Bayerische Sprichwörter:Vom Passauer Tölpel und der damischen Urschl

Kapellplatz Altötting

Der Kapellplatz in Altötting mit der Stiftskirche.

(Foto: segi)

"Einblicke in versunkene Lebenswelten": Überall in Bayern gibt es Sprichwörter, in denen Ortsnamen vorkommen. Ein Sprachforscher hat jetzt in detektivischer Arbeit die Zusammenhänge erforscht. In seiner Sammlung sind erstmals auch alle bekannten Redensarten aus München nachzulesen.

Von Hans Kratzer

Ein arger Feind des Menschen ist die Langeweile, weshalb er sie am liebsten in Freizeitparks, Einkaufsparadiesen und sonstigen Bespaßungsorten bekämpft. Auch die Stiftspfarrkirche zu Altötting wäre für Kurzweil prima geeignet, denn sie ist reich an Kuriositäten. König Karlmann, der Urenkel Karls des Großen, hat hier ebenso seine letzte Ruhe gefunden wie ein berühmter Heerführer aus dem Dreißigjährigen Krieg, Graf von Tilly, dem der Besucher durch eine Glasscheibe im Sargdeckel sogar ins Antlitz schauen kann.

Noch mehr Eindruck aber macht der Tod von Altötting, volkstümlich auch Doud vo Eding genannt, ein Gerippe, das auf einem über dem Eingang hängenden Uhrkasten steht und ständig die Sense schwingt. Mit jedem Schwung, so sagt die Überlieferung, werde auf der Welt ein Leben ausgelöscht.

Der Tod von Eding begleitet die Menschen in Südbayern, sofern sie im katholischen Milieu aufgewachsen sind, auf Schritt und Tritt. Stets erinnert er sie in der Alltagssprache an die Vergänglichkeit des Lebens. "Der schaut aus wie der Doud von Eding" oder "wia dem Doud von Eding sei Geschäftsreisender", sagt man über Menschen, an denen eine zehrende Krankheit nagt. Manchmal heißt es sogar: "Gegen den is der Doud von Eding a Mastsau!"

Sprichwörter aus allen Regionen

In Bayern ist die Metapher "Tod von Altötting" aber kein singuläres Phänomen. In fast jeder Gegend tauchen Ortsnamen in Sprichwörtern und Redensarten auf. Das Münchner Kindl, der Passauer Tölpel, der Bruder Straubinger, die Ingolstädter Feige und die Rosenheimer Schmalzgrube sind gängige Attribute der Kommunikation, auch wenn die sich dahinter verbergenden Geschichten oft nicht mehr bekannt sind. Sprachgeschichtlich sind diese Phänomene lange Zeit kaum erforscht worden.

Diese Lücke hat jetzt der Sprachforscher Helmut A. Seidl geschlossen, indem er sich in einer Art Pionierarbeit mit dem Zusammenhang von Sprichwörtern und Ortsnamen beschäftigt hat. Vor kurzem hat Seidl, der als Professor für Neuere Sprachen in Augsburg tätig ist, seine Ergebnisse für Altbayern vorgelegt, nachdem der Band über Franken bereits im Vorjahr erschienen ist ("Nürnberger Tand geht durchs ganze Land").

"In solchen Sprichwörtern und Redensarten stecken häufig kurze Ortsporträts", sagt Seidl, der in seinem Buch 444 recherchierte Beispiele aus Ober-, Niederbayern und der Oberpfalz vorstellt, wobei nicht nur Städte wie München und Regensburg berücksichtigt sind, sondern auch unbekannte Dörfer wie Noderwiechs und Pleiling. "Das beste an Regensburg ist der Schnellzug nach München", lautet einer der bekannteren Sprüche, aber diese Variante ist auch für Augsburg bekannt. Zugeordnet werden die Varianten den Schriftstellern Georg Britting und Bert Brecht. Heute sind sie längst überholt, aber noch nicht vergessen.

Einblicke in versukene Lebenswelten

"Diese Redensarten bieten Einblicke in versunkene Lebenswelten", sagt Seidl. Manchmal war richtige Detektivarbeit erforderlich, um das Gesagte richtig zu deuten. Hinter dem Schimpfwort "damische Urschl" verbirgt sich laut Seidl eine Plattlinger Simulantin namens Ursula, die im 18. Jahrhundert vorgab, verhext zu sein. "Verhext wie die Urschl von Plattling" war lange Zeit ein geflügelter Spottruf.

"Wen Gott nicht kann leiden, den schickt er nach Weiden." Dieser Spruch ist offenbar nicht auf die Stadt, sondern auf den dortigen Bundeswehrstandort gemünzt, sagt Seidl. In der Oberpfalz würde man sprachlich ohnehin keinen nach Weiden, sondern höchstens in d'Wei'n schicken. Bei den Einheimischen heißt die Stadt nämlich d'Wei'n, abgeleitet vom alten Begriff apud Weiden (Siedlung bei den Weiden).

Ein derbes Kompliment

"Zu St. Emmram (Regensburg) und zu Oberalteich wachsen die Professoren auf dem Mist", lautet ein weiteres Sprichwort. Tatsächlich standen die Klöster St. Emmeram und Oberalteich einst im Ruf, die bedeutendsten Gelehrten hervorzubringen. Trotz der derben Wortwahl handelt es sich also um ein Kompliment. Anders als beim Spruch: "In Pressath und Lueg kriegt man Prügel grad gnueg." Anno 1896 meldeten nämlich viele Blätter, ein Bauernmädchen habe in Pressath 17 Seidel Bier getrunken und den Wirt verprügelt.

Der kulturgeschichtliche Wert der Sammlung speist sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass erstmals alle bekannten Redensarten über München nachzulesen sind. Nicht alle sind indessen so originell wie dieses Beispiel vom Land: "Z'Eschlkam kemmand oi Vögl zamm." Mit Vögel sind hier die Schmuggler gemeint.

"München ist ein goldener Sattel auf einem mageren Pferde" - dieser Spruch spielt auf die seit jeher gerühmte Attraktivität der Stadt an, das magere Pferd steht für die früher oft beklagte unfruchtbare Schotterebene des Alpenvorlands. Heute ist ganz Südbayern ein goldener Sattel - auch ohne Olympische Winterspiele.

Helmut A. Seidl, Sprichwörtliches über Altbayern, 444 Ortsporträts, Verlag Friedrich Pustet, 22 Euro.

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