Bilanz der Arbeiterwohlfahrt:Armut in einem reichen Land

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Bayern ist ein reiches Bundesland. Doch Armut sei längst in der Breite der Bevölkerung angekommen, warnt die Arbeiterwohlfahrt. Vor allem Rentner und Frauen gehören zu den Wohlstandsverlierern im Freistaat.

Von Dietrich Mittler

In Bayern sind aktuell über 1,6 Millionen Menschen von Armut betroffen. Die Mehrzahl davon sind Frauen (899 000). "Die Armut ist längst in der Breite der Bevölkerung angekommen", sagte Thomas Beyer, der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bayern, am Freitag in München. Diese bittere Bilanz gehe zur Zeit in der aktuellen, von der "Familienaffäre" geprägten Tagespolitik etwas unter. "Aber Armut ist ein Thema, welches das Land beschäftigen sollte", sagte der AWO-Vorsitzende - auch wenn der Freistaat im Vergleich zu anderen Bundesländern immer noch ein reiches Land sei.

Zu den "Wohlstandsverlierern", so betonte Beyer, zählten im Freistaat insbesondere die Rentnerinnen und Rentner. In den Jahren von 2000 bis 2010 hätten sie insgesamt 19 Prozent an Kaufkraft eingebüßt. An ihnen sei die positive Wirtschaftsentwicklung vorbeigegangen - mehr als an allen anderen Bevölkerungsgruppen.

Mittlerweile komme auch die Staatsregierung nicht mehr umhin, dies als Tatsache anzuerkennen: "Die Schere zwischen Arm und Reich ist nicht mehr zu leugnen", sagte der AWO-Vorsitzende und berief sich dabei auch auf den bayerischen Sozialbericht 2012. Die Vermögenden im Land verfügen demnach über die überwältigende "Mehrheit des Gesamtvermögens" im Freistaat. Umgekehrt aber hätten hier 30 Prozent der Haushalte nicht einmal ein Prozent des Gesamtvermögens in den Händen. "Wer hat, dem wird gegeben", kommentierte Beyer die vorliegenden Zahlen.

"Feste Anstellung kein Schutz mehr vor Armut"

Von Armut betroffen sind aber nicht nur die Alten, auch viele Kinder und Jugendliche wüchsen unter prekären Verhältnissen heran. Insgesamt 115 253 Kinder unter 15 Jahren lebten im Oktober 2012 im Freistaat in sogenannten Bedarfsgemeinschaften, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind. Insbesondere für sie gelte der Satz "Armut grenzt aus". Kinder aus armen Familien, so Beyer, hätten in der Schule häufiger schlechte Noten, und sie blieben auch öfter sitzen. Die Chance, aufs Gymnasium überwechseln zu können, sei bei Kindern aus finanziell gut gestellten Familien vier Mal höher.

Nach Ansicht der AWO bietet auch eine feste Anstellung längst keinen Schutz mehr vor dem Abgleiten in die Armut. Wie Beyer aus einem Bericht der Bundesagentur für Arbeit zitierte, mussten im vergangenen Jahr mehr als 90 000 Arbeitnehmer trotz Vollzeitbeschäftigung ihren zu geringen Lohn mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Das sei für die Betroffenen ein "entwürdigender Zustand". Die Zahl der Minijobber sei deutlich angestiegen. Im Mai des vergangenen Jahres erreichte sie den Rekordwert von mehr als 1,2 Millionen Menschen. Und diese Entwicklung gehe eindeutig auf Kosten der Frauen. Bei den geringfügig verdienenden Minijobbern liegt das Verhältnis von Frauen und Männern bei 70 zu 30.

Angesichts dieser Entwicklung ist es für Beyer auch kein Wunder, dass die Schuldnerquote im Freistaat wieder leicht gestiegen ist, nachdem es 2011 zunächst nach einer Besserung aussah. Nach den Ergebnissen der letzten Erhebung waren im Jahr 2012 rund 720 000 Privatpersonen in Bayern überschuldet. "Armut ist auch in diesem reichen Bundesland kein Randphänomen mehr", sagte der AWO-Vorsitzende, auch wenn dies von der Staatsregierung gern so dargestellt werde.

Rückendeckung erfährt die AWO von der SPD-Landtagsfraktion. Deren Sozialexperte Hans-Ulrich Pfaffmann - er ist Beyers Parteifreund - forderte, den "Missbrauch gering bezahlter Beschäftigungsverhältnisse" zu verhindern. Im Kampf gegen die Armut hat die AWO in Bayern zudem im Sozialverband Deutschland einen neuen Bündnispartner gewonnen. Der Verband, der bislang eher im Norden der Republik tätig war, will seine Aktivitäten im Freistaat verstärken.

© SZ vom 04.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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