Bayerns kleinste Grundschule:Privatstunden auf Staatskosten

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Wie die Orgelpfeifen haben sich der Direktor der Schule, zwei Lehrerinnen und 15 der insgesamt 20 Schüler der Grundschule in Trausnitz aufgestellt. (Foto: Evi Lemberger)

In der kleinsten Grundschule Bayerns lernen nur 20 Kinder. Das ist teuer, doch für den Bürgermeister im oberpfälzischen Trausnitz eine Investition gegen die Landflucht.

Von Anna Günther

Vorsätze fürs neue Jahr, hm, auf die Schnelle fällt Jasmin nichts ein. Die Neunjährige grübelt, die Wimpern gesenkt, als könnte die Lösung irgendwann auf dem Blatt erscheinen. "Sag doch was", flüstert Phillip. "Jetzt red' halt", sagt Kilian, 9. Jasmin schweigt. Phillip, 6, malt derweil das Silvester-Feuerwerk - und Herzchen in Papierflieger. Lehrerin Elisabeth Ertl versucht, Jasmin allgemeine Wünsche zu entlocken, das Mädchen schweigt. Ethikunterricht für drei Kinder, zwei mit besonderem Förderbedarf, eines besonders schüchtern, ist für die Lehrerin oft Improvisation - und für die Kinder intensiv. Wegducken klappt in Trausnitz, der kleinsten Grundschule Bayerns, nicht. Wenn die Lehrerin daneben sitzt, gibt's kein Entkommen. Privatstunden auf Staatskosten, eine bessere Förderung gibt es nicht.

Verschlafen liegt Trausnitz im Landkreis Schwandorf zwischen Wasser und Wiesen. Parallel zum Flüsschen Pfreimd schlängelt sich die Staatsstraße, dahinter steht der tannendunkle Oberpfälzer Wald. In der Burg kettete Ludwig der Bayer 1322 seinen Rivalen an und schnappte sich die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, heute ist das Gebäude eine Jugendherberge. Gäste teilen sich den Sportplatz mit den Grundschülern. Zäune gibt es nicht, wo sollten die Kinder auch hinlaufen. 960 Menschen leben im Dorf, 20 Mädchen und Buben gehen in die Grundschule.

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Nur wenige von ihnen sind verbeamtet - und die meisten verdienen deutlich weniger als die Kollegen an staatlichen Schulen. Nun hat das Ringen mit ihrem Arbeitgeber eine neue Eskalationsstufe erreicht.

Von Anna Günther

Acht in die erste und zweite Klasse, zwölf in die dritte und vierte Klasse. Im September werden es nur noch 18 Kinder sein. Die beiden Lehrerinnen bereiten sich jeden Tag auf den Stoff von zwei Jahrgangsstufen vor. Die Erzieherin kommt, wenn die Lehrerin der Jüngeren weg ist. Wird aber eine Pädagogin krank, muss die andere alle 20 unterrichten. Für die meisten Lehrer in Bayern wäre das Luxus, für die Trausnitzer Schüler bedeutet es Beschäftigung mit Arbeitsblättern. Kindern aus vier Jahrgangsstufen gleichzeitig gerecht zu werden, ist quasi unmöglich.

1450 Kombinationsklassen gibt es in Bayern, meist werden in kleinen Schulen zwei Klassen gemeinsam unterrichtet. An 59 der 2558 staatlichen Grundschulen lernten im vergangenen Schuljahr weniger als 50 Schüler. Damit nimmt die Zahl der Zwergerlschulen zu, die meisten liegen wie Trausnitz in der Oberpfalz, gefolgt von Oberfranken und Niederbayern. 491 Schulen haben je eine Klasse pro Jahrgangsstufe. Für kleine Gemeinden wie Trausnitz ist die Schule oft das letzte Bollwerk gegen Überalterung, Landflucht und verwaiste Ortskerne.

Es geht um die Existenz. Bürgermeister tun alles für den Erhalt ihrer Schulen. Und Ministerpräsident Horst Seehofer ist bekannt dafür, die Wünsche der Bayern genau zu kennen. Er hatte 2013 in seiner Regierungserklärung kritisiert, dass zu viele Kinder mehr Zeit im Bus als im Unterricht verbringen. Auch aus dem Schulministerium heißt es, dass kleine Schulen unbedingt erhalten werden sollen, weil Grundschüler einen "möglichst kurzen Schulweg" haben sollen. Aber tut man den Kindern damit einen Gefallen?

Siegfried Seeliger ist skeptisch. " Trausnitz ergibt nur Sinn, weil die Gemeinde das bezahlt", sagt der Schulleiter, denn dem Schulamt entstünden durch solch kleine Schulen Löcher, die nicht gestopft werden könnten. Seit zweieinhalb Jahren verwaltet Seeliger die Dorfkinder mit. Sie gehören zu seiner Landgraf-Ulrich-Volksschule im sieben Kilometer entfernten Pfreimd. 7000 Einwohner, 180 Grund- und 130 Mittelschüler, Metzger, Apotheke, Bettenfachgeschäft, Bioladen. Spricht Seeliger, 57, von Trausnitz, sagt er "hinten", "da draußen" und "weit abgelegen".

Die Kinder haben auf jeden Fall in ihren Klassenzimmern ausreichend Platz. (Foto: Evi Lemberger)

Den Wunsch der Trausnitzer verstehe er ja, sagt Seeliger. Die Kinder können zur Schule laufen und werden intensiver gefördert. Aber Seeliger ist Pragmatiker. Er war Bundeswehr-Offizier, bevor er vor 22 Jahren in Pfreimd Lehrer wurde. Seeligers erstes Projekt als Schulleiter war ein Konzept, um Stunden zu sparen. "Die Grundschule ist doppelt so teuer wie andere", sagt er. Auch vor zehn Kindern muss eine Lehrerin stehen. Kunst, Musik, Religion und Sport haben daher alle 20 Mädchen und Buben gemeinsam - und dadurch teils sogar mehr Sport oder Musik als vorgesehen. Eine Frage bleibt für Seeliger dennoch: Wie viel ist das Behütet-Sein wert?

Den Pfreimder Schülern könne er etwas bieten, sagt er. Sportprojekte, Umwelt- und Gesundheitsthemen sind Seeligers Ding. Im Flur der Volksschule gibt es gratis Quellwasser zum Zapfen, in der Turnhalle einen Fitness-Bereich, unterrichtet wird digital und analog. Schüler haben einen Film mit Flüchtlingen gedreht, andere im Oberpfälzer Freilandmuseum einen Garten angelegt. In Trausnitz dagegen ist das Klassenzimmer der Dritt- und Viertklässler zugleich Werkraum. Das Zimmer der Jüngeren ist PC-Raum und Bibliothek.

Wichtiger als die Ausstattung ist Monika Kurz der Zusammenhalt, das familiäre Umfeld. Dass ihr kleiner Sohn die Lehrerin umarmt oder beim Einkaufen euphorisch begrüßt, sei doch schön, sagt die Elternbeiratsvorsitzende. Und wenn Lehrer das System Kombiklasse kennen und mögen, laufe das sehr gut. Zwei ihrer vier Kinder besuchen gerade die Grundschule, an der auch Kurz als Mädchen lesen und schreiben lernte. Mit sechs anderen Kindern in der Klasse, bei ihrer Schwester waren es nur vier. Immer schon seien die Gruppen klein und die Sorge um die Existenz der Schule groß gewesen. "Vor acht Jahren munkelte man im Dorf, dass die Schule nun wirklich schließen muss, aber dann ging es doch wieder irgendwie", sagt Kurz.

Knapp wurde es zuletzt wegen der fehlenden Nachmittagsbetreuung. In Pfreimd gibt es den Hort, in Trausnitz haben die Jüngeren um 11 Uhr Schulschluss. Das ist selbst für Eltern mit Halbtagsjobs ein Problem. Sie mussten sich selbst etwas überlegen. Monika Kurz zum Beispiel arbeitet von daheim aus - sofern die Aufgaben des Elternbeirats sie nicht abhalten. Die Eltern übernehmen in Trausnitz, was an großen Schulen die Lehrer organisieren. Weihnachts- und Faschingsfeiern, Basare und Adventsbasteln, Proben fürs Krippenspiel und die Aufführung beim Martinsumzug.

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Auch die CSU will mittlerweile einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für die Sechs- bis Zehnjährigen. Etwa 360 000 Plätze wären dazu nach Schätzung des Familienministeriums nötig.

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Aber die Eltern messen auch die Zeiten beim Sportfest. Die beiden Lehrerinnen allein könnten das nicht schaffen. "Schwierig wird es, wenn eine Lehrerin ausfällt", sagt Kurz. Auch dann springen schon mal die Eltern ein. "Wenn wir nicht so hinter der Schule stehen würden, gäbe es die vielleicht nicht mehr." In der Umgebung mussten einige Schulen schließen. Dass es Trausnitz nicht getroffen hat, liege auch am Bürgermeister, darin sind sich alle einig. Sogar Schulleiter Siegfried Seeliger sagt das und schiebt amüsiert ein "gallisches Dorf!" hinterher.

Für Martin Schwandner, 34, bedeutet die Schule Zukunft, für die Kinder und für sein Dorf. Der Bürgermeister will eine Trendwende erkennen, sagt, dass in den vergangenen drei, vier Jahren junge Leute zurückkehren. Aber darauf verlassen will er sich nicht und günstiges Bauland für junge Familien sei auch nicht unbegrenzt vorhanden. Seit vier Jahren ist er Rathauschef seiner Heimatgemeinde - ehrenamtlich, neben seinem Job im Einkauf eines Elektrofachhändlers. Dass die Schule unrentabel ist und die Gemeinde jedes Jahr bis zu 50 000 Euro draufzahlt, ist für ihn nachrangig. Sein Ziel ist, die Landflucht zu stoppen, die jungen Trausnitzer zurückzuholen. Er ist dageblieben, wohnt mit Frau und Kind mitten im Ort, obwohl schon vor Jahren der Fleischer zumachte, der Bäcker weg ist und die Post.

Damit Trausnitz eine Zukunft hat, setzt Schwandner auf einen Dorfladen und will schon den Jüngsten Heimatbewusstsein beibringen. Im Herbst soll eine Kitagruppe ins Erdgeschoss der Schule ziehen. Bisher fahren die Jüngsten mit dem Bus nach Pfreimd. Das will er ändern. "Wenn Kinder neun Jahre lang im Dorf betreut werden, sind die Chancen größer, dass sie als Erwachsene bleiben", sagt Schwandner. Das Interesse am Landkindergarten samt Krippenplätzen und gemeinsamen Projekten mit "rüstigen Senioren" sei groß. Offenbar glaubt man auch im Sozialministerium daran. 550 000 Euro soll der Kindergarten kosten, 90 Prozent der förderfähigen Kosten übernimmt der Staat.

Den Grundschülern bringt der Landkindergarten mehr Spielkameraden. Und vielleicht sitzen im Herbst auch mehr Kinder in der Ethikstunde, die Aufmerksamkeit von der Lehrerin fordern. Während Ertl nämlich mit Kilian über Spielzeugautos spricht, schreibt still Jasmin ihren Wunsch auf: ein glückliches neues Jahr.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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