Bayerisches Brauchtum:Gemeinsam anders

Blasmusik, Volkstanz, Tracht: Weil sich in der globalisierten Welt viele Menschen nach Identität sehnen, erfährt alles, was mit bayerischen Bräuchen zu tun hat, ungeahnten Zuspruch.

Astrid Becker

Neulich im Bier- und Oktoberfestmuseum in München: Zwei Männer sitzen auf einer Bierbank. Sie tragen das, was man heutzutage wohl Dachauer Tracht nennen würde - zu erkennen unter anderem an den vielen silbernen Knöpfen an ihren Westen. Genau dieses Erkennungsmerkmal hat einen der beiden, Markus Schneider, so fasziniert, dass er mittlerweile Trachtenknöpfe sammelt.

Corpus Christi Procession At Staffelsee Lake

Manch Traditionalist reibt sich verwundert und vielleicht auch erfreut die Augen: Ob Singstunden, Volkstanzkurse oder Leonhardi-Ritte - bayerische Volkskultur erfreut sich steigender Beliebtheit, nicht zuletzt bei jungen Menschen.

(Foto: Getty Images)

Der andere, ein wenig älter als Schneider, hatte gar nichts mit Tracht im Sinn, bis er mit seinem Harley-Davidson-Club vor ein paar Jahren nach Amerika fuhr: "Da wollt i ned mit normale Motorradlstiefi hi, dann hob i mir hoit die Stiefi von der Tracht macha lassn, und langsam is dann a der Rest dazuakumma." Weil sie "cool" ist, die Tracht. Da sind sich die beiden einig. Und weil man sich mit ihr von einer Welt abheben kann, die sich mehr und mehr der Vereinheitlichung verschrieben hat.

Damit stehen sie nicht alleine da. Brauchtumspflege und die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln liegen im Trend, in der Stadt ebenso wie im Umland. Das Interesse an allen Bereichen der Volkskultur habe enorm zugelegt, sagt Eva Becher, seit zehn Jahren im Münchner Kulturreferat für dieses Thema zuständig. Damals, in ihrer Anfangszeit, seien Dirndl, Volkstanz, Volksmusik oder gar Bauerntheater noch "echt bäh" gewesen. Vielleicht noch mit Ausnahme der Wiesn - wo es bereits Ende der Neunziger nicht mehr als schick galt, so wie bisher in Jeans und T-Shirt dort zu erscheinen.

Vor drei Jahren, sagt Becher, hätten sich plötzlich traditionelle Elemente spürbar in die Jugendkultur geschmuggelt: "Vor allem in die Musik. Denken Sie an La Brass Banda oder die fränkischen Musiker von Kellerkommando." Mittlerweile hätten sogar "die Kollegen aus dem Kunstsektor, die bisher damit gar nichts am Hut hatten, das erkannt". Warum hätten sie sonst für die Eröffnung des Pasinger Künstlerhauses Ebenböck im Mai ausgerechnet die europäisch-bayerische Band Jodlfisch ausgewählt? "So was war bisher undenkbar - doch Brauchtum, zeitgemäß interpretiert, das ist mittlerweile en vogue."

Die touristischen Vermarkter nutzen diesen Trend längst, um neue Kunden zu gewinnen und alte an München und sein Umland zu binden. Die Münchner Tourismusamtschefin, Gabriele Weishäupl, geht sogar noch weiter: "Ich denke, dass wir diesen Trend sogar gefördert haben." Tatsächlich gibt es in der Stadt eine Menge Veranstaltungen, die mit volkskulturellen Inhalten locken.

Für die wahrscheinlich größte Furore sorgte bislang wohl die historische Wiesn zum 200. Jubiläum des Oktoberfestes 2010. Goaßlschnalzer, Trachtengruppen, Volkstanz und -musik kamen dabei besonders gut an. So sehr, dass eine Bürgerinitiative forderte, diese Veranstaltung beizubehalten - mit Erfolg.

Auch auf dem diesjährigen Stadtgründungsfest im Juni wurde ein Heimatabend zelebriert, der unter dem Motto "Volksmusik trifft VoIXmusik" stand: ein authentisches Zeugnis regionaler Volksmusik, das von der Tradition den Bogen zur Moderne spann. Es gab dort zudem einen Trachtenmarkt, eine bayerische Singstunde für Erwachsene und Kinder und vieles mehr. Bilanz des Tourismusamts: "Diese Veranstaltungen waren alle trotz schlechten Wetters rappelvoll", sagt eine Sprecherin.

Die eigene Heimat ist heute das Fremdeste überhaupt

Und dann sind da ja noch die Kurse des Kulturreferats im Hofbräuhaus, in denen seit Donnerstag wieder regelmäßig das Tanzen der Münchner Française vermittelt wird. Dieser Tanz, der aus dem sogenannten Contretanz des 17.und 18. Jahrhunderts entstanden ist, besteht aus mehreren Tanztouren, bei denen zwei oder vier Paare miteinander tanzen. Jede dieser Touren wird von einer Tanzmeisterin oder einem Tanzmeister angesagt.

Die Münchner Française wird bei vielen Gelegenheiten getanzt, vor allem beim Kocherlball, der heuer am Sonntag, 17. Juli, um sechs Uhr morgens beginnt. In diesem Jahr werden wieder Tausende Menschen erwartet, und immer mehr davon wollen sich dem Anlass gemäß richtig bewegen können.

Auch auf dem Tollwood-Festival fand am Sonntag unter dem Motto "Bunt tanzt gut" ein multikultureller Volkstanzwettbewerb für die Jugend statt. Erstmals überhaupt wird auch auf der Auer Jakobidult ein Tanzboden aufgebaut, und zwar beim Sommernachtsfest am 30. Juli. Die Liste all der Veranstaltungen ließe sich noch lange fortführen - und zwar keineswegs nur für das Stadtgebiet. Maibaumaufstellen und -klauen gehören auf dem Land längst wieder zu den höchst beliebten Ereignissen, ebenso wie Sonnwendfeuer, Almabtriebe, Leonhardiritte oder Kirchweihfeiern.

Doch woher kommt diese Besinnung auf Heimat und Brauchtum? Touristiker, Veranstalter und Wissenschaftler sind sich in dieser Frage einig: Verantwortlich dafür sei die Globalisierung, die letztlich zu einer Suche nach der eigenen Identität geführt habe. Der Volkskundler Andreas Koll erklärt dieses Phänomen so: "Früher stand die Frage im Vordergrund: Was haben wir gemeinsam? Heute geht es darum, was uns unterscheidet."

Das Eigene komme in einer globalisierten Welt nicht vor, deshalb wollten die Menschen, vor allem die Jungen, wissen, was das Besondere an ihnen selbst sei, sagt er. Im Grunde ist die Renaissance des Brauchtums also als Reaktion auf eine Entwicklung zu verstehen, die dem Menschen zunehmend die eigene Identität raube - weil den virtuellen Welten im Internet eine große Bedeutung beigemessen werde und nun für fast jedermann die Möglichkeit bestehe, in alle Herren Länder zu reisen, meint auch Eva Becher vom Kulturreferat: "Wenn man vor dem Computer sitzt, ist es ja egal, wie man ist. Deshalb wächst das Bedürfnis nach realem Leben und Erleben von sich selbst."

Früher, so sagt sie, seien die Menschen neugierig gewesen auf die Welt "da draußen", jetzt richteten sie verstärkt ihren Blick auf ihr unmittelbares Umfeld. "Die eigene Heimat ist heute das Fremdeste überhaupt - und das gilt es nun zu erkunden." Die Dachauer Trachtler aus dem Bier- und Oktoberfestmuseum würden dies sicher unterschreiben. Auch für sie ist klar: "Allein die Großstädte schauen mittlerweile alle gleich aus. Diese Gleichheit - des packt doch koa Mensch!"

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: