Bayerischer Wald:"Ein Gehege-Wolf gehört nicht in die Natur"

Lesezeit: 2 min

Die entlaufenen Tiere zeigen nur wenig Scheu vor Menschen. (Foto: privat)
  • Sechs Wölfe sind in der Nacht zum Freitag aus ihrem Gehege bei Lindberg (Landkreis Regen) entkommen, weil ein Tor offen stand.
  • Eines der sechs Tiere ist am Sonntag erschossen worden. Ein anderer Wolf war kurz nach dem Ausbruch von einer Regionalbahn erfasst und getötet worden.

Von Matthias Köpf, Lindberg

Die Leute vom Nationalpark hatten die Narkosegewehre aus den Schränken geholt und sich bei den Zoos rundherum weitere Betäubungswaffen geliehen, fast drei Dutzend Forstleute und Berufsjäger streiften durch das weitläufige Waldgebiet, Tierpfleger lagen mit Nachtsichtgeräten und Wärmebildkameras auf der Lauer, im Wolfsgehege lag frisches Fleisch als Köder - und doch fiel am Sonntagvormittag ein scharfer Schuss. Er traf und tötete einen der sechs Wölfe, die am Donnerstagabend aus einem Freigehege des Nationalparks Bayerischer Wald bei Ludwigsthal (Landkreis Regen) entkommen waren. Ein anderes Tier war schon in der Nacht auf Freitag von einem Zug überfahren worden. Was aus den vier weiterhin flüchtigen Wölfen werden soll und wer das sonst versperrte und mehrfachgesicherte Tor ihres Geheges geöffnet hat, blieb auch am Sonntag unklar.

Die geflohenen Wölfe hielten das Wochenende über nicht nur die Leute vom Nationalpark in Atem, sondern erschreckten auch viele Wanderer und Waldspaziergänger. Bei der Polizei in Zwiesel gingen immer wieder entsprechende Meldungen ein, vom Auto aus filmte ein Paar mit dem Mobiltelefon zwei der Tiere. In der Nähe der Ortschaft Buchenau lief ein Wolf auf einen Mann und dessen Sohn zu, knurrte sie an und folgte ihnen sogar über eine kürzere Strecke bis zu ihrem Auto. Das Tier habe sich auch durch Schreien und Gestikulieren nicht vertreiben lassen, sagte der Leiter der Zwieseler Polizeiinspektion, Till Hauptmann, am Sonntag.

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Für Nationalpark-Leiter Franz Leibl sind solche Sichtungen ein Alarmzeichen. Sie deuteten darauf hin, dass die zeitlebens im Gehege gehaltenen Wölfe nicht die gleiche Scheu vor Menschen an den Tag legen, wie dies wilde Wölfe tun. "Ein Gehege-Wolf gehört nicht in die Natur", sagte Leibl. Zum Schutz der Menschen werde man kein Risiko eingehen und nötigenfalls weitere Tiere erschießen müssen. Der Wolf, der am Samstag Vater und Sohn angeknurrt hat, steht seither jedenfalls auf der Abschussliste. Er sei zuvor schon von einem erfahren Berufsjäger mit dem Betäubungsgewehr ins Visier genommen worden. Doch auf eine Distanz von etwa 30 Metern sei es dem Tier ein Leichtes gewesen, dem vergleichsweise langsamen Pfeil auszuweichen.

Ein Artgenosse, der die Nähe von Siedlungen nicht gemieden hat, wurde am Sonntag zwischen Ludwigsthal und der Siedlung Zwieselerwaldhaus erschossen. Zuvor seien alle Versuche gescheitert, diesen Wolf zu betäuben oder einzufangen. "Das ist nichts, was man mit Freude anordnet", sagte Leibl am Nachmittag. Scharf zu schießen bleibe das letzte Mittel. Vor allem setze man weiter auf Betäubungsgewehre und auf Fallen mit Fleischködern.

Am Freitag hätten zahlreiche Helfer die Tiere zurück ins Gehege treiben sollen. Inzwischen haben sich die Wölfe aber teils weit entfernt. Ein Tier wird jenseits der tschechischen Grenze im Nationalpark Šumava vermutet, wo ebenfalls bewaffnete Mitarbeiter unterwegs sind. Zwei Wölfe streifen durch das weitgehend unbesiedelte Gebiet um den Großen Falkenstein - auf insgesamt etwa 50 Quadratkilometern, was das Einfangen "zunehmend unwahrscheinlicher" mache.

Im östlichen Teil des Nationalparks gibt es ein erstes frei lebendes Wolfsrudel in Bayern, seit diesem Sommer mit Nachwuchs. Mit diesen Wölfen sollten sich die Gehege-Wölfe nicht vermischen, sagte Nationalpark-Chef Leibl. Anders als die entlaufenen kämen die wilden Tiere in der Freiheit perfekt zurecht und seien Teil des natürlichen Ökosystems. Als solchen Teil wollen den Wolf aber viele Menschen auch im Bayerischen Wald nicht akzeptieren.

Der erste Nachwuchs hat die Diskussion verschärft, die jüngsten Ereignisse dürften sie weiter anheizen. Dass das Gehege offenbar mit Vorsatz geöffnet wurden, könnte aus Leibls Sicht ein besonders perfider Beitrag zu dieser Debatte sein, aber da könne er nur spekulieren. Das Vorhangschloss, mit dem das schwere Tor am Mittwoch versperrt worden war, lag etwas abseits am Boden. Aufgrund der einfachen Bauart ist es laut Polizei womöglich nicht nur mit dem einen, passenden Schlüssel zu öffnen gewesen. Spuren am Schloss oder Hinweise auf den Täter gebe es nicht.

© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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