Bayreuther Festspiele:Rattendämmerung

Auf die Ratte gekommen: Mit Hans Neuenfels' Neuinszenierung von Wagners "Lohengrin" haben die Bayreuther Festspiele begonnen - das Finale droht im Buhgewitter des Publikums unterzugehen.

R. J. Brembeck, Bayreuth

Wagners Welten sind häufig Tierwelten. Man denke nur an den "Ring des Nibelungen" (Ross, Wurm, Bär, Kröte), an "Parsifal" (Pferd, Schwan) oder "Lohengrin" (Schwan, Taube). Manche Regisseure in Bayreuth haben diesen Tierpark noch bereichert. Christoph Schlingensief ersann für den "Parsifal" eine fein verästelte Variationenreihe zum Thema Hasen, und der so kindlich schlaue wie nie um einen Traditionsbruch verlegene Hans Neuenfels ist für den diesjährigen "Lohengrin" auf die Ratte gekommen.

Bayreuther Festspiele: Chor in menschengroßen Rattenkostümen: Hans Neuenfels setzt bei seiner Neuinszenierung von "Lohengrin" nicht auf märchenhaftes Mythengewaber, sondern auf kalte Laborratten.

Chor in menschengroßen Rattenkostümen: Hans Neuenfels setzt bei seiner Neuinszenierung von "Lohengrin" nicht auf märchenhaftes Mythengewaber, sondern auf kalte Laborratten.

(Foto: ag.ddp)

Doch keine alltägliche Ratten bevölkern das kalt weiße Labor, das Ausstatter Reinhard von der Thannen realisiert hat. Vielmehr steckt der fabelhaft singende und um seine Pianokultur zu beneidende Chor in menschengroßen Rattenkostümen, und im Laufe des Abends verlieren die Sänger Schwanz, Krallen, Spitznase und werden zuletzt zu Hominide. Dieser "Lohengrin" spielt in Klonien, das einen mythenfernen und scheinbar schwanenfederleichten Sommernachtstraum aus der Retorte erlebt.

Fürs Leichte ist vor allem der junge, aber als Star gehandelte Dirigent Andris Nelsons zuständig. Mag der zur Aufklärung berufene Regisseur schon kein märchenhaftes Mythengewaber, so tut es ihm Nelsons gleich. Er knetet den Klang gleichmäßig fein durch, er entwirft eine einheitlich gearbeitete Orchestererzählung, aus der die schönen Stellen gar nicht besonders hervorstechen, weil jeder Takt musikantisch flüssig gearbeitet ist, weil kein Übergang und kein Bruch als solcher ausgestellt wird. Selbst das krachige Vorspiel zum III. Akt, in dem Nelsons die Triumphmelodie gleichberechtigt gegen die brandungsmäßig wallenden Streicher stellt, wirkt nicht als aus dem Rahmen fallender Reißer.

Denn Nelsons und seine spiellüsternen Musiker stellen stets Wagners vielschichtige und allzu oft nicht zu hörende Orchesterpolyphonie ins Zentrum ihres Tuns. Sie produzieren fern allen Klangmythenraunens einen diesseitigen Klangreichtum, edel und exquisit und nie aufdringlich.

Vielleicht sogar etwas zu wenig aufdringlich. Nelsons begleitet die Sänger derart nobel, so dass er sich die Möglichkeit verstellt, das Bühnengeschehen anzutreiben, zu lenken, zu formen. Diese Dezenz aber und die Abneigung gegens Mythische könnten Grund dafür sein, dass der Dirigent beim Schlussapplaus eher als nebensächlich abgefertigt wird. Dabei gehört dieses Dirigat zum Bayreuth-besten der letzten Jahre, neben Christian Thielemanns "Meistersingern" und dem "Parsifal" von Pierre Boulez.

Doch zurück zu den Menschenratten auf der Bühne, die derart putzig herumtapsen und derart manierlich aufgeregt mit ihren allzu großen Füßen und Händen herumzittern, dass es immer wieder zu Heiterkeitsausbrüchen im Publikum kommt. Im Bayreuther Werkstattlabor klont sich eine beziehungsunfähige und steril gewordene Menschheit identische Gestalten en Masse, die alle Drecksarbeiten, Krieg eingeschlossen, zu erledigen haben. Allerdings gibt es in Neuenfels meist statischer, aber gleichwohl fein ausgearbeiteter Lesart auch zwei Normalmenschen, die nicht nach der funktionalen Logik dieser Klongesellschaft leben: Elsa (Annette Dasch) & Lohengrin (Jonas Kaufmann).

Elsa träumt davon, dass Menschsein etwas mehr bedeuten könnte als das Reproduzieren von Retortenratten. Sie ersehnt die große Liebe, den unbekannten Ritterliebhaber, dem sie sich bedingungslos hingeben kann, und sie formuliert die Unbedingtheit ihrer Gefühle und ihres Liebesverlangens als unverhandelbar absolut. Annette Dasch zeigt dabei, wie natürlich unaufgeregt sich solch eine Fanatismus singen lässt. Am Widerspruch zwischen individuell radikalem Glücksanspruch und einer Gesellschaft, die solche radikale Individualität ausschließt, scheitert Elsa dann na-türlich genauso wie alle anderen Wagner-Frauen, wie Isolde, Senta, Brünnhilde, Elisabeth.

Zwar sehnt sich auch Lohengrin nach solchem Gefühlsmehrwert. Doch er weiß, dass solche Sehnsüchte bloß (Mädchen-)Visionen sind, die nicht so ohne weiteres verwirklicht werden können. Sondern nur um den Preis strenger Auflagen, die zwar das Ersehnte in gesellschaftlich akzeptiere Formen kanalisiert, aber den auf Grenzenlosigkeit gerichteten absoluten Träumen Elsas zutiefst widersprechen. Im Gegensatz zu Elsa unterwirft sich der politisch denkende Lohengrin diesen Regeln und er fordert gleiche Un-terwerfung auch von seiner Traumfrau, die als Gefühlsabsolutistin zu solchen Einschränkung aber nicht in der Lage ist, daran zugrunde geht.

Hitler kehrt zurück

Aus dieser Konstellation des Liebespaars wird erklärbar, warum Jonas Kaufmann bei Neuenfels als jener Jonas Kaufmann erscheinen darf, als den ihn die Klassikindustrie aufbaut. Als ein gut aussehend gelockter Apoll, als Verkörperung reinster Italianità, als Sehnsuchtstöner. Doch das alles ist nicht Natur, sondern Mache, die in erster Linie die Bedürfnisse des Sängermarkts wunderbar bedient. Worüber Kaufmanns Stimme Auskunft gibt. Um das männlich dunkle Timbre in allen Lagen zu halten, scheint er die Bruststimme in die Höhe zu pressen. Das hat Sexappeal, aber die höheren Töne klingen immer angestrengt, sie lassen Glanz, Durchschlagkraft, Kern und Helligkeit vermissen.

Kaufmann wirkt in Bayreuth sicherer und ausgeglichener als bei seinem Münchner Lohengrin-Debüt vor einem Jahr. Nun aber kommt auch der Manierismus seiner Rollenanlage viel ungenierter zur Wirkung, gerade in Gralserzählung und Schwanenabschied. Da singt Kaufmann ein gekünstelt übertriebenes Piano in grenzwertig langsamen Tempi, die auffällig kontrastieren zu der Vitalität des Dirigenten.

Kaufmann scheint sich bewusst zu sein, dass er die riesigen Sehnsuchtserwartungen von Elsa und seinem Publikum nur dann erfüllen kann, wenn er eine Rolle spielt, wenn er allen eine Natürlichkeit vormacht. Die er allerdings unter hörbarem Kraftaufwand herstellen muss, weil sie ihm nicht natürlich gegeben ist. Ein gewagtes Spiel, eine große Künstelei. Vielleicht erklärt sich daraus, warum dieser Lohengrin seine Elsa besonders kalt und unnachgiebig abblitzen lässt, als die sich nicht mehr an die von ihm aufgestellten Spielregeln halten will. Liebe war von Lohengrins Seite hier nie im Spiel.

Zwischen dem Rattenmenschenchor und dem Liebespaar verlieren sich der unsichere und letztlich wohl auch geklonte König des fabelhaft traurigen Georg Zeppenfeld und der redlich um Ordnung bemühte Heerrufer des Samuel Youn genauso wie das Intrigantenpaar, das vor allem den Erhalt des lebensfeindlichen Status quo anstrebt und visionäre Spinner deshalb aus dem Weg räumen möchte. Während Hans-Joachim Ketelsen als matt abgekämpfter Telramund im Rattenlabor agiert, gibt Evelyn Herlitzius eine wild tobende Ortrud, deren Rebellion kein Opernklischee schont.

Zuletzt bringt Neuenfels dann überraschend doch noch ein mythisches Bild. Als Schwan und Kahn - der erinnert an einen schwarzen Sarg - zur letzten Fahrt erscheinen, um den gescheiterten Lohengrin zu holen, bringen sie eines jener Rieseneier mit, wie sie Salvador Dalì gern auf Häuser stellte. Im Inneren aber hockt ein grauslicher Wechselbalg, der mit sadistischem Grinsen seine Nabelschnur zerreißt.

Ist es Hitler, der nun, da alle Utopien gescheitert sind, nach der Herrschaft greift? Neuenfels lässt die Frage offen im Raum stehen. Aber das Publikum in Bayreuth, wo die Gräuel der deutschen Geschichte lebendiger sind als sonst wo, quittiert diese gnadenlose Aufklärungsarbeit mit einem Buhgewitter, in dem die durchaus vorhandenen Bravi unterzugehen drohen.

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