Der Bergfex kommt aus einer anderen Zeit: Mit Rauschebart, Filzhut, Strümpfen bis zu den Knien und schweren Lederbergschuhen steigt er den Berg hinauf. Betritt er eine Hütte, grüßt er freundlich mit einem "Servus beinand'" und bestellt sich ein Gipfelbier. Insgeheim trauert er seinem alten Alpenvereinsausweis nach, in dem er seine Beitragsmarke jedes Jahr von Hand einkleben musste. Auf einen Zentimeter Ausweisstärke hatte er es gebracht - jetzt kriegt er jedes Jahr im Januar so ein komisches Kärtchen zugeschickt. Um den gut ausgerüsteten Ahnungslosen und den Flachland-Tiroler macht er einen weiten Bogen, diese Leute haben nichts in seinen Bergen verloren, findet er. Mit dem stillen Genießer verbindet ihn eine Bruderschaft im Geiste.
Der Flachland-Tiroler ist dem Ahnungslosen sehr ähnlich. Nur ohne Bergausrüstung. Er kauft sich kurz vorm Losgehen noch schnell eine Cola und ein paar Kekse. Dann schlappt er los, mit Sandalen, profillosen Velours-Sneakers, vorzugsweise mit Strassbesatz, oder im besten Fall Halbschuhen an den Füßen. Ist ja nur eine Dreistundentour. Eine Karte hat er nicht dabei, dafür hat er sich den Weg vorher auf Google Maps angeschaut. Oder er schaut in eine Panoramakarte, die bei der Bergbahn ausliegt. "Schau mal, da geht ein Weg auf die Alpspitze", sagt die Mutter zu ihrem etwa 16 Jahre alten Sohn und dessen Freundin. "Da könntet ihr doch noch hochgehen!" Es ist zwei Uhr Nachmittag im Spätherbst, die Familie sitzt bei Pommes und Schnitzel auf der Sonnenterrasse des Restaurants auf dem Osterfelderkopf hoch über Garmisch-Partenkirchen. Die Seilbahnfahrt hat man doch auch schon geschafft, den 700 Meter langen "Summit Adventure Trail" bewältigt - da geht doch noch was. Interessiert schaut sich der Sohn das Faltblatt an, das bei der Bergbahn ausgegeben wird: "Echt? Tatsächlich . . ." Nur die Freundin wirkt wenig überzeugt: "Ist das nicht so ein Klettersteig? Braucht man da nicht Ausrüstung?"
Ein paar Meter weiter macht sich ein Mittdreißiger in weißer Schlaghose und Flip-Flops auf, den Nordwandsteig zu gehen. Nach ein paar Metern das erste Hindernis: eine Matschpfütze. Mit leicht angewidertem Blick zwängt er sich daran vorbei - und steht vor der nächsten. Hier hilft nur ein beherzter Sprung. Wieder ein paar Meter weiter gibt er auf. Das Risiko, dass die weiße Hose eingesaut wird, ist zu groß. Hüttenruhe findet der Flachland-Tiroler übrigens doof: Man ist schließlich im Urlaub, da kann man nach dem Open-End-Zechgelage doch ausschlafen.