Bericht des Verfassungssschutzes:"Neue Form des Extremismus"

Einschlägige Abkürzungen wie NPD oder DVU spielen keine Rolle mehr - stattdessen fallen Begriffe wie Facebook oder SchülerVZ: In ihrem neuen Bericht warnen die Bayerischen Verfassungsschützer besonders vor Islamhassern, die sich in sozialen Netzwerken tummeln.

Ulrike Heidenreich

Selbst Verfassungsschützer müssen sich erst einmal daran gewöhnen, dass einschlägige Abkürzungen wie NPD oder DVU keine Rolle mehr spielen, wenn ihr oberster Dienstherr verkündet, welche verdächtigen Staatsbürger sie im vergangenen halben Jahr im Auge behalten haben. Stattdessen fallen Begriffe wie SchülerVZ, Facebook oder flickr.

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Unterwegs im Web: Bayerische Cyber-Cops fahnden nach Extremisten.

(Foto: dpa)

Diese sozialen Netzwerke im Internet sind es, die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Burkhard Körner, Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, zunehmend Sorge bereiten. Weil Anders Breivik, der Attentäter von Oslo, sich und sein wirres Manifest ausführlich im Netz präsentieren konnte, haben die bayerischen Cyber-Cops nun intensiv nach islamfeindlichem Extremismus unter anderem bei Facebook gefahndet. "Das Internet ist zu raumgreifend. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir alles vollständig abdecken können", so das ernüchternde Fazit des Verfassungsschützers.

Extremisten können völlig ortsunabhängig und anonym reagieren. Die soziale Kontrolle durch Außenstehende wird reduziert oder ganz vermieden", sagt Herrmann, der durch Internet-Communities den Boden für eine zunehmende Radikalisierung bereitet sieht. Körner warnte am Montag in München denn auch vor einer "neuen Form des Extremismus", der sich gegen den Islam, Muslime und die Religionsfreiheit wende. Die Grenzen seien "noch nicht scharf". So tummelten sich auf den entsprechenden Web-Seiten auch Rechtsextremisten, die andere Ziele verfolgten.

Auch im islamistischen Extremismus steuere die rasante Entwicklung per World Wide Web bei Einzelgängern - etwa emotional ungefestigten Jugendlichen - auf eine zunehmende Selbstradikalisierung zu, so der Innenminister. Ein Beispiel hierfür ist das bereits geschlossene Internetportal des deutschen Zweigs der Global Islamic Media Front, das islamistische Propagandavideos veröffentlicht hatte. Erste Urteile dazu vor dem Oberlandesgericht München sind mittlerweile ergangen.

Trotzdem kämpfen die speziellen Ermittlungseinheiten etwa beim bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz einen Krieg an zu vielen Fronten. Etwa zehn Experten sind es lediglich, die dort im Internet nach Straftätern fahnden. Beim bayerischen Landeskriminalamt sind es elf Cyber-Cops, die rund um die Uhr nach Kinderpornografie, Rechtsextremismus, Terrorismus oder Anleitungen zum Bombenbau Ausschau halten.

Angesichts der Informationsflut im Internet fordert Herrmann nun dringlich eine bessere Kooperation bundesweit. So müsse das Gemeinsame Internetzentrum (GIZ) in Berlin, das nach den Anschlägen des 11. September 2001 mit dem Schwerpunkt Bekämpfung des islamistischen Terrorismus gegründet wurde, auf die Bereiche Links- und Rechtsextremismus ausgeweitet werden.

Auch sei eine schnelle Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung nötig, um kriminelle und terroristische Netzwerke aufzustöbern. "Wir müssen Zugriff auf gespeicherte Inernetverbindungsdaten haben, um Täter zu identifizieren, die unter anonymen IP-Adressen agieren", fordert Bayerns Innenminister.

Insgesamt hat sich im ersten Halbjahr die Zahl extremistischer Gewalttaten in Bayern verringert. Während Linksextreme in der vergangenen Jahren immer aktiver geworden sind, etwa bei den Kundgebungen rund um den 1. Mai, liegt die Zahl von gewalttätigen Übergriffen nun bei 39 gegenüber 172 im Gesamtjahr 2010. Die Zahl rechtsextremistischer Taten liegt mit 29 auf dem Vorjahresniveau.

Sorge bereiten Herrmann hier die Aktivitäten des Rechtsextremisten Martin Wiese, der nach seiner Haftstrafe wegen eines geplanten Sprengstoffanschlages auf das jüdische Kulturzentrum wieder auf freiem Fuß ist. "Er ist als Führungsfigur möglicherweise in der Lage, einen Zuwachs bei Neonazikameradschaften zu erreichen." Er wird intensiv vom Verfassungsschutz beobachtet. Auch hier laufen die Kontakte übers Internet.

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