Beratung für Angehörige von Inhaftierten:Wenn das eigene Kind im Knast sitzt

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Oft werden sie behandelt, als hätten sie selbst etwas verbrochen: Eltern, deren Kinder im Gefängnis sitzen. In einer Nürnberger Beratungsstelle reden Angehörige von Inhaftierten über ihre Probleme - und lernen, die Schuld nicht bei sich selbst zu suchen.

Von Katja Auer, Nürnberg

Gerade haben sie ihren Sohn besucht und der Mann ist immer noch ganz nervös. "Als ob einer in mir drin sitzt und mich schüttelt." Diese lockeren Sprüche von seinem Sohn und dass er es einfach nicht einsehen will, das kann der Vater kaum aushalten. "Wenn der wieder sitzt, dann besuch' ich ihn nicht mehr", sagt der Mann, der eigentlich nicht aussieht, als ob ihn leicht etwas umhaut. Hier kann er das sagen, einfach so, hier wissen sie, wie das ist - wenn ein Kind im Gefängnis ist. "Du setzt ihn unter Druck", sagt ein anderer Mann, "du solltest das Thema wechseln." Und eine Frau fügt hinzu: "Es sind ja auch deine Nerven."

Ein Donnerstagabend in Nürnberg, in der Beratungsstelle für Angehörige von Inhaftierten (BAI) beim Verein Treffpunkt trifft sich die Elterngruppe. Ein gutes Dutzend Frauen und Männer, man kennt sich, manche kommen schon fast zehn Jahre. Sie ist noch nicht so lange dabei, ihr 16-jähriger Sohn sitzt seit sechs Monaten in Untersuchungshaft. Schwerer Raub.

Als er sich diese Freunde gesucht habe, sei ihr gleich klar gewesen, dass die nicht gut für ihn sind, erzählt die Mutter. Eines Abends stand die Polizei vor der Tür. Am nächsten Morgen habe sie ganz früh bei der Einrichtung angerufen, wo er gerade Sozialstunden ableistete, um Bescheid zu sagen, dass er nicht kommen würde. So früh, weil sie hoffte, dass nur der Anrufbeantworter rangehen würde. Weil sie sich so schämte.

Dann erfuhr sie von der Elterngruppe und der erste Besuch sei "so erleichternd" gewesen, erzählt die Frau. "Ich war so froh, dass jemand mal etwas Nettes zu mir sagt." Vor diesen Menschen mit höchst unterschiedlicher Bildung, Gehaltsstufe und Familiensituation, die aber alle wissen, wie es ihr geht, weil sie es so oder so ähnlich selbst erlebt haben, konnte sie zum ersten Mal weinen. Und das ging schon vielen so. "Vorher musste ich einfach funktionieren", sagt sie.

Die Familientherapeutin Christel Brendle leitet die Gruppe, sie war von Anfang an dabei, seit der Treffpunkt vor 20 Jahren als bundesweit erste Beratungsstelle für Angehörige von Inhaftierten öffnete. Um Eltern ein Forum zu bieten, in dem sie mit ihren Probleme nicht alleine sind. Eine solche Gruppe gebe es in ganz Bayern kein zweites Mal, sagt Brendle, deswegen fahren manche Teilnehmer weit, um dabei zu sein. "Es werden jedes Jahr mehr", sagt sie.

Die Frage nach der Schuld der Eltern

Die Eltern kommen mit den Sorgen um das Kind, um die Zukunft nach dem Gefängnis. Aber auch mit praktischen Dingen. Ob ein Inhaftierter sein Kindergeld behalten darf beispielsweise. Und mit Sorgen um sich selbst. "Oft stellen sie die Frage nach der eigenen Schuld", sagt Brendle und erzählt von dem Vater, der nachts aufwacht und sich fragt, wann sein Sohn den falschen Weg eingeschlagen hat.

Diesen Punkt hat die fröhliche Dame am Tisch überwunden. Seit zwei Jahren sitzt ihr 20-jähriger Sohn im Gefängnis, er hat ein Casino überfallen und mehrere Einbrüche begangen. Ob er gesetzestreu bleibt, wenn er seine Strafe abgesessen hat, das hofft sie zwar, aber sicher sein kann sie nicht. "Wenn er rauskommt und sich doch für diesen Weg entscheidet, dann muss man damit leben", sagt sie. "Das ganze Leben darüber weinen, bringt nichts, denn dann sind zwei Leben kaputt." Das klingt sachlich, besonnen, die anderen Eltern in der Runde nicken anerkennend. Soweit sind nicht alle. Christel Brendle greift ein. "Man muss wissen, dass sie vor einem Jahr noch ganz anders drauf war", sagt sie über die scheinbar so gelassene Mutter. "Da war sie am Boden."

Reden hilft, das merken sie hier alle und das ist es, was sie tun an diesen Abenden bei Tee und Butterbrezen. In diesem Kreis braucht sich niemand zu schämen, als ob er selbst etwas verbrochen hätte, und auch nicht so zu tun, als ob der Sohn gerade einen längeren Urlaub im Ausland verbringe. Die Heimlichtuerei, das ständige Lügen vor Freunden, Nachbarn, dem Chef, das ist anstrengend. Aber auch ein Selbstschutz. "Ich habe es mal einem Pfarrer erzählt", sagt eine Teilnehmerin, "das würde ich nie wieder tun." Der sei danach auf Distanz zu der Familie gegangen.

Und auch die Mutter des 16-Jährigen will es den Lehrern ihres jüngeren Sohnes nicht sagen, obwohl der zurzeit große schulische Probleme hat. "Die Lehrer würden vielleicht anders reagieren", sagt Christel Brendle, aber die Mutter hat schon schlechte Erfahrungen gemacht. Der Vater eines Mitschülers wisse von dem eingesperrten Bruder und seitdem dürfe sein Sohn nicht mehr mit ihrem spielen. Kopfschütteln am Tisch.

Eine Selbstmitleidsgruppe ist die Runde dennoch nicht. "Es ist unser Kind, es bleibt unser Kind", sagt ein Vater, dessen Sohn wegen Mordes verurteilt wurde. Beschönigt wird hier nichts, auch wenn schon mal diskutiert wird, ob das eine oder andere Verfahren so hätte ablaufen müssen oder ob eine Strafe nicht doch zu hoch ausgefallen sei. "Sie sind unter Kriminellen und sie selbst sind auch kriminell", sagt eine Mutter und wischt die Illusion vom unschuldig eingesperrten Nachwuchs beiseite. Aber die Schuld bei sich selber suchen, das wollen viele Eltern nicht mehr. "Man muss das Beste draus machen", sagt die fröhliche Dame, die das schon geschafft zu haben scheint, "wenn man das so sagen darf." Christel Brendle gibt die Antwort: "Darf man."

© SZ vom 29.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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