Beginn der Wandersaison:Wo Wichtigtuer Bergfexen die Welt erklären

Auf den Gipfeln in den Alpen trifft man ganz unterschiedliche Gestalten - angenehme und nervige. Eine Bergsteiger-Typologie.

Von Isabel Meixner und Martin Bernstein

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Der Welterklärer

Karikatur Korbinian Eisenberger

Quelle: Korbinian Eisenberger

Er ist auf fast jedem Gipfel zu finden: der Welterklärer. Sein gepflegtes Halbwissen posaunt er mit großer Geste und noch größerer Überzeugung in die Welt hinaus. "Papi, du kennst dich doch so gut aus. Wo ist denn Innsbruck?", fragt die Tochter im Studentenalter ihren Vater, als sie auf halber Strecke des Mittenwalder Höhenwegs Pause machen. "Ja, das ist gar nicht so einfach von hier aus. Da muss man sich auskennen!", trumpft der Vater auf und legt die Stirn in Falten. Er steht auf und blickt nach Nordosten, dorthin, wo man eher Lenggries vermuten würde. "Da! Innsbruck ist da hinten."

Ein paar Kilometer weiter: anderer Berg, die gleiche Situation. Ein Mann möchte seine Begleitung auf der Kramerspitze mit seiner Kenntnis verzaubern und schleicht geschäftig ums Gipfelkreuz herum. Dann sagt er schließlich: "Das dort hinten. Das müsste die Zugspitze sein." Dabei deutet er mit seinem Finger zum Allgäu, also in die fast entgegengesetzte Richtung. Am Fockenstein erklärt eine junge Frau ihrem bergunerfahrenen Begleiter, wie man steile Felspassagen fachgerecht meistert: "Also, ich setze mich in solchen Fällen immer auf den Popo." Dass man auf der Selbstbedienungshütte die leeren Gläser wegräumt, weiß sie dafür nicht.

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Der stille Genießer

Berge, Wandern

Quelle: Andreas Haertle - Fotolia

Der stille Genießer hat sich am Abend zuvor daheim das Butterbrot geschmiert, extra noch Eier hart gekocht, den Apfel klein geschnitten und einen Schokoriegel eingepackt. Sein Ziel wählt er mit Bedacht: Berge mit Seilbahn meidet er aus Prinzip - zu viele Personen, die seiner Ansicht nach in den Alpen nichts verloren haben -, die Klassiker unter den Münchner Hausbergen ebenfalls. Mit Vorliebe wählt er Ziele, die er noch nicht kennt. Dort angekommen, sucht er sich ein Plätzchen etwas abseits des Gipfelkreuzes, legt sich ins Gras, genießt Sonne, Ausblick und die Brotzeit und hört amüsiert den Ausführungen des Welterklärers zu.

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Der Bergfex und der Flachland-Tiroler

Karikatur Korbinian Eisenberger

Quelle: Korbinian Eisenberger

Der Bergfex kommt aus einer anderen Zeit: Mit Rauschebart, Filzhut, Strümpfen bis zu den Knien und schweren Lederbergschuhen steigt er den Berg hinauf. Betritt er eine Hütte, grüßt er freundlich mit einem "Servus beinand'" und bestellt sich ein Gipfelbier. Insgeheim trauert er seinem alten Alpenvereinsausweis nach, in dem er seine Beitragsmarke jedes Jahr von Hand einkleben musste. Auf einen Zentimeter Ausweisstärke hatte er es gebracht - jetzt kriegt er jedes Jahr im Januar so ein komisches Kärtchen zugeschickt. Um den gut ausgerüsteten Ahnungslosen und den Flachland-Tiroler macht er einen weiten Bogen, diese Leute haben nichts in seinen Bergen verloren, findet er. Mit dem stillen Genießer verbindet ihn eine Bruderschaft im Geiste.

Der Flachland-Tiroler ist dem Ahnungslosen sehr ähnlich. Nur ohne Bergausrüstung. Er kauft sich kurz vorm Losgehen noch schnell eine Cola und ein paar Kekse. Dann schlappt er los, mit Sandalen, profillosen Velours-Sneakers, vorzugsweise mit Strassbesatz, oder im besten Fall Halbschuhen an den Füßen. Ist ja nur eine Dreistundentour. Eine Karte hat er nicht dabei, dafür hat er sich den Weg vorher auf Google Maps angeschaut. Oder er schaut in eine Panoramakarte, die bei der Bergbahn ausliegt. "Schau mal, da geht ein Weg auf die Alpspitze", sagt die Mutter zu ihrem etwa 16 Jahre alten Sohn und dessen Freundin. "Da könntet ihr doch noch hochgehen!" Es ist zwei Uhr Nachmittag im Spätherbst, die Familie sitzt bei Pommes und Schnitzel auf der Sonnenterrasse des Restaurants auf dem Osterfelderkopf hoch über Garmisch-Partenkirchen. Die Seilbahnfahrt hat man doch auch schon geschafft, den 700 Meter langen "Summit Adventure Trail" bewältigt - da geht doch noch was. Interessiert schaut sich der Sohn das Faltblatt an, das bei der Bergbahn ausgegeben wird: "Echt? Tatsächlich . . ." Nur die Freundin wirkt wenig überzeugt: "Ist das nicht so ein Klettersteig? Braucht man da nicht Ausrüstung?"

Ein paar Meter weiter macht sich ein Mittdreißiger in weißer Schlaghose und Flip-Flops auf, den Nordwandsteig zu gehen. Nach ein paar Metern das erste Hindernis: eine Matschpfütze. Mit leicht angewidertem Blick zwängt er sich daran vorbei - und steht vor der nächsten. Hier hilft nur ein beherzter Sprung. Wieder ein paar Meter weiter gibt er auf. Das Risiko, dass die weiße Hose eingesaut wird, ist zu groß. Hüttenruhe findet der Flachland-Tiroler übrigens doof: Man ist schließlich im Urlaub, da kann man nach dem Open-End-Zechgelage doch ausschlafen.

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Der ahnungslose Möchtegern

Karikatur Korbinian Eisenberger

Quelle: Korbinian Eisenberger

Diese Kategorie Mensch wirkt, als wäre sie frühmorgens auf dem Weg in die Berge noch schnell bei Globetrotter, Scheck oder Schuster vorbeigefahren, um sich die passende Hightech-Thermo-Funktions-Ausrüstung zu besorgen. Ein GPS-Gerät darf ebenso wenig fehlen wie eine Kamera auf dem Helm, damit man daheim zeigen kann, welch schwierigen Klettersteig man geschafft hat. Gut gelaunt kommt dieser Typ dann später aus besagtem Klettersteig und steuert auf eine Gruppe Bergsteiger zu, die gerade eine Wanderkarte studiert. "Entschuldigung", sagt er. "Ist das dieser Alpspitz?" Mit dem Finger deutet er "diesen Alpspitz" hinauf und macht dann einen Schritt auf die ausgeklappte Karte zu. "Kann ich da mal einen Blick reinwerfen? Ich habe keine Karte dabei." Kurzes Schweigen. "Wo sind wir denn grad?" Ein Bergsteiger zeigt es ihm. "Ach da . . . ja, dann bin ich ja gleich oben. Tschüss dann auch!" Karten mag der ambitioniert Ahnungslose nicht, Orientierung - findet er - wird überschätzt. Er stiefelt einfach los. Und wenn ihm jemand zuvor gesagt hat, dass er ja auf dem Weg bleiben soll, biegt er direkt ab ins Latschendickicht. Die Bergwacht liebt den Ahnungslosen ganz besonders.

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Die Klette

Karikatur Korbinian Eisenberger

Quelle: Korbinian Eisenberger

Die Klette startet alleine in den Bergtag, wohl weil Partner und Freunde mal froh sind, einen Tag Ruhe zu haben. Die Klette freut sich, wenn sie Anschluss findet, weil sie sonst einen Tag alleine unterwegs wäre. Schon am Parkplatz nimmt sie Blickkontakt auf zu anderen Bergsteigern - meist Wanderer der Kategorie "stille Genießer" - und checkt die Lage: Wie lange brauchen die anderen noch? Welche Ausrüstung haben die Auserwählten dabei? Lösen sie ihren Parkschein? Falls nicht: ein super Hinweis, mit dem sich das Eis gleich brechen lässt. Falls doch: Die Frage nach dem Weg lässt sich immer stellen. Auch wenn dieser, wie im Fall der Neureuth über dem Tegernsee, nicht zu verfehlen ist. Immer geradeaus? "Ich warte lieber auf euch. Sicher ist sicher", sagt die Klette und fügt frohgemut an: "Ist doch viel schöner, zusammen zu gehen als allein."

Die Klette läuft in der Folge an dritter Position, aber dem Vordermann so eng auf, dass sie mit ihren Schuhen fast auf die des Vordermanns tritt. Versuche, die Klette auf freundliche Art loszuwerden, scheitern. Kein Verschnaufen, keine Pipi-Pause, keine demonstrativ zu zweit geführten Gespräche halten diese Spezies davon ab, bei den Auserwählten zu bleiben. Letzte Rettung: ein Bankerl, auf das wirklich nur und gerade noch so zwei Menschen passen. Und servus!

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Der Griabige und der Anspruchsvolle

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Quelle: Hartmut Pöstges

Der Griabige ist ein Zwischenwesen: Seine Kleidung ist berguntypisch, seine Schuhe sind profillos, bei der Wahl seines Getränks auf der Hütte orientiert er sich aber eher am Bergfex-Geschmack. Der Griabige lässt sich gar nicht stressen, von nichts und niemandem. Früh aufstehen, um in die Berge zu fahren? Nicht mit ihm. Ihm reicht es, wenn er gegen Mittag mit einer Seilbahn 700 Meter in die Höhe fahren kann. Sein bevorzugtes Revier sind Wendelstein, Kreuzeck, Wallberg und Brauneck. Oben angekommen, steuert er als Erstes die Wirtschaft an, in der er ein Weißbier trinkt. Den Ausblick kommentiert er mit einem "Schee is ja scho", verzichtet in der Folge aber auf längere Gespräche.

Der Anspruchsvolle vertraut auch in den Bergen auf Oscar Wilde: "Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Ich bin immer mit dem Besten zufrieden." Er bestellt auf der Hütte "'n Latte Macchiato Vanilla Flavour!" und ist schwer irritiert, als der Kellner raunzt: "An Kaffee hätt' i!" Der Anspruchsvolle ist manchmal auch ein Kind und wirft sich schreiend auf den Boden, weil es keine Pommes gibt, sondern nur Bratkartoffeln. Ist der Anspruchsvolle volljährig, gurgelt er den Kalterer-See-Rachenputzer, den der Hüttenwirt noch irgendwo unter der Spüle gefunden hat, so verzückt, als sei es ein 2003er Chateau Latour.

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Der Super-Sportler

'Zugspitze' - Mountain Sprint Extremlauf Alpen

Quelle: Getty Images

Auf Berge kann man gehen? Nicht der Super-Sportler. Er hat ganz andere Ambitionen: seine persönliche Bestzeit beim nächsten Berglauf zu toppen. Er quält sich nach der Arbeit, bei Nieselregen wie bei brüllender Hitze den Berg hinauf. In seinen Adern fließt reines Adrenalin. Seine Gesichtsfarbe gleicht in der Regel der einer Tomate, um seine Hüften hat er einen Trinkflaschengurt geschnallt. Für die Schönheiten der Bergwelt hat er keinen Blick - schließlich ist er den Heimgarten schon x-mal hochgerannt. Seine Devise: Nur die Harten kommen auf den Garten.

© SZ vom 8.5.2016
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