Bedrohte Tierart:Du scheues Huhn

Birkhuhn Lyrurus tetrix Tetrao tetrix bei der Balz Lüneburger Heide Niedersachsen Deutschland

Kullern, Fauchen, Zischen: Ein Birkhahn bei der Balz. Die einst weit verbreiteten Vögel stehen auf der roten Liste

(Foto: Imago stock & people)

Im Allgäu gibt es noch Birkwild, das anderswo in Bayern längst ausgestorben ist. Im Frühjahr führen die Hähne ein bizarres Balzritual auf. Doch immer häufiger werden die sensiblen Tiere dabei gestört.

Von Christian Sebald, Sonthofen

Es ist fünf Uhr in der Früh, still ragen die steilen Flanken des Riedberger Horns in den grauen Morgenhimmel. Unten auf dem schmutzig-weißen Schneefeld, das sich vor einer Alphütte erstreckt, ist mit einem Mal ein vielstimmiges Kullern in der Luft, unterlegt von fauchendem Zischen. Die Laute schwellen an und ab, erst weiß man nicht, woher sie kommen. Doch dann sind auf dem Schneefeld vor der Alphütte neun schwarz-blau gefiederte Birkhähne zu erkennen. Sie plustern sich mächtig auf. Ihre geschwungenen Schwanzfedern haben sie so aufgestellt, dass sie den Blick auf das strahlend weiße Untergefieder freigeben. Die "Rosen" - wie die federfreien Stellen über den Augen der Vögel heißen - sind so angeschwollen, dass sie glutrot an den Köpfen hervortreten. Immer wieder laufen die Birkhähne aufeinander zu, springen sich an und drehen im letzten Moment doch wieder ab.

Die Birkhahn-Balz ist ein ganz besonderes Naturspektakel. Und das 1787 Meter hohe Riedberger Horn im Oberallgäu ist einer der wenigen Orte in Bayern, wo man sie noch erleben kann. Denn so verbreitet die Hühnervögel einst in Bayerns Feucht- und Heidelandschaften, aber auch in den Bergen waren, so selten sind sie inzwischen geworden. "Noch in den Siebzigerjahren traf man Birkhühner in den Münchner Vororten an, im Schwarzhölzl bei Feldmoching etwa", sagt der Biologe und Vogelkundler Henning Werth, der an diesem Morgen die Birkhuhn-Balz am Riederberger Horn beobachtet. "Nun gibt es sie praktisch nur noch in den Alpen zwischen der Baumgrenze und der Felsregion."

Bayernweit leben vielleicht noch 800 Birkhähne

800 Birkhähne, so schätzt Werth, leben vielleicht noch in Bayern, dazu noch einmal so viele Birkhennen. Am Riedberger Horn und an seinen Nachbargipfeln gibt es die wohl größten Bestände. "Hier werden es 120 Hähne und Hennen sein", sagt Werth. "Aber wenn wir nicht aufpassen, sind auch sie bald weg, so wie auch anderswo hier."

Kein Birkwild mehr im Allgäu, das ist eigentlich unvorstellbar. Birkhähne sind die Paradevögel der bayerischen Bergwelt. Ihre Schwanzfedern zählten durch die Jahrhunderte zu den begehrtesten Trophäen. So berichtet der Schriftsteller Franz von Kobell in seinem 1859 erschienenen Werk "Wildanger", dass der Birkhahn "zwar gut zu essen ist", es aber doch "die krummen Stoßfedern des Vogels sind, die den Jäger anziehen". Noch heute trägt ein jeder Allgäuer, der auf sich hält, Birkhahn-Federn am Hut- egal ob Alphirte, Trachtler oder Jäger. Sogar der Schuhplattler soll der Birkhahn-Balz nachempfunden sein. Zumindest behaupten das einige felsenfest.

Die Vögel brauchen Ruhe

Die Jagd dürfte freilich nur ein Grund sein, warum das Birkwild so selten geworden ist. Die anderen, wohl entscheidenderen Ursachen sind die Verluste an Moor- und Heidelandschaften und die immer größeren Scharen von Wanderern, Mountainbikern, Skifahrern und anderen Freizeitsportlern in den Bergen. "Birkhühner brauchen große, zusammenhängende, ruhige Lebensräume", sagt Werth. "Vor allem während der Balz, der Brutzeit und im Winter dürfen sie nicht gestört werden."

Die Birkhuhn-Balz ist nicht nur wegen des bizarren Gehabes der Männchen eine besondere Sache. Zwar dauert sie von April bis Juni, insgesamt also wenigstens zehn Wochen. Aber die unauffälligen, rostbraun gefiederten Weibchen sind während dieser Zeit nur zwei oder drei Tage paarungsbereit. "Werden die Birkhühner an diesen wenigen Tagen gestört, fällt gleich ein Jahrgang Junge aus", sagt Werth. "Das kann das schnelle Ende einer Teilpopulation sein."

Wenn der Lebensraum verloren geht

Bedrohte Tierart: Am Riedberger Horn gibt es noch Birkwild das anderswo in Bayern ausgestorben ist.

Am Riedberger Horn gibt es noch Birkwild das anderswo in Bayern ausgestorben ist.

Nicht weniger diffizil sind Brut und Aufzucht der Nachwuchses. Birkhennen sind Bodenbrüter, sie nisten direkt auf dem Boden. Den Jungvögeln droht also besonders viel Gefahr von Füchsen und anderen Räubern. Doch das ist es nicht alleine. Die Jungvögel werden ausschließlich von den Hennen großgezogen, die Hähne machen sich sofort nach der Begattung aus dem Staub. "Nahrung, Wärmen, Schutz - all das ist Sache der Hennen", sagt Werth. "In kalten, regnerischen Sommern ist das zu viel für sie, da sterben oft ganze Gelege weg."

Auch im Winter sind die Gefahren groß. Zwar kommen die Birkhühner selbst mit Minustemperaturen im zweistelligen Bereich gut zurecht. "Sie ruhen die meiste Zeit in Schneehöhlen", sagt Werth. Aber ein- oder zweimal am Tag müssen sie raus zum Fressen. Eine jede Störung kann dann tödlich sein. "Der Kreislauf der Vögel ist auf Sparflamme", sagt Werth. "Müssen sie plötzlich flüchten, zum Beispiel vor einem Skifahrer, verkraften sie das oft nicht und es ist aus mit ihnen."

Skigebiete sollen klein bleiben

Wenn die Birkhühner also eine Chance haben sollen am Riedberger Horn, muss man sie möglichst in Ruhe lassen. Das ist der Grund, warum sich Werth und viele andere Naturschützer massiv gegen die Pläne zur Wehr setzen, die kleinen Skigebiete dort auszubauen. Seit Jahren schon wollen die Liftbetreiber Trassen für einen neue Seilbahn und eine Piste in den Berg schlagen.

Erst diesen Winter haben sie wieder einen Anlauf dafür unternommen. Doch sie dürften ohne Chance sein. "Die Region ist ein einmaliger Lebensraum für das Birkhuhn", hat Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) erst diese Woche erneut erklärt. "Ich sehe die Pläne sehr kritisch." Damit hält Scharf an der Ankündigung fest, ihr Veto gegen die Projekte einzulegen.

Den Hennen wird das Gehabe zu viel

Auf dem Schneefeld unterhalb der steilen Bergflanken geht es an diesem Morgen heftig zur Sache. Inzwischen sind vier Birkhennen eingetroffen. Aufgeregt scharwenzeln die Hähne hinter ihnen her. Je näher sie den Weibchen kommen, desto heftiger kullern und zischen sie. Sowie ein Männchen dem anderen zu nahe kommt, springen sie sich gegenseitig an. Die Hennen sind eher uninteressiert. Zwar beäugen sie die Hähne, im letzten Moment trippeln sie ihnen aber doch davon. Schon nach einer Viertelstunde wird den Hennen das Gehabe zu viel. Wie auf ein geheimes Signal hin heben sie ab. Gleich darauf sind sie über die Alphütte hinweggeflogen und lassen sich nicht mehr blicken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: