Bettler in München:Für eine Handvoll Münzen

Bettler in München: Bettler in München

Bettler in München

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Zahl der Bettler in München hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Doch während die Behörden Banden am Werk sehen und härter vorgehen wollen, glauben Streetworker nicht an kriminelle Machenschaften.

Von Thomas Anlauf

Die schöne Stimme ist verstummt. An ihrem angestammten Platz ist die junge Frau mit dem schwarzen Kopftuch länger nicht mehr gewesen, um mit traurigen Liedern ein paar Cent zu erbetteln. Ist die Rumänin von ihrem Platz vertrieben worden? Ist sie zurück zu ihrem Kind, für das sie in München bettelt? "Die ist schon noch da", sagt Robert Röske. Er muss es wissen, die junge Rumänin gehört zu seiner Klientel. Röske ist Chef der Zivilen Altstadtgruppe bei der Polizeiinspektion 11 und kontrolliert mit seinen Kollegen die Bettler in der Münchner Innenstadt. Für den Beamten, der seit 2006 für das knapp zwei Quadratkilometer große Revier zuständig ist, steht fest: Die meisten Bettler sind organisiert.

Was Röske erzählt, klingt erschreckend. "Es gibt Indizien, dass die gezielt angeworben oder unter Androhung von Gewalt gezwungen werden, zu betteln." Die, das sind vor allem Rumänen, Slowaken, Bulgaren. Viele würden in Bussen nach München gebracht und hätten dann oft hohe Schulden für den Transfer, die sie an ihre Schlepper abstottern müssten. Die Hintermänner säßen meist in den Ursprungsländern. Beweisen lässt sich das alles nur schwer, räumt Röske ein.

Das weiß auch Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle. Münchens oberster Ordnungshüter hatte vor wenigen Tagen im Stadtrat angekündigt, gegen das organisierte Betteln in der Stadt vorgehen zu wollen. "Die Entwicklung der letzten Monate hat einen Grad erreicht, der uns zwingt, intensiver über das Problem nachzudenken", sagte er den Stadträten. Gerade in den vergangenen Wochen habe sich die Situation in der Innenstadt verschärft. Mittlerweile würden sogar Kinder zum Betteln mitgenommen. "Dagegen wollen wir schnell vorgehen", sagt Blume-Beyerle.

Keine Wohnung, keine Arbeit

Sendlinger Straße, die Sonne scheint mild. Ein junger Mann im Parka springt auf einen Passanten zu, stellt sich ihm in den Weg und sagt in gutem Deutsch: "Bitte geben Sie mir zwei Euro." Der Mann wirkt gepflegt und gebildet, warum sollte so einer um Geld betteln? Er sei aus Ungarn und habe hier nach Arbeit gesucht. "Aber keine Wohnung, keine Arbeit. Keine Arbeit, keine Wohnung." Ein Teufelskreis. Seit drei Wochen schläft er in einem Park, jetzt sei ihm auch noch der Rucksack gestohlen worden, erzählt er. Es reicht ihm. "Ich will nur noch eine Rückfahrkarte nach Ungarn."

Sieht so ein organisierter Bettler aus?

Schwanthalerstraße, es nieselt. Eine alte Frau kauert in einer Nische, ihr dunkelbraunes Gesicht ist zerfurcht von tiefen Falten. Aus Bukarest kommt sie. Die Familie: tot. Sie lächelt bei dem Versuch eines Kauderwelschgesprächs und zieht an einer Art Zigarre, die sie aus Zeitungspapier gedreht hat. Versteckt neben ihr steht ein fast zerknüllter Pappbecher, er ist leer.

Ist das gewerbsmäßiges Betteln?

Hauptbahnhof, Donnerstag, 19 Uhr: Eine junge Mutter hält ihre zwei Kinder an der Hand, die drei sind aus Rumänien. Das etwa zwölfjährige Mädchen hat ihre langen braunen Haare zu einem hübschen Zopf geflochten. Ihr kleiner Bruder ist offensichtlich geistig behindert, er hält in der Linken einen leeren Kaffeebecher. Ein Mann geht an der bettelarmen Familie vorbei, lässt eine Münze in den Becher fallen. Das Mädchen winkt im Weitergehen.

Eine organisierte Bettlerbande? Wohl eher eine verzweifelte Mutter mit ihren Kindern - und ein dringender Fall fürs Jugendamt.

Franz Herzog sitzt in der Büroküche und blättert in einer Statistik. Zehn Leute, die in seine "Teestube komm" an der Zenettistraße kommen, leben noch vom Betteln. Zehn von 1200 Menschen in München, die die Streetworker um Franz Herzog im vergangenen Jahr betreut haben. Insgesamt schätzen Herzog und die Polizei die Zahl der Bettler in München auf 50 bis 60, mehr nicht. Im vergangenen Jahr sollen es 25 bis 30 gewesen sein. "Wir betreuen auch Leute aus Osteuropa, die Platte machen", sagt Herzogs Stellvertreter Peter Zabernigg. "Aber eine kriminelle Organisation? Die kann ich nicht erkennen." Die Streetworker des Evangelischen Hilfswerks sind regelmäßig unterwegs, um Kontakt mit den oft scheuen Bettlern aufzunehmen. Viele von ihnen haben Angst, verhaftet oder zurück in ihre Heimat geschickt zu werden. Dorthin, wo sie einfach nicht überleben können.

Bußgelder für professionelle Bettler

Das weiß auch Robert Röske von der zivilen Altstadtstreife. "Die kennen uns alle", sagt er. Es kann dann schon mal vorkommen, dass ein Bettler mit Krücken im Angesicht der nahenden Zivilpolizisten seine Gehhilfen wegwirft und ziemlich schnell das Weite sucht. Denn den professionellen Bettlern drohen empfindliche Bußgelder oder sogar Haftstrafen. Röske erzählt von einer Frau aus der Slowakei, die seit 2006 in München bettelt und einen Schuldenberg von 30 000 Euro angehäuft hat - an Bußgeldern. Manche machen anscheinend auch richtig Geld, wie die deutsche Bettlerin, die laut Röske im Advent täglich 300 Euro vor dem Feinkostgeschäft Dallmayr verdient haben soll. Er rät dazu, Bettlern kein Geld zu geben. Und gebraucht dann einen Satz, der reichlich martialisch klingt: "Den Sumpf kann man nur dadurch austrocknen, dass man ihnen nichts gibt."

Bettler in München: Eine Frau bettelt in der Nähe des Münchner Marienplatzes.

Eine Frau bettelt in der Nähe des Münchner Marienplatzes.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Damit liegt der Polizeibeamte auf der Linie des noch amtierenden Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD), der einmal auf seiner Homepage über Bettler in München schrieb: "Bitte seien Sie kaltherzig." So weit will KVR-Chef Blume-Beyerle nicht gehen. Doch die steigende Zahl der Bettler in München bereitet ihm Sorgen. "Sehenden Auges" diese Entwicklung hinzunehmen, hält er für "keine gute Alternative". Er will nun die Zusammenarbeit mit der Polizei weiter intensivieren, um die organisierten Bettler aufzuspüren. Wilde Camps am Stadtrand oder Autowracks, die im Sommer als Schlafplätze benutzt werden, sollen jetzt sofort beseitigt werden. "Natürlich tun mir die Menschen alle leid", sagt Blume-Beyerle. Aber als KVR-Chef muss er andere Prioritäten setzen.

Odyseen durch viele Länder

Das hilft den Menschen nicht, die am Ende, ganz unten sind. Selbst in Rumänien können sie nicht von 60 Euro Sozialhilfe pro Monat leben. Also schließen sich viele zu lockeren Verbünden zusammen und reisen nach Norden. Dort, wo es noch Geld gibt. "Die meisten bleiben drei bis vier Wochen, dann ziehen sie weiter", sagt der Bettler-Polizist Röske. Wenn es dunkel wird, ziehen sie sich von den Straßen zurück. Die Fußgängerzone und der Viktualienmarkt sind als Schlafplatz tabu. Die einen gehen zur Isar, die anderen in die nahe der Altstadt gelegenen Parks.

Manche haben sogar eine Wohnung, so wie der 58-jährige Rumäne, der meist in der Passage des Alten Rathauses um Geld bittet. Er lebt seit etwa zwei Jahren in München, gemeinsam mit seiner Frau in Giesing. Deutsch spricht er nicht, dafür leidlich Italienisch. In Italien waren die beiden auf ihrer Odyssee aus Rumänien zunächst gestrandet. In Rumänien hatte er einen schweren Unfall mit einem Zug, einen Arm und ein Bein hat er damals verloren. Ihm bleibe nichts als betteln, sagt er. Hilfe vom deutschen Staat bekomme er nicht. Das ist die andere Seite der EU-Freizügigkeit.

Günstiger Platz zum Übernachten

Wenn es dunkel wird, treffen sich einige Bettler in einem Internetladen an der Schwanthalerstraße. Dort telefonieren sie günstig, schicken Geld nach Hause, manche vermuten, dass hier auch erbetteltes Geld gesammelt wird. Aber das ist schwierig nachzuweisen. Der Ort ist auf alle Fälle günstig gelegen, um zu übernachten. Der Bavariapark ist nah, auch der verwinkelte Gebäudekomplex, in dem ein Elektrogroßmarkt residiert und bis vor ein paar Monaten eine Möbelhauskette angesiedelt war.

In die riesige Tiefgarage trauen sich zwar kaum noch Bettler, seit der neue Besitzer eine Wachorganisation in den Parkhallen unter der Theresienhöhe einsetzt. Trotzdem schlafen auch hier noch immer Menschen. Drei junge Slowaken mit ihren Hunden verabschieden sich von den Leuten am Internetladen und verziehen sich in die Treppenfluchten. "Hotel Pappkarton" nennen sie ihren Platz unter einer Treppe.

Vor dem Laden bleibt ein junges Paar zurück. Die Frau sitzt am Fußboden mit ausgestreckten Beinen. Ihr Mann, ein schlanker, rotwangiger Bursche, wirkt wie ein Bauer aus den Karpaten: fröhlich, aufgeschlossen. Aus Poprad im Osten der Slowakei kommen die beiden. Für Dunkelhäutige gebe es dort keine Arbeit. Also sind sie vor mehr als einem Monat nach München gekommen, in der Hoffnung, ein bisschen Geld für die Kinder zu Hause zu verdienen. "Wir sind allein gekommen", sagt der junge Mann, von einer Bettelmafia wisse er nichts. Die hätte ohnehin nicht viel verdient an ihm an diesem Tag. In seiner Hosentasche hat er einen Euro fünfzig.

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