Befreiungshalle in Kelheim:Des Königs Traum

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"Klenze, so schön, so schön habe ich mir den Bau nicht geträumt", rief König Ludwig I. ganz gerührt, als er die Befreiungshalle in Kelheim, Symbol für die Unabhängigkeit Bayerns, zum ersten Mal sah. Später wurde das Monument für NS-Propaganda missbraucht, aber auch als Zeichen fürs Miteinander der Völker geehrt. Das Festjahr zum 150-jährigen Bestehen hat nun begonnen.

Wolfgang Wittl

Die Befreiungshalle in Kelheim - Symbol der Unabhänigkeit Bayerns. (Foto: dpa)

Zuerst einmal, rein materiell betrachtet, ist die Befreiungshalle für Christoph Lickleder nichts weiter als "ein Steinhaufen", wie er sagt. Wenn auch ein imposanter, prächtiger Steinhaufen: 45 Meter ragt die Rundhalle auf dem Kelheimer Michelsberg weithin sichtbar in die Höhe, wie eine Herrscherin thront sie mit ihrer patinagrünen Krone über der niederbayerischen Stadt.

Wer die Befreiungshalle betritt, wird von der wuchtigen Wirkung des Innenlebens fast erschlagen. Und wer von ihr herunterblickt, bekommt eine Ahnung, weshalb für König Ludwig I. von Bayern nur dieser Ort als Heimat für dieses Monument der nationalen Einheit infrage kam: Donaudurchbruch, Kaiserstraße, keltische Vergangenheit, Zusammenfluss von Altmühl und Donau sowie nicht zuletzt die Achse mit Regensburger Dom und Walhalla - all das bewog den bayerischen Herrscher, diesen symbolträchtigen Bau von seinen bedeutendsten Architekten Friedrich von Gärtner und Leo von Klenze nicht etwa in München, sondern in der früheren Herzogstadt verwirklichen zu lassen.

Die Halle, wie der klassizistische Ruhmestempel von den Kelheimern in abgekürzter Form genannt wird, soll an die Befreiungskriege gegen Napoleon erinnern. Doch erst am 18. Oktober 1863, am 50. Jahrestag des Sieges in der Völkerschlacht bei Leipzig, wurde sie nach mehr als zwanzigjähriger Bauzeit eröffnet. An diesem Wochenende begannen mit einer Ausstellung im Historischen Museum Regensburg und der Vorstellung einer 544 Seiten starken Publikation die Feierlichkeiten zu ihrem 150-jährigen Bestehen.

Ludwig I., der vor der Eröffnung bereits abgedankt hatte, soll angesichts der Formvollendung des Werkes vor Rührung geweint haben. "Klenze, so schön, so schön habe ich mir den Bau nicht geträumt", habe Ludwig dem Architekten gedankt, wie der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar schreibt. Leo von Klenze hatte nach dem Tod Friedrich von Gärtners die Pläne noch einmal gründlich umgearbeitet.

Auf verzierende Malereien verzichteten die Erschaffer der Befreiungshalle, die sich stattdessen durch Erinnerungsarchitektur auszeichnet, wie der Regensburger Ordinarius für Kunstgeschichte, Christoph Wagner, erläutert: "Kein militaristischer, kein rückwärtsgewandter, sondern ein moderner, ausbaufähiger Gedanke" liege dem lichterfüllten Gebäude zugrunde. Ludwig I., der ob seiner dichterischen Fähigkeiten oft belächelte Monarch, hatte seine Vorstellung von Einheit und Freiheit zur Grundsteinlegung 1842 so zusammengefasst:

Durch der Zeiten weite Ferne schlinge Immer sich der Eintracht heilig Band In des Teutschen Seele sie durchdringe Unbesiegt bleibt dann das Vaterland.

Doch Freiheit, diese einzig gültige, gibt es die überhaupt? Ist sie nicht vielmehr immer ein Kind ihrer Zeit? Bedeutete Freiheit in Ludwigs Augen die Eigenständigkeit des Vaterlandes, die Vereinigung aller Volksstämme, so geriet die Befreiungshalle nur 50 Jahre später zum Symbol deutscher Großmachtphantasien.

Kaiser und Hochadel vereinnahmten sie ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Bühne für ihre persönlichen Interessen. Und Adolf Hitler kreuzte bereits 1933 im Jahr seiner Machtergreifung auf, schwadronierte vom Lebensrecht des deutschen Volkes. Der Kelheimer Stadtrat zeichnete den Nazi-Diktator damals mit der Ehrenbürgerwürde aus. "Der Begriff ,Freiheit' ist wie eine Hure", sagt Christoph Lickleder: "Kein anderer Begriff wurde so stark interpretiert und missbraucht wie die Freiheit."

Am 25. August 1913 feierten 14 der regierenden deutschen Fürsten in der Halle die Befreiung Deutschlands von Napoleon - unter ihnen Wilhelm II. (Foto: Timm Schamberger/dap)

Wohl mehr als die meisten Menschen hat Lickleder, 67, darüber nachgedacht, in welchem Kontext die Befreiungshalle zu sehen ist. Der pensionierte Musiklehrer und Dirigent gestaltet als Projektkoordinator die Feierlichkeiten zum 150-jährigen Bestehen. Seit drei Jahren ist er als beharrlicher Werber unterwegs: schrieb Dutzende Briefe und E-Mails ans halbe bayerische Kabinett, trieb Geld auf, knüpfte Kontakte und nutzte alte Bekanntschaften wie die zum Münchner TU-Präsidenten Wolfgang Herrmann, einem gebürtigen Kelheimer, dessen Name Türen öffnete.

Zustande gekommen ist ein Programm mit 50 teils bemerkenswerten Veranstaltungen, ohne für Ludwig I. das Weihrauchfass zu schwingen, wie Lickleder sagt: eine Ausstellung mit 30 Originalen der Architekten von Gärtner und von Klenze, ein Auftritt des Bayerischen Staatsballetts sowie ein Konzert mit vier Uraufführungen der Komponisten Konstantia Gourzi, Moritz Eggert, Franz Hummel und Jan Müller-Wieland. Zuhörer dürfen sich darauf freuen, ob und wie die Interpreten mit dem sechsfachen Echo der Befreiungshalle zurecht kommen - einem Nachhall, der laut Lickleder "in die Ewigkeit reicht".

Mancher Kelheimer hält die Festivitäten für kulturell überambitioniert, doch für die Veranstalter kann die Ausstrahlung gar nicht genügend Kreise ziehen. "Die Idee der Freiheit soll in die Köpfe rein", sagt Lickleder. Jene Form der Freiheit, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg durch Besuche von Theodor Heuss, Willy Brandt, Helmut Kohl oder François Mitterrand zum Ausdruck kam. Bis zu 300 000 Menschen jährlich kamen zu Zeiten des Kalten Krieges in die Befreiungshalle, inzwischen ist es nur noch die Hälfte.

Trotz allem verkörpert die Halle für viele Menschen heute einen Freiheitsgedanken, mit dem sich womöglich auch Ludwig I. anfreunden könnte. Über Europas großem, verbindenden Fluss gelegen, vereine sie unter ihrem frisch renovierten Dach ein gedeihliches Miteinander der Nationen, sagt Christoph Lickleder: "Vielleicht bin ich sentimental, aber für mich geht der geistige Impuls weit über dieses Gebäude hinaus."

© SZ vom 12.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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