Bayreuth:Fall des isolierten 43-Jährigen: Wie konnte er einfach vom Radar verschwinden?

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  • Der Mann, der von der Polizei aus dem Haus seiner Eltern geholt wurde, war in dem 300-Einwohner-Ort im Landkreis Bayreuth bekannt.
  • Vom Radar der öffentlichen Behörden war der 43-Jährige, der etwa 30 Jahre lang isoliert lebte, allerdings fast vollständig verschwunden.

Von Olaf Przybilla, Bayreuth

Ein "Dorfphantom"? Eine Frau aus dem Ort in der Fränkischen Schweiz, in dem ein 43 Jahre alter Mann etwa drei Jahrzehnte lang weithin isoliert im Haus seiner Eltern gelebt haben soll, muss laut auflachen bei dem Wort. Das lese man jetzt so, sagt sie, im betroffenen Dorf aber rege man sich furchtbar auf darüber. Der Mann, der vor zwei Wochen von der Polizei aus dem Haus geholt wurde, sei mitunter "sogar bei uns in der Küche gestanden", sagt die Frau. Und zwar dann, wenn er "daheim offenbar ausgebüxt" sei.

Ein Phantom? Es sei allgemein bekannt gewesen, dass im Haus eines älteren Paars der gemeinsame Sohn wohne. Man habe die Leute aus dem Haus zuletzt immer seltener gesehen, das schon. Aber dass es da außer den hoch betagten Eltern einen Mann gebe, das dürften "so ziemlich alle gewusst haben" in dem 300-Seelen-Ort.

Bayreuth
:Isolierter Mann konnte sich im Haus frei bewegen

Der 43-Jährige lebte ohne großen Kontakt zur Außenwelt mehrere Jahrzehnte im Haus seiner Eltern. Die Polizei äußerte sich nun, wie sie den Mann auffand.

Der Fall aus dem Ort im Landkreis Bayreuth ist mysteriös, das auf alle Fälle. Da ist ein Jugendlicher fünf Jahre lang auf die örtliche Schule gegangen. Ist dann aber, anders ist es kaum zu erklären, für nicht schulpflichtig erklärt worden und anschließend fast vollständig vom Radar öffentlicher Behörden verschwunden.

Erst ein Hinweis führte die Polizei vor zwei Wochen zu dem Haus. Sie fand die Eltern vor, 76 und 79 Jahre alt, und den 43-jährigen Sohn, der zwar nicht unterernährt, aber "stark verwahrlost" gewesen sei, wie ein Polizeisprecher schildert. Und der sich, als er abgeholt wurde, deutlich dagegen gewehrt haben soll. Inzwischen befindet sich der Mann im Bezirkskrankenhaus Bayreuth, er wird dort therapeutisch behandelt.

Schweres Behördenversagen? Die Polizei hat ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung durch Unterlassung und möglicher Freiheitsberaubung gegen die Eltern eingeleitet. Gegen aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter von Behörden werde derzeit nicht ermittelt, sagt ein Polizeisprecher, "dafür fehlen konkrete Anhaltspunkte". Aber natürlich will jetzt jeder wissen, wie so was passieren kann in einem modernen Verwaltungsstaat: Wie ein Mensch einfach so von der Bildfläche der Behörden verschwindet.

Als er erwachsen war, kümmerte sich keine Behörde mehr

Die Behörden fragen sich das auch. Das Jugendamt habe "wohl früher mit dem Fall zu tun gehabt", sagt ein Sprecher des Landratsamtes. Die Akten sind aber, wenn es sie überhaupt noch gebe, im Staatsarchiv Bamberg. Dem Amt lägen diese nicht vor. Das Sozialamt? Habe mit dem Fall nie zu tun gehabt, offenkundig seien die Eltern nicht bedürftig gewesen oder hätten keinen Antrag auf Unterstützung gestellt.

Einen entscheidenden Fehler müsse es aber wohl gegeben haben. "Der damalige Schulleiter hätte auf die Schulpflicht drängen müssen", sagt der Sprecher des Landratsamtes. Offenbar sei der damalige Jugendliche nach Problemen in der Schule seit der fünften Klasse nicht mehr beschult worden. So war er zwar beim örtlichen Einwohnermeldeamt registriert. Aber offenbar kümmerte sich keine Behörde mehr, spätestens als der Mann erwachsen war.

Die Bürgermeisterin des Dorfes ist hin- und hergerissen. "Beschimpfungen im Internet" hätten die Eltern nun zu ertragen, obwohl keineswegs klar sei, ob sie strafrechtlich Schuld auf sich geladen haben. Immerhin, auch diese Haltung gibt es im Ort, hätten sie ihren Sohn großgezogen, nicht ins Heim gegeben. Auch eine Misshandlung liege offenbar nicht vor, "die Vorverurteilungen sind schlimm", sagt sie.

Auch wenn man sich im Ort, des verwahrlosten Zustands des Mannes wegen, "jetzt Vorwürfe" mache. Über den Zustand des Patienten macht der Chefarzt der Psychiatrie in Bayreuth, Michael Schüler, keine Angaben. Allgemein lasse sich sagen, dass Menschen, die Jahre aus der Gesellschaft ferngehalten werden, Gefahr liefen, grundlegende Formen "sozialen Miteinanders" zu verlernen.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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