Bilder, die einen nicht mehr loslassen:Hinschauen

Zum zehnten Mal wird in Nürnberg der Deutsche Menschenrechtsfilmpreis verliehen. Für Filme, die das Leben der Menschen zeigen, die sonst kaum beachtet werden

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Heidi Specogna hat das schmale Heft mit den Fotos erstmals im Januar 2008 zu Gesicht zu bekommen, in einem staubigen Hinterhof in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Das Schulheft zeigt Fotos von Menschen, vor allem von jungen Frauen, und es enthält Protokolle, was kongolesische Söldner diesen Menschen angetan haben. Es ist entstanden, weil die Opfer nicht verstummen, sondern Zeugnis darüber ablegen wollten, was ihnen widerfahren ist. Seit dem Tag, als sie das Heft in der Hand hielt, haben sie diese Geschichten nicht mehr losgelassen, sagt die Filmemacherin Specogna. Über einen Zeitraum von sieben Jahren dokumentierte sie den Lebensweg dieser willkürlich misshandelten Menschen. Ihr Film "cahier africain" ist zwei Stunden lang, man braucht Nerven, um ihn durchzustehen. Am 10. Dezember wird er in Nürnberg mit dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis ausgezeichnet, als bester Langfilm.

Der Film erzählt die Geschichte von Amzine, einer jungen Frau, die ein Kind zur Welt gebracht hat als Folge der Vergewaltigungen: Zwölf Jahre alt ist Fane, ihre Tochter, sie erinnert sie Tag für Tag an das Leid, das sie einst dem karierten Schulheft anvertraut hat. Und er schildert als Langzeitbeobachtung die Geschichte von Menschen, die dafür kämpfen, dass das an ihnen begangene Unrecht vor dem Internationalen Gerichtshof verhandelt wird. Der Erzählton des Films ist dabei so stoisch wie unerbittlich. Selbst wenn man es wollte: Seine Bilder lassen einen nicht mehr los.

In diesem Jahr wird der Menschenrechts-Filmpreis zum zehnten Mal vergeben, seit 2006 koordiniert Marko Junghänel den Wettbewerb. Seine Bewunderung für Menschen wie Heidi Specogna habe in den Jahren eher noch zugenommen, sagt er. Wie da eine Regisseurin Menschen über einen Zeitraum von mehr als 80 Monaten begleitet, in einem Land in Zentralafrika, das zerrüttet ist von schwersten Menschenrechtsverletzungen - "diese Beharrlichkeit ist für mich schlicht unfassbar", sagt Junghänel. Mit dem Nürnberger Filmpreis wird die Dokumentaristin Specogna bereits zum zweiten Mal ausgezeichnet.

Beharrlichkeit könnte auch das Markenzeichen von Manuela Bastian werden, die im oberbayerischen Windach geboren ist, und an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert. Sie hat über drei Jahre den Weg von Devki begleitet, einer jungen Inderin, die ihren Traum verwirklichen will: Sie möchte Taxifahrerin werden in einem durch und durch patriarchalischen Land. Dieser Film ist ein kleines Wunder: Man muss immer wieder lachen mit der Protagonistin dieser Dokumentation und ist im nächsten Moment verstört und voller Wut über die unfassbaren Vorurteile, mit der ihr die indische Gesellschaft begegnet.

In einer Szene gleich zu Beginn des Films sieht man, wie eine Kollegin von Devki, die ebenfalls Taxifahrerin werden will, beim Einparkversuch einen benachbarten Wagen rammt. Der Zuschauer fährt unwillkürlich zusammen, das ist ein ordentlicher Crash. Dann sieht man das an allen Seiten ohnehin komplett verbeulte Fahrzeug und atmet auf. In der nächsten Szene erzählt die junge Devki beim Essen mit ihrer Familie von dem Crash und wie der Lehrer geflucht habe: "Nur Gott kann ihr noch helfen." Das ist alles wunderbar skurril. Bis Manuela Bastian nur ein paar Einstellungen später einfängt, wie der Vater von Devki über den Traum seiner Tochter spricht. Den schlichten Traum, selbst Geld verdienen zu dürfen. Er habe sie geschlagen, sagt der Vater. Und schaut dabei, als würde er über die neuesten Fußballergebnisse sprechen. Eine schockierende Aufnahme.

Manuela Bastians Film "Where to, Miss?" bekommt den Preis in der Kategorie "Hochschule", einer von sechs Kategorien in Nürnberg. Alle sind sie mit 2500 Euro dotiert. Der Deutsche Menschenrechts-Filmpreis wird von 18 Institutionen getragen, darunter sind Amnesty International Deutschland, die deutsche Unesco-Kommission und das Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg. 1998 erstmals verliehen, gilt der Deutsche Menschenrechts-Filmpreis als etabliertester Preis seiner Art.

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