Beschluss:Grüne fordern kostenlosen Nahverkehr für junge Menschen

Beschluss: Wichtiger als ein kostenloser Bus ist einer, der überhaupt fährt, sagt Grünen-Experte Markus Ganserer. Doch der Parteitag ging weiter.

Wichtiger als ein kostenloser Bus ist einer, der überhaupt fährt, sagt Grünen-Experte Markus Ganserer. Doch der Parteitag ging weiter.

(Foto: Robert Haas)
  • Im Mobilitätskonzept, welches die Grünen in Bayern auf ihrem Parteitag verabschiedet haben, wird kostenloser Nahverkehr für junge Menschen in Ausbildung gefordert.
  • Die Initiatoren wollen die Jugendlichen von klein auf an öffentliche Verkehrsmittel gewöhnen.
  • Unklar ist, wie viel das überhaupt kosten würde - und auch, wer das bezahlen soll.

Von Maximilian Gerl

Es sind drei unscheinbare Zeilen, vielleicht sind sie deshalb bislang kaum aufgefallen. Ihr Inhalt käme einer Revolution des bayerischen Nahverkehrs gleich. Fast ganz am Schluss stehen sie im Mobilitätskonzept, das die Grünen vor einer Woche auf ihrem Parteitag in Deggendorf verabschiedet haben. Die Zeilen sind erst spät dazu gerückt, per Änderungsantrag: "Jugendlichen unter 18 Jahren, sowie jungen Menschen bis 28, die sich noch in Ausbildung (Schule, Studium, Berufsausbildung) befinden, wollen wir den kostenfreien Zugang zum Personennahverkehr ermöglichen."

Kostenlose Tickets, solange man nur jung genug ist: ein radikaler Plan. Neu ist die Idee allerdings nicht. Gerade in linken Kreisen wird der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) als eine Leistung verstanden, die von der Gesellschaft für die Gesellschaft erbracht wird - und die deshalb für alle kostenlos sein sollte. Mobilität wird immer wichtiger, vor allem in ländlichen Gegenden; gleichzeitig ist es für junge Menschen manchmal nicht leicht, mobil zu sein. Sie verfügen über ein geringes Einkommen, Bus- und Zugtickets sind relativ teuer. Radikal ist, dass die Grünen diese Idee nun offiziell vertreten - müssen. Dabei glauben nicht mal alle daran.

Überzeugt von der Idee sind sechs junge Grüne der Kreisverbände München-Stadt und München-Land. Die ursprüngliche Formulierung im Antrag - eine landesweit einheitliche Regelung für die kostenlose Mitnahme von Kindern plus ein bayernweit gültiges Jugendticket - ging ihnen nicht weit genug. "Wir müssen die Menschen vom Anfang ihres Lebens an den ÖPNV gewöhnen", sagte Benjamin Adjei. "Nur so schaffen wir es, junge Menschen wirklich langfristig an den ÖPNV zu binden." Dabei, so das Kalkül der Antragsteller, könnten kostenlose Tickets helfen. Außerdem hätten die Grünen schon 2013 im Landtagswahlprogramm einen kostenfreien ÖPNV für alle Jugendlichen unter 18 gefordert. Die Formulierung, nur Kinder kostenlos mitnehmen zu können, sei deshalb "ein Rückschritt" gegenüber der bisherigen Beschlusslage.

Einer, der das nicht glaubt, ist der Landtagsabgeordnete Markus Ganserer. Er hielt auf dem Parteitag eine Gegenrede, die Delegierten stimmten trotzdem für den Änderungsantrag. Auch ein paar Tage später sagt Ganserer: "Ich halte davon nach wie vor gar nichts." Ein Grund: die pauschale Freistellung. Ein Azubi in der Metall- und Elektroindustrie verdiene 1000 Euro im Monat, "und dann soll er kostenlos fahren", während ältere Geringverdiener weiter zahlen müssten. Außerdem profitierten von einem kostenlosen Ticket nur Menschen in den Städten, wo der ÖPNV relativ gut ausgebaut sei. Auf dem Land dagegen "sind die meisten schon froh, wenn überhaupt ein Bus fahren würde". Und dann ist da die Frage, wer den Verkehrsbetrieben die wegfallenden Ticketerlöse erstattet, damit diese ihren Betrieb aufrecht erhalten können. Ganserer sagt: "Die Kommunen werden das sicherlich nicht finanzieren wollen."

Anruf beim Gemeindetag. "Jein", sagt Sprecher Wilfried Schober, "eine einheitliche Haltung beim ÖPNV gibt es nicht." Die Sache ist kompliziert. Primär sind die Landkreise für den Verkehrsbetrieb verantwortlich, die Gemeinden bezuschussen ihn über die Kreisumlage. Jede von ihnen hat wiederum individuelle Ansprüche an den ÖPNV. Schober hält die Idee der Grünen für "durchaus wünschenswert", weist aber auf die Parallelen zur Debatte um kostenlose Kita-Plätze hin. Letztlich müsse die Gesellschaft entscheiden: "Was ist uns das wert?" Heißt: Der Gesetzgeber, also der Freistaat, stünde in der Pflicht, das entsprechend zu regeln. Heißt auch: entsprechend zu finanzieren.

Bayern ist keine Stadt mit überschaubarem Verkehrsangebot

Wie viel der Grünen-Vorschlag kosten würde, ist unklar. Ganserer schätzt "einen guten dreistelligen Millionenbetrag". Eine realistische Summe, wie ein Blick nach Berlin zeigt. 2011 forderte dort die Piratenpartei einen kostenlosen Nahverkehr für alle. Die Berliner Verkehrsbetriebe zeigten sich aufgeschlossen, verwiesen aber auf die Ticketerlöse, die zwischen 500 und 550 Millionen Euro jährlich einbrächten. Eine Sprecherin sagte damals: "Wenn wir das woanders her bekommen, ist uns das egal." Bekamen sie aber nicht. Einige Kilometer weiter in Templin war das Konzept des kostenlosen ÖPNV bereits in den 1990er-Jahren erprobt worden, Jahr für Jahr musste das Rathaus den Verkehrsbetrieben Geld überweisen, um die fehlenden Ticketerlöse auszugleichen. Was irgendwann zu teuer wurde. Heute kosten die Tickets in Templin wieder. Nahe dran ist immerhin Wien: Dort kostet die Jahreskarte 365 Euro - einen Euro pro Tag.

Bayern ist keine Stadt mit überschaubarem Verkehrsangebot, sondern ein Flächenland mit zig Linien, Betreibern und regionalen Sonderwünschen. Ob die Idee eines kostenlosen ÖPNV auf dieser Ebene funktionieren könnte, darüber gibt es bislang zu wenige Untersuchungen und Daten. Außerdem ist umstritten, ob kostenlose Tickets automatisch zu mehr Passagieren führen. Der Verkehrsclub Deutschland, der mit den Grünen öfter auf einer Linie liegt, hat vor einigen Jahren Umsetzungs- und Finanzierungsmöglichkeiten eines kostenlosen ÖPNV ausgelotet. In der Studie wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass aller Erfahrung nach "nicht in erster Linie der Preis entscheidet, sondern die Angebotsqualität". Wenn kein Bus fährt, bringt es eben nichts, dass er kostenlos ist.

Ganserer setzt darauf, dass seine Partei ein Finanzierungskonzept entwickelt, bevor sie mit ihrer Idee in den Landtagswahlkampf zieht. Er selbst würde statt in Freifahrtscheine lieber in einen Ausbau der Buslinien auf dem Land investieren. Ein Stundentakt müsse her. Der Vorschlag steht so auch im neuen Grünen-Papier. Sogar ein paar Zeilen weiter vorn.

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