Bayern und die CSU:Ein Land, ein Widerspruch

Lesezeit: 4 min

Horst Seehofer bei seiner Bestätigung als CSU-Spitzenkandidat im Mai.  (Foto: Getty Images)

Betreuungsgeld, Gehälteraffäre, das Festhalten am G8 und ein äußerst sprunghafter Vorsitzender: Die CSU kann anstellen, was sie will, die Bürger wählen sie trotzdem. Das jedenfalls lässt eine aktuelle Umfrage der SZ vermuten. Die Bayern neigen offensichtlich dazu, selbst jene Mächtigen mit Zuneigung zu belohnen, die dem Wohle des Landes eher schaden als nützen.

Ein Kommentar von Hans Kratzer

Die CSU hat das Trauma der Landtagswahl von 2008, bei der sie auf 43,4 Prozent abgestürzt war, halbwegs überwunden. Sie schwimmt in Bayern wieder obenauf, und nicht nur das. Die Partei kann anscheinend anstellen, was sie will.

Sie darf gegen den Willen ihrer Klientel am achtjährigen Gymnasium festhalten, das umstrittene Betreuungsgeld einführen, sich in Affären verstricken - die Bayern wählen sie trotzdem. Laut Umfrage dieser Zeitung kann die CSU derzeit mit 46 Prozent der Stimmen rechnen. Gewiss, vor zehn Jahren wären Ergebnisse unter 50 Prozent noch einem Weltuntergang gleichgekommen, aber zum Weiterregieren reicht diese Marke allemal. Womöglich schafft die CSU damit bei der Landtagswahl in drei Monaten sogar die absolute Mehrheit der Mandate, obwohl ihr SPD, Grüne und Freie Wähler mit zusammen 43 Prozent zumindest rechnerisch recht nahe gerückt sind.

Allerdings ist dieses Dreierbündnis ohnehin eine seltsame Allianz. Die Freien Wähler, von Haus aus Fleisch vom Fleische der CSU, laufen auf der Suche nach einem Koalitionspartner unübersehbar in eine andere Richtung als SPD und Grüne. Die Sozialdemokraten verharren mit 20 Prozent in der gewohnten Ohnmacht. Die Hoffnungen des mit großen Ambitionen gestarteten Münchner SPD-Oberbürgermeisters Christian Ude, die seit 1958 zementierte Hegemonie der CSU endlich zu brechen und das Amt des Ministerpräsidenten zu erobern, schmelzen dahin.

Ludwig II. hat die Souveränität Bayerns geopfert - das Volk liebt ihn

Dass die CSU Scherereien erstaunlich gut wegstecken kann, zeigt die jüngste Gehälteraffäre im Landtag. Obwohl diese in den Medien einen Sturm entfacht hat, reagiert die bayerische Bevölkerung mit einer Gemütsruhe, die sich höchstens zum Grant auswächst, aber weit entfernt ist vom Erregungspegel des Wutbürgers. Diese Gelassenheit ist zutiefst landestypisch. Seit jeher neigen die Bayern dazu, selbst jene Mächtigen mit Zuneigung zu belohnen, die dem Wohle des Landes eher schaden als nützen.

Von dieser Gunst zehrte schon Kurfürst Max Emanuel, der im 18. Jahrhundert Bayern gegen die Niederlande eintauschen wollte. Das Volk liebt auch König Ludwig II., der die Souveränität Bayerns geopfert hat, und es pflegt das Andenken an Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der nationale Interessen jederzeit über bayerische Belange stellte. Der Historiker Reinhard Falter hat nicht Unrecht, wenn er daraus den Schluss zieht, das bayerische Volk verzeihe seiner Obrigkeit vieles, wenn nur die Ausstattung stimmt, und das gelte heute noch.

Die Frage, warum die Sozialdemokratie von den Affären und Schwächen der CSU nie profitieren konnte, führt direkt zu der These, dass die Bayern Neues nur dann akzeptieren, wenn es erkennbar besser ist als das Alte. Nach dem Trauma der Räterepublik von 1919 konnte der Sozialismus diesen Beweis in Bayern nie mehr führen. Der SPD-Gründer August Bebel muss dies früh geahnt haben, sonst hätte er seiner Partei nicht schon 1903 klargemacht, in München wandle keiner von ihnen auf Dauer ungestraft unter den Maßkrügen, und selbst die stolzesten Parteisäulen gingen nach einiger Zeit an der Isar zugrunde. Bebels Worte klingen noch heute hochaktuell.

Wer den politischen Mechanismus des Freistaats erfassen will, muss sich der Mentalität des Landes zuwenden. Zwar wird diese im Sog der Globalisierung, der Zuwanderung und der Akademisierung der Bevölkerung gerade umformatiert. Gleichwohl besitzt das Urteil über die Bayern, das ausgerechnet der Spiegel vor 50 Jahren getroffen hat, vor allem in jener Passage weiter Gültigkeit, in der es heißt, dass "das schönste Land der Bundesrepublik zu widersprüchlich ist, um sich selbst zu verstehen, geschweige denn von anderen verstanden zu werden".

Kein bayerischer Politiker verkörpert diese Widersprüchlichkeit prägnanter als der CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer, der die Tugend der Sprunghaftigkeit und der schnellen Meinungsänderung gleichsam zum Regierungsprinzip erhoben hat. Trotzdem schafft er es, mit fast schon präsidialer Attitüde den Bürgern den Eindruck zu vermitteln, ihre Probleme seien bei ihm gut aufgehoben. Auf die eigene Partei nimmt er dabei wenig Rücksicht. Seehofers Meinung hat auch CSU-Meinung zu sein, zumindest solange, als seine One-Man-Show die Partei wieder in die Nähe der absoluten Mehrheit rückt - trotz des Wegbrechens des alten katholischen und bäuerlichen Milieus, das die CSU lange Jahrzehnte getragen hat.

In der Tradition seiner Vorgänger zelebriert Seehofer sich und die CSU als den Motor der bayerischen Erfolgsgeschichte und als den Garanten, der die moderne Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen zusammenhält, Globalisierung und Heimat in Einklang bringt und vorgibt, im europäischen Einigungsprozess auf gleicher Höhe wie Berlin und Brüssel zu agieren. Wenn die Staatsregierung aus diesem Gefühl heraus gegen die Zumutungen des Länderfinanzausgleichs wettert, manche Christsoziale gar die aufschreckende, aber nicht ernst zu nehmende Drohung ins Feld führen, Bayern könne es auch alleine, so steckt darin ein Trotz, der die Realitäten im zusammenwachsenden Europa noch nicht wahrhaben will.

Den Landtagen droht die Bedeutungslosigkeit

Tatsächlich ist die 1946 vom bayerischen Volk beschlossene Verfassung auf Eigenstaatlichkeit ausgerichtet. Im politischen Alltag in Bayern hat sie noch heute ein besondere Bedeutung, was auch eine Studie der Hanns-Seidel-Stiftung untermauert, wonach 23 Prozent der bayerischen Bevölkerung mit dem Gedanken eines eigenständigen Bayern sympathisieren. Vor dem Hintergrund solcher Träume bröckeln gleichzeitig die Reste der bayerischen Staatlichkeit unter dem Druck aus Berlin und Brüssel dahin. Europa und der Bund nehmen den Ländern immer mehr Kompetenzen aus der Hand.

Mustergültig war dieser Prozess bei der 2009 in Gang gesetzten Schuldenbremse zu verfolgen, welche empfindlich in die Haushaltshoheit der Länder hineingewirkt hat. Während die bayerische Staatsregierung ungeachtet dessen gerne die Illusion erweckt, sie agiere nach wie vor quasi als Vollstaat auf der europäischen Bühne, prophezeit einer wie Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, den Landtagen bereits den Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Diese inhaltliche Erosion der Landespolitik schimmert auch in der SZ-Umfrage durch. Aus ihr geht hervor, dass ein Großteil der Wähler die Bundestagswahl wichtiger nimmt als die des Landtags. Man könnte nun boshaft ergänzen, dass es unter diesen Umständen ohnehin fast egal ist, wer im Parlament regiert. Als ältester Staat in Europa hat Bayern vieles überstanden, es würde auch einen Ministerpräsidenten der SPD überleben.

SZ Umfrage - So denkt Bayern

Alle weiteren Ergebnisse des großen SZ Bayern-Monitors finden Sie im Detail in der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung - am Kiosk, in der App "SZ Digital" (iPad, Windows 8) oder als E-Paper (PDF). Einfach Zugang anlegen, einloggen und lesen: www.sz.de/digital-exklusiv

© SZ vom 15.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: