Bayern:Der Löwe trägt Jeans

Bayern: Wildenberg, Niederbayern: Olaleye Akintola, der vor zwei Jahren aus seiner Heimatstadt Lagos nach Bayern floh, im Gespräch mit Manfred Weber, dem Chef der Christdemokraten im Europäischen Parlament.

Wildenberg, Niederbayern: Olaleye Akintola, der vor zwei Jahren aus seiner Heimatstadt Lagos nach Bayern floh, im Gespräch mit Manfred Weber, dem Chef der Christdemokraten im Europäischen Parlament.

(Foto: Stephan Rumpf)

Mit einem Politiker hinaus auf die Wiese gehen, einfach so? In Nigeria wäre das für den Journalisten Olaleye Akintola nicht möglich gewesen - in Niederbayern schon. Ein Besuch bei Manfred Weber.

Von Olaleye Akintola, Wildenberg

Da saß ich nun in diesem Raum, einem gewöhnlichen deutschen Büro, nur dass auf einem Regal eine Porzellanfigur stand, ein Tier, das die CSU im Wappen trägt. Für mich sah dieses Tier mit der zackigen Zunge immer wie ein Drache aus, und so musste ich plötzlich an die afrikanische Feuerlibelle denken: Sie schlägt unaufhörlich mit den Flügeln, summt lauter als andere Insekten, und wenn sie hungrig ist, frisst sie die Kleineren auf.

Ein Nachmittag in Wildenberg in Niederbayern, ein Haus auf dem Land. Der Mann mit der Figur auf dem Regal betritt durch eine Hintertür das Büro. Nun kommt es also zum Treffen zwischen mir, dem geflüchteten Journalisten, und Manfred Weber, dem Europapolitiker der CSU. Flüchtling trifft auf konservativen Politiker, das klingt nach Konfrontation, wie wenn zwei Geißböcke ihre Kräfte messen, Horn gegen Horn, Zahn um Zahn.

Ich weiß nicht, was genau ich erwartet hatte. Nur sicherlich nicht das: Weber trägt einen Pullover über einem Hemd mit offenem Kragen, dazu Jeans, einfache Lederschuhe. Hätte man in Nigeria das seltene Vergnügen, als Journalist ein Treffen mit einem so hochrangigen Politiker zu bekommen, man würde ihn nicht in solch schlichter Kleidung antreffen. Hier, mitten in Bayern, kam ich mir in meinem Anzug nun leicht overdressed vor.

Ich war in die Höhle eines bayerischen Löwen gekommen, ein Spannungsfeld für mich, und auch für meinen Gesprächspartner. Die Flüchtlinge sind vor allem ein Problem, so sehen das viele Konservative - wahrscheinlich mit einer der Gründe, warum Großbritannien die Europäische Union verlässt. Die CSU hat sich in dieser Zeit konsequent zur Pfeilspitze einer Bewegung gegen Merkels Willkommenspolitik entwickelt. Daher war ich besonders gespannt, wie ihr stellvertretender Vorsitzender auf mich reagiert, einen Asylbewerber; jemanden, der von vielen in dieser Partei als Teil eines Problems gesehen wird.

In Nigeria wäre man jetzt von Bewaffneten umringt

Manfred Weber tritt ein, eine Beugebewegung in meine Richtung. Dort, wo in meiner früheren Heimat Bewaffnete stünden und mich umringten, stehen jetzt Webers Pressesprecher und der Fotograf der SZ; für das Foto gehen wir raus, Weber geleitet mich über die Terrassentür ins Freie.

Warum stimmte Weber überhaupt diesem Interview zu, das viele seiner CSU-Kollegen ausschlugen? "Es ist ein interessanter Ansatz, jemanden zu treffen, der eine andere Sichtweise von Europa und seiner politischen Landschaft hat", sagt er. "Speziell, wenn man eine Perspektive der europäischen Politik von einem geflüchteten Journalisten bekommt." Das Interview findet auf Englisch statt, wohl mit ein Grund, weswegen andere CSU-Politiker absagten. Weber wollte dann etwas über mich wissen, was nicht unangenehm für mich war, aber ungewöhnlich. Ich war hier in meiner Rolle als Journalist, für Weber war ich aber auch ein Betroffener der großen Politik. Also schilderte ich ihm meine Situation.

Bayern: 80 Minuten lang unterhalten sich der geflüchtete Journalist und der CSU-Politiker bei Weber zu Hause.

80 Minuten lang unterhalten sich der geflüchtete Journalist und der CSU-Politiker bei Weber zu Hause.

(Foto: Stephan Rumpf)

Webers Sprecher Christian Hügel sagte mir nach diesem Interview, dass einige der Themen noch nie von einem Journalisten angesprochen worden seien, etwa der "persönliche wie ideologische Bezug" zu Namensvetter Max Weber. Dabei liegt der Vergleich mit dem Soziologen nahe, er war einer, in dessen Theorien der Begriff des sozialen Handelns im Vordergrund stand, einer, der sich in Afrika als Vater des Sozialismus herumgesprochen hat. "Max Weber war eine interessante Persönlichkeit", sagt der andere Weber, wobei keinerlei Verwandtschaft bestehe.

Max Weber sei für ihn ein großer Denker, Philosoph und Sozialwissenschaftler, "dessen Weisheit in den Sozialwissenschaften nützlich für uns Politiker in unserem täglichen Handeln sein kann. Das ist das, was ich außer dem Nachnamen mit ihm gemeinsam habe." Wahrscheinlich gibt es auch vieles, wo sich die beiden Webers uneinig sind, gerade weil sich der eine dem Sozialismus geöffnet hat. Und doch wischt Manfred Weber den Beitrag von Max nicht einfach weg.

Knapp 80 Minuten sitzen wir so beisammen, Manfred Weber, leicht nach vorne gebeugt, stets den Kontakt zu meinen Augen suchend. 80 Minuten lang klingelt kein Telefon und niemand an der Tür. Dabei könnte man locker auf das Grundstück gelangen, kein Zaun hält einen davon ab, zur Haustür zu gehen. In Nigeria verschanzen sich Politiker seines Ranges in regelrechten Festungen. Und würde ein nigerianischer Politiker in seinen Wahlkreis kommen, würden die Menschen sein Haus belagern, singen, Instrumente spielen oder Schimpftiraden von sich geben - wegen der miserablen Zustände an den Schulen und wegen der mangelnden Gesundheitsversorgung, je nachdem.

Bleiben Sie bei der Obergrenze, Herr Weber?

Weber ist Chef der Europäischen Volkspartei-Fraktion im EU-Parlament, und seit dem Wechsel von SPD-Politiker Martin Schulz in die deutsche Bundespolitik sagen viele, Weber sei mittlerweile der wichtigste deutsche EU-Politiker. Und das mit 44. In Deutschland finden sich in so wichtigen Positionen selten Menschen unter 50, die meisten sind jenseits der 60, was zeigt, wie lange es hier dauern muss, ehe man sich etabliert hat.

In Nigeria ist das einfacher, dort braucht man nur einen Godfather, einen Sponsor, der den richtigen Leuten die richtigen Summen zahlt. Wer einen Godfather besitzt, für den ist politischer Erfolg in Nigeria so einfach, wie wenn man auf dem Markt Süßkartoffeln kauft. Allerdings redet der Godfather dann auch mit, er hat Interessen, die muss der Zögling vertreten.

Afrika ist für Weber kein Neuland, 2015 war er in Addis Abeba in Äthiopien, führte Gespräche mit der dortigen Regierung, dem Premierminister, der Opposition und der Afrikanischen Union, "wichtige Partner für die EU", sagt Weber. Und doch scheint er ob meiner Schilderung erstaunt zu sein. Wie sieht es mit dem Godfather in Deutschland aus? Braucht es das? "Ich habe mehrere ältere Kollegen, die mich auf meinem Weg begleitet haben", sagt er. Dabei sei es aber auch geblieben.

Die Würze einer Volkspartei macht aus, dass dort möglichst viele Meinungen unterkommen. Wenn man, wie etwa beim Aschermittwoch der CSU, erst Weber und dann den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer sprechen hört, dann wird einem klar, warum die CSU als Volkspartei gilt. Seehofer münzte einen Ausdruck Donald Trumps auf seine Rede um, "Bavaria first", sagte er. Weber klang weicher und formulierte weniger pathetisch. Er und Seehofer? "Wir haben ein Level des gemeinsamen Respekts und einen Sinn für Verantwortung", sagt Weber jetzt. Seehofer sei Ministerpräsident Bayerns; es sei kaum überraschend, dass der auch die bayerischen Interessen vertrete.

Weber ist Europäer, aber auch er ist Bayer; Niederbayer, um genau zu sein. Nach diesem Interview geht es zu einer Veranstaltung nach Erbendorf in die Oberpfalz. Weber wechselt den Pullover gegen einen Trachtenanzug, vom geschliffenen Englisch zum geschliffenen Dialekt, er scheint das gut zu beherrschen, die Leute sind ihm wie verfallen. Hier, in seinem Wahlkreisbüro, sieht man hingegen wenig davon, dass er Bayer ist, das Plakat von der Jungen Union lugt nur hinter einer Kommode hervor, keine Fahnen, nur die Wappenfigur, in der ich einen Drachen erkenne.

Die CSU, ihr Chef Seehofer, hat der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel von der CDU viel Kontra gegeben, nach ihrem berühmten Satz, dass wir das schaffen, dass wir jemanden wie mich schaffen. Weber, im Ton sachte, in der Sache bisweilen hart, ging den Seehofer-Kurs in der Flüchtlingspolitik bisher inhaltlich mit, er sagte, die Grenze müsse bei 200 000 im Jahr liegen, mehr könne dieses Land nicht aufnehmen. Die große Frage, natürlich muss ich sie stellen, als Betroffener, aber auch als Überbringer, viele meiner afrikanischen Brüder interessiert Webers Antwort. Also: Bleibt er dabei? Merkel habe richtig gehandelt am Anfang, als sie 20 000 Flüchtlinge aus Budapest aufnahm, sagt Weber. Als Politiker der CSU stehe er aber auf der Seite jener, die eine kontrollierte Einreise zurückfordern. Und ja, sagt Weber, "es muss eine Obergrenze geben". 200 000, dabei bleibt er.

Weber wurde kurz ernst, jetzt ist der freundliche Gesichtsausdruck zurück, da war sie wieder, die Feuerlibelle und die Porzellanfigur aus dem Wappen, das gar keinen Drachen zeigen soll, sondern einen Löwen, den bayerischen Löwen, ein Tier, das man weniger in Süddeutschland als in Afrika vermuten würde. Die Feuerlibelle brummte nur kurz, oder, wie man in Bayern sagt, der Löwe fauchte einmal auf. Doch da war auch dieser Moment, als wir draußen im Freien standen und lachten. Da legte Weber, der CSU'ler, seinen Arm um meine Hüfte, eine einladende Geste, wie bei einem Freund, den man seit langer Zeit nicht mehr gesehen hat.

Olaleye Akintola, 34, stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht arbeitete er in Lagos für die überregionale Tageszeitung "This Day". Seit 2015 lebt er im oberbayerischen Ebersberg und schreibt für den SZ-Lokalteil im Team der Flüchtlingskolumne "Neue Heimat" (die gesammelten Texte finden SIe unter sz.de/neueheimat) und für die Lokalredaktion der SZ Ebersberg. - Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger.

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