studenten eher Fächer wählen, die mehr Unterricht bringen. "So kann es nicht weitergehen, und alles spricht für mehr Sozialkunde", sagt Denninger.

Der Landesschülerrat nimmt den Wunsch nach mehr Politik nun selbst in die Hand: Im November sollen in Augsburg Schüler mit Vertretern der Jusos, der jungen Union und jungen Liberalen über Flucht und Asyl diskutieren. Ein Ersatz für mehr Sozialkundeunterricht sei das aber nicht, sagt Landesschülersprecherin Acelya Aktas.

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