Bildung:Bei Schülern gefragt, bei der CSU vertagt

Die Opposition sieht die Staatsregierung beim G 8/G 9 im Dornröschenschlaf und fordert endlich ein Umdenken. Kultusminister Spaenle will das Projekt Mittelstufe Plus planmäßig durchziehen und niemanden überrumpeln

Von Anna Günther und Wolfgang Wittl

Horst Seehofer im April, ein paar Ansichten zum acht- oder neunstufigen Gymnasium: Er sei bei dem Thema überhaupt nicht festgelegt, sagt der Ministerpräsident. Wenn es eine bessere Lösung gebe als die jetzige, "dann wird das Gute durch das Bessere abgelöst". Das Ergebnis der Debatte könne aber auch sein, "dass wir zu dem Ergebnis kommen, das Jetzige ist das Bessere". Sicher sei jedenfalls: Die Politik werde "keine Experimente" mit den Schulen veranstalten. Alles klar?

Horst Seehofer, noch einmal im April: Er rate bei dem Thema zur Gelassenheit. "Ich will keine falsche Hektik." Man werde in aller Ruhe überlegen, welche Lösung die bessere sei. Am wichtigsten sei ihm aber Verlässlichkeit an der Bildungsfront. Experimente werde es daher nicht geben.

Die ersten Sätze sprach Horst Seehofer im April vor zwei Jahren, die anderen gerade erst dieser Tage, so auch am Mittwoch im Landtag. Man könnte meinen, es habe sich in den zwei Jahren nicht viel geändert. Der Eindruck täuscht.

In der Zwischenzeit hat die Staatsregierung einen Pilotversuch namens Mittelstufe Plus gestartet, an 47 Gymnasien in Bayern können sich Schüler entscheiden, ob sie die Mittelstufe in drei oder in vier Jahren absolvieren. Das Votum ist eindeutig, wie SZ-Recherchen ergeben haben: Etwa 70 Prozent der Siebtklässler haben sich für die Mittelstufe Plus im kommenden Schuljahr angemeldet, noch einmal zehn Prozent mehr als im ersten Jahr des Pilotprojekts.

Wer am Mittwoch die Plenardebatte im Landtag verfolgt, könnte daher auf die Idee kommen, er sei in die Vergangenheit gereist. Auf der einen Seite Freie Wähler, SPD und Grüne, die von der Staatsregierung endlich Klarheit und Ruhe für die Gymnasien fordern. Auf der anderen Seite die CSU, die an ihrem Weg festhält, von einer Scheindebatte und wie Kultusminister Ludwig Spaenle sogar von "billigen Schaufensteranträgen" der Opposition spricht.

Als hätte es den Ansturm auf die Mittelstufe Plus nie gegeben. Den Reigen der Kritiker eröffnet Michael Piazolo (FW). Er erinnert an das Märchen von Dornröschen: Die CSU sei vor zwölf Jahren von der Spindel des damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gestochen worden und beim achtjährigen Gymnasium in den Schlaf versunken. Hier kommt ein bemerkenswerter Zwischenruf von Seehofer. Die CSU habe seither eine Wahl verloren. Man kann den Ruf durchaus so bewerten, dass Seehofer der überstürzten Einführung des G 8 eine Mitschuld am Verlust der absoluten Mehrheit gibt. Bedeutet das jetzt, der CSU-Chef will zurück zum G 9?

So einen Satz lässt sich der Ministerpräsident nicht entlocken, auch nicht am Morgen, als er vor der CSU-Fraktionssitzung zu den neuesten Zahlen zum Gymnasium Stellung bezieht. Der Kern einer guten Bildungspolitik sollte immer die Befindlichkeiten der Kinder berücksichtigen, sagt Seehofer nur. "Wir sollten alle dazu beitragen, dass wir junge Menschen ausbilden, damit sie ein glückliches Leben führen können." Dafür brauche es aber nicht nur angelerntes Wissen, sondern auch eine Persönlichkeitsbildung.

Es ist ein Satz, wie ihn auch Befürworter des G 9 sprechen könnten, die mehr Zeit für die Entwicklung von Kindern anmahnen. Geht es nach dem Philologenverband, muss eine einheitliche Lösung für Bayern her, und zwar mit neun Jahren. Förderkurse könnten besonders begabte Schüler unterstützen, die das Abitur trotzdem nach acht Jahren machen wollen. Aber mit solchen Detailfragen will sich in der CSU im Moment niemand belasten. Spaenle sagt, man werde am vereinbarten Fahrplan festhalten. Allerdings wird die CSU die zwei Pilotjahre nicht voll ausschöpfen können, bis sie sich festlegt. Will sie nach dem Pilotversuch einen geordneten Start hinlegen, wird sie sich deutlich früher entscheiden müssen, welches System ihr für die Gymnasien künftig vorschwebt - das macht die Opposition im Landtag deutlich.

Einig sind sich SPD, Freie Wähler und Grüne vor allem darin, dass die CSU endlich handeln und die richtigen Schlüsse aus dem hohen Zuspruch für den Pilotversuch ziehen müsse. Jedem Gymnasiasten müsse es ermöglicht werden, eine neunzügige Schule zu besuchen, falls er dies wünsche, sagt Piazolo. Die CSU müsse bis zum Sommer ein Konzept vorlegen. Martin Güll verlangt für die SPD eine Rückkehr zum "G 9 jetzt", unter Einbeziehung von Fachleuten und Verbänden. Die Anmeldezahlen für die Mittelstufe Plus seien "ein Denkzettel", Güll wirft der CSU "Gemurkse" vor. Die Grünen indes warnen vor einer weiteren überstürzten Entscheidung der Staatsregierung, wie Thomas Gehring sagt. Er befürchte, die CSU wiederhole den Fehler wie unter Stoiber. Die Grünen fordern die Einführung eines wissenschaftlichen Beirats.

Spaenle verspricht, sein Haus werde niemanden überrumpeln. Man werde den Bedarf ermitteln, auswerten, Schlüsse ziehen und dann Fraktion und Staatsregierung einen Vorschlag unterbreiten. Denn im April 2017 soll das Thema nach CSU-Vorstellungen keine Angriffsfläche mehr bieten, nach Möglichkeit schon früher.

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