Bayern nach Papst Benedikt:Wie der weiß-blaue Katholizismus bröckelt

Bayern gilt als frommes, gottesfürchtiges Land - ein Bild, das auch Papst Benedikt XVI. gerne zeichnete. Das moderne Bayern hat jedoch weniger mit dem Katholizismus zu tun, als manch Pilger glauben machen will. Selbst der bayerische Papst konnte die Glaubenserosion im Freistaat nicht stoppen.

Von Hans Kratzer

Die Frage, ob Benedikt XVI. nun der zweite oder sogar schon der vierte bayerische Papst war, wird wohl auch in der künftigen Geschichtsschreibung unterschiedlich bewertet werden. Streng betrachtet, ist vor dem Kardinal Joseph Ratzinger nur ein Bayer auf den Stuhl Petri erhoben worden, nämlich Damasus II., der bereits 23 Tage nach seinem Amtsantritt im Juli 1048 einen jähen Tod fand.

Die ebenfalls als bayerische Päpste deklarierten Oberhirten Clemens II. (1046-1047) und Viktor II. (1055-1057) stammten zwar aus dem jetzigen Gebiet des Freistaats, waren aber zu ihrer Zeit sächsischer und schwäbischer Herkunft und hätten sich selber niemals als Bayern bezeichnet.

Weitaus interessanter als die Zahl der bayerischen Päpste ist jedoch die Frage, warum aus diesem mehr als 1500 Jahre alten, mit Rom stets eng verbandelten und frommen Land Bayern nicht schon mehr Päpste hervorgegangen sind. Als Joseph Ratzinger im April 2005 in das hohe Amt gewählt wurde, zeichneten die Medien ein Bild seiner Heimat, in der das öffentliche Leben wie eh und je von Frömmigkeit und Gottesfurcht durchdrungen sei.

Das erzkatholische Bayern der Wallfahrtsorte und Wettersegen

Sie schilderten also das erzkatholische Bayern von anno dazumal, in dem die Brüder Joseph und Georg Ratzinger schon als Buben gerne Pfarrer spielten und sich gegenseitig ihre Predigten in die Schulhefte kritzelten.So etwas war vor dem Krieg noch ganz normal. Die Familie bildete den Nährboden für geistliche Berufe, das Bauernjahr war identisch mit dem Kirchenjahr, das tägliche Gebet obligatorisch. Die meisten Kinder wuchsen in einem religiösen Panoptikum aus Wettersegen, Bittgängen, Engelämtern, Rosenkränzen und Maiandachten auf.

Das mit Wallfahrtsorten, Gnadenstätten, Klöstern und volksfrommen Zeugnissen auf Feld und Flur gesprenkelte Land weckte im jungen Ratzinger die Liebe zum Glauben wie zur Heimat. "Unser Bayern ist deshalb so schön, weil der Glaube seine besten Kräfte geweckt hat", lautet sein mehrmals geäußertes Credo. Deshalb ist Benedikt XVI. überzeugt davon, dass Bayern ohne Katholizismus und Volksfrömmigkeit seine Seele verlieren würde, und nicht einmal die großartigste Denkmalpflege könnte darüber hinwegtäuschen.

Der Papst sprach gerne bairisch

Selbst als er zum Intellektuellen gereift war, oblag ihm stets das Anliegen, die bescheidenen, aber klar vom Glauben strukturierten Gegebenheiten seiner Kindheit zu bewahren. So nahm er im Jahr 2006 von Sprachschützern aus seiner Heimat auch bereitwillig die Bairische Sprachwurzel entgegen. Bei Privataudienzen, so heißt es, unterhalte er sich tatsächlich gerne im Dialekt. Oft schwärmte er von "diesem mir so lieben Land", das ihn so sehr geprägt hat und in dem jene Wurzeln liegen, aus denen die Triebe seiner späteren Theologie herauswuchsen und eine eigentümliche Symbiose aus schlichter Kinderglaubenswelt und einsamer Intellektualität schufen.

Beim Amtsantritt anno 2005 war dieses alte katholische Bayern, das ja schon in der Aufklärung eine erste Welle der Verweltlichung erlebt hatte, religiös bereits ziemlich zerbröselt. Mag auch das 19. Jahrhundert noch einmal eine katholische Renaissance gebracht haben, so litt die "Bavaria Sancta" doch spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg an sichtbarer Auszehrung.

Mit dem Amtsantritt Benedikts XVI. schien sich das Blatt noch einmal zu wenden. Der bayerische Katholizismus blähte sich auf mit einer Kraft, die man ihm nicht mehr zugetraut hatte. Die Zahl der bayerischen Rom-Pilger schnellte steil nach oben, getragen von der uralten Überzeugung, dass sowohl in Ratzingers Heimat als auch in seiner Wirkungsstätte im Vatikan der Gott der katholischen Kirche den Menschen näher stehe als irgendeine vergängliche weltliche Macht.

Eine Renaissance des weiß-blauen Katholizismus?

Als Benedikt XVI. im September 2006 seinen Besuch in Bayern antrat, schienen die äußeren Umstände, die vom schönsten Herbstwetter geprägt waren, den Aufbruch in eine Renaissance des weiß-blauen Katholizismus zu untermauern. Dass der Ansturm der Pilger vor allem in Regensburg beträchtlich unter den Erwartungen blieb, wurde keineswegs als beunruhigendes Zeichen gedeutet.

In der Rückschau markieren diese Tage vielleicht ein letztes mächtiges Aufflackern des alten Volkskatholizismus, der zwar im beliebten Brauch des Wallfahrens noch sehr lebendig ist, in der Anteilnahme am sonstigen kirchlichen Leben aber in Bayern ebenso bedenklich bröckelt wie in der übrigen Republik.

Der Papst setzte der schubhaft einsetzenden Glaubenserosion in der sich rasant verändernden bayerischen Heimat Aktionen entgegen, die freilich nicht mehr richtig griffen. Er sprach zwar den Regensburger Ordensbruder Eustachius Kugler 2009 selig und die Mystikerin Anna Schäffer aus Mindelstetten 2012 heilig, was die Gläubigkeit im Volke bis zu einem gewissen Grade heilt. Aber die Missbrauchsskandale, die unglückliche Berufung von Walter Mixa zum Augsburger Bischof sowie die stärkere Hinwendung zur Orthodoxie als zu den evangelischen Glaubensbrüdern höhlten den Bonus, den der Papst in Bayern genoss, empfindlich aus.

Es zeigte sich endgültig, dass der rückwärtsgewandte Katholizismus, wie ihn Benedikt XVI. verkörpert, auch in seinem Stammland keine Zukunft hat. "Mein Herz schlägt bayerisch", sagte der Papst 2006 bei seiner Ankunft in München. Er meinte damit das überkommene Bayern seiner Kindheit, der moderne Freistaat ist ihm fremd geblieben.

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