Bayerischer Frauengipfel:"Wir brauchen einen langen Atem"

Bayerischer Frauengipfel: "Es liegt aber auch an den Frauen selbst, mehr für ihre Rechte einzutreten", sagt Verena Di Pasquale.

"Es liegt aber auch an den Frauen selbst, mehr für ihre Rechte einzutreten", sagt Verena Di Pasquale.

(Foto: Stephan Rumpf)

Verena Di Pasquale, stellvertretende DGB-Chefin in Bayern, kämpft für die Gleichstellung. Dass Frauen schlechter bezahlt würden, sei im Freistaat besonders auffällig.

Von Martina Scherf

Verena Di Pasquale regt sich nicht so leicht auf. Sie pendelt täglich von Augsburg nach München, und wenn die Bahn wieder mal nicht pünktlich ist, das Abteil überfüllt oder einer der Mitreisenden laut vor sich hin schimpft, "dann denk' ich: Kannst ja eh nichts ändern". Sie liest dann einfach weiter und nutzt die Zeit.

Eines aber lässt die Wut in ihr hochsteigen, sagt die Gewerkschafterin: "Dass in einem so reichen Land wie Bayern solche krassen sozialen Missstände bestehen und dass die Politik diese Spaltung bewusst in Kauf nimmt."

Verena Di Pasquale, 53, ist stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in diesem reichen Bundesland. Vor sechs Jahren kam die gebürtige Pfälzerin nach Bayern, man hört es noch ein wenig an den weichen Zischlauten in ihrer Sprache. Jetzt ist sie für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Hof bis Garmisch und von Passau bis Lindau zuständig, und mit dem Bairischen, sagt sie, hat sie überhaupt kein Problem. "Ich mag den Dialekt."

Schon eher mit der Hartnäckigkeit der Staatsregierung, wenn es um Dinge geht, die in anderen Bundesländern selbstverständlich sind. Ein Weiterbildungsgesetz, zum Beispiel. "Bayern und Sachsen sind die einzigen, die das nicht haben." Dabei verkündeten doch die Politiker an anderer Stelle immer wieder, wie wichtig lebenslanges Lernen sei.

Oder das Betreuungsgeld für Mütter, die ihre Kinder nicht in die Kita geben, das hat die CSU, kaum dass es im Bundestag gescheitert war, zu Hause umgesetzt, "ein politischer Irrsinn", sagt die Gewerkschafterin. Das bayerische Gleichstellungsgesetz sei 22 Jahre alt, "aber von Gleichstellung zwischen Mann und Frau ist man hier noch besonders weit entfernt." Es gehöre dringend verbessert. Sie wird nicht müde, im Gespräch mit Politikern dafür zu kämpfen. Das tradierte Rollenbild, das unter dem weißblauen Himmel noch immer herrsche, lasse sich in Zahlen fassen, sagt Di Pasquale. Die ungleiche Entlohnung zwischen Männern und Frauen sei in Bayern besonders auffällig. "22 Prozent verdienen Frauen weniger, wenn man ihre vielen Teilzeitverhältnisse berücksichtigt, aber selbst, wenn man das alles raus rechnet, dann kriegen sie für die gleiche Arbeit immer noch sechs Prozent weniger."

An diesem Samstag richtet Verena Di Pasquale zum zweiten Mal einen bayerischen Frauengipfel aus. Es ist ihr Herzensthema. Da kommen DGB-Frauen aus ganz Bayern und aus unterschiedlichen Berufen nach München ins Gewerkschaftshaus an der Schwanthalerstraße. Krankenschwestern, Verkäuferinnen, Industriearbeiterinnen, Akademikerinnen. Sie diskutieren nicht nur über alte Rollenbilder, sondern über prekäre Arbeit, Rente, Armut, auch Gesundheit. Denn wer arm ist, wird häufiger krank und hat laut Statistik eine kürzere Lebenserwartung.

Gerade haben die Wohlfahrtsverbände in Bayern wieder festgestellt, dass die Armut seit Jahren wächst. Auch der Sozialbericht der Staatsregierung belege das schwarz auf weiß, sagt Di Pasquale, "und dann stellen sich die Regierungsvertreter hin und behaupten: Bayern sei die Vorstufe zum Paradies und der Wohlstand komme in Bayern überall an".

Der Anteil von Niedriglohn-Arbeit in Deutschland sei höher als je zuvor, sagt sie, "er ist höher als in den meisten anderen westlichen europäischen Ländern." Das sei das Ergebnis der Abwärtsspirale, die mit den Hartz-Gesetzen in Gang gesetzt worden sei. Betroffen seien mehr Frauen als Männer. "Sie haben Probleme, nach der Babypause in ihren Beruf zurückzukehren, sie versuchen oft mit Teilzeitarbeit, Job und Familie unter einen Hut zu kriegen, und spätestes bei der Rente zahlen sie den Preis dafür. Es sind ja nicht alles Gattinen gut verdienender Männer."

Minijobberinnen räumen Regale in Supermärkten ein, putzen Flure in Schulen und Krankenhäusern, stehen an der Theke beim Bäcker, wischen alten Menschen im Heim den Po - und versorgen zu Hause auch noch Kinder oder alte Eltern. Und gerade Pflegerinnen, Krankenschwestern, Erzieherinnen hätten immer noch das Image, dass sie einen "mildtätigen Liebesdienst" leisteten, für den Geld zweitrangig sei.

"Es gibt noch viel zu tun"

"Es liegt aber auch an den Frauen selbst, mehr für ihre Rechte einzutreten", sagt Di Pasquale. Industriearbeiter hätten das schon vor 150 Jahren getan, so entstand ja überhaupt die Gewerkschaftsbewegung. Der Frauengipfel soll den Teilnehmerinnen Mut machen. Diesmal sind auch Politikerinnen aller im Landtag vertretenen Parteien eingeladen und die Vorsitzende des Katholischen Frauenbundes in Bayern. "Es gibt noch viel zu tun", sagt Di Pasquale. "Aber wer, wenn nicht wir, kümmert sich um eine gerechtere Arbeitswelt?"

Aber müssen sich die Gewerkschaften nicht auch selbst fragen, ob sie die Themen noch überzeugend an den Mann oder die Frau bringen? Zwar sind die Mitgliederzahlen, die seit den Neunzigerjahren massiv gesunken waren, seit zehn Jahren stabil. Mehr als 800 000 Mitglieder hat der DGB in Bayern. Doch es ist schwer, vor allem junge Leute anzusprechen, und die wachsende Zahl an Teilzeitbeschäftigten macht es nicht leichter. "Wir spüren auch die Tendenz in Unternehmen, Betriebsräte einzuschüchtern", sagt die Gewerkschaftsvorsitzende fest. Dass Gewerkschaften zum sozialen Frieden beitragen, die Bedeutung der Tarifautonomie, das sei vielen jungen Leuten gar nicht mehr bewusst. "Sie lernen es ja auch in den Schulen nicht", stellt die Ökonomin deutlich.

"Aber natürlich müssen wir uns fragen, wie wir gerade junge Leute ansprechen", sagt sie. Man probiere neue Kommunikationsformen in den sozialen Medien aus, auch Stammtisch-Schulungen für lokale Gewerkschaftsvertreter biete man an, damit sie für Auseinandersetzungen mit der allgemeinen Politikverdrossenheit und den um sich greifenden rechten Parolen gewappnet seien. "Gegen tief sitzendes nationalistisches Gedankengut kommt man argumentativ kaum an, aber viele, die nur verunsichert sind, kann man mit Fakten und persönlichen Erfahrungsberichten durchaus überzeugen."

Ihr gesundes Selbstbewusstsein ist da von Vorteil. "Wir müssen eben immer wieder deutlich machen, dass ohne uns viele Themen wie Rente oder paritätische Krankenkassenbeiträge erst gar nicht auf der politischen Tagesordnung wären." Sie vertritt Bayern auch im Vorstand der Deutschen Rentenversicherung.

Dass viele Menschen den Glauben an die Demokratie verloren hätten, bereite ihr Sorgen, sagt sie. Manche fühlten sich abgehängt, andere, denen es eigentlich gut gehe, hätten Abstiegsängste. "Aber man kann etwas tun, die Bundesrepublik wird ja nicht ärmer, das Bruttosozialprodukt steigt von Jahr zu Jahr. Es ist eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit, das kann ich Ihnen als Volkswirtin sagen." Diese Überzeugung - man kann etwas tun - hat Verena Di Pasquale schon als Kind gewonnen. Ihr Vater war Anfang der Sechzigerjahre als Gastarbeiter aus Sizilien nach Mainz gekommen, er heiratete eine Deutsche, beide Eltern engagierten sich schon früh in der Gewerkschaft. "Ich bin mit der Gewissheit aufgewachsen, dass man Rechte hat, und dass es sich lohnt, für diese Rechte einzustehen", sagt sie.

Nach der Realschule hat die Mainzerin eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht und in einer Firma für Messtechnik gearbeitet. Sechs Jahre lang war sie dann Sachbearbeiterin beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, bevor sie die Fachhochschulreife nachholte und Wirtschaft studierte. An der Uni Frankfurt hat sie schließlich in Sozialökonomie promoviert und schon damals nebenher für den DGB gearbeitet. Auch ihr Ehemann ist Gewerkschafter.

Ein Jahr, nachdem sie 2006 als politische Referentin im DGB-Bezirk Hessen-Thüringen begonnen hatte, kam die Finanzkrise ins Rollen, ausgelöst durch amerikanische Immobilienspekulanten. Die dramatischen Folgen bekamen viele Menschen in aller Welt zu spüren, plötzlich stand sogar die Zukunft deutscher Banken auf dem Spiel. Damals habe sie mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, sagt die Ökonomin, "dass der neoliberale Mainstream zu bröckeln begann. Viele beteuerten: So darf es nicht weitergehen, der Markt kann nicht alles regeln." Doch kaum seien ein paar Jahre ins Land gezogen, die Krise überwunden, sei man "zum Mainstream" zurückgekehrt.

"Wir brauchen einen langen Atem", sagt Verena Di Pasquale und lächelt. Es klingt nicht etwa enttäuscht, sondern überzeugt - und ziemlich gelassen. Und zum Ausgleich fährt sie nach Italien. "Von Bayern aus habe ich es ja nicht mehr weit."

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