Bayerische Literatur:Warum ein Gedicht dieses Niederbayern in Stuttgart Busse und Bahnen schmückt

Bayerische Literatur: Friedrich Hirschl nähert sich der Welt, indem er sie in Gedichten beschreibt. Eines davon erfreut zurzeit die Fahrgäste in Stuttgart.

Friedrich Hirschl nähert sich der Welt, indem er sie in Gedichten beschreibt. Eines davon erfreut zurzeit die Fahrgäste in Stuttgart.

(Foto: Nicole Schaller)

Ein Werk des Dichters Friedrich Hirschl kommt beim Projekt "Lyrik unterwegs" zum Einsatz. Für den 60-Jährigen ist das ein großer Erfolg, denn Lyrik hat es in Deutschland schwer.

Von Hans Kratzer, Passau

Normalerweise passiert es nur alle heiligen Zeiten, dass einem Lyriker - wenn ihm nicht gerade der Nobelpreis verliehen wurde - öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird. Kein Wunder also, dass der Passauer Dichter Friedrich Hirschl, der gerade das 60. Lebensjahr vollendet hat, einen für sein Alter veritablen Luftsprung hinlegte, nachdem eine überraschende Nachricht aus Stuttgart auf seinen Tisch geflattert war. Hirschl erfuhr nämlich, dass eines seiner Gedichte - es trägt den interessanten Titel "Ein Poller von Interesse" - kürzlich die werte Aufmerksamkeit der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) erregt hatte.

Hirschls Zeilen wurden 2014 erstmals in der Zeitschrift Das Gedicht veröffentlicht, wo sie ausgerechnet jene Sachverständige entdeckte, die im Auftrag der SSB die Popularisierung der Lyrik fördern soll. Die Stuttgarter wiederum wurden von den Verkehrsbetrieben in London zu dem Projekt "Lyrik unterwegs" inspiriert. Dort ist die Unterhaltung der Fahrgäste mit Prosa und Gedichten schon seit langem Usus.

Gut 500 Busse und Bahnen sind im Stuttgarter Verkehrsnetz täglich im Einsatz. An jedem Werktag nutzen fast 600 000 Menschen eine oder mehrere der 72 SSB-Linien, wobei die Augen der Pendler zwangsläufig auf die in den Fahrgasträumen großflächig plakatierten Gedichte fallen, die im besten Falle auch gelesen werden. Eine bessere Werbung für die Kunst der Lyrik kann man sich kaum vorstellen. "Das fällt schon auf!", sagt Hirschl.

Die Texte bleiben turnusmäßig vier Monate in den Bahnen hängen. Für einen stillen und bescheidenen Menschen wie Hirschl kommt diese Art von Publicity wie ein unerwartetes Geschenk daher. "Ich hab mich wirklich sehr gefreut", sagt der Dichter, der - zumindest in Sachen Bahnlyrik - nunmehr immerhin in einer Reihe mit dem Nobelpreisträger Günter Grass steht. Auch von dem ist bereits ein Text durch den Stuttgarter Nahverkehr kutschiert worden.

Die Lyrik führt im Literaturbetrieb ein zunehmend klägliches Schattendasein, jedenfalls was die Verkaufszahlen betrifft. Es kommt nicht von ungefähr, dass Gedichtbände in den Buchhandlungen im Nischenregal verstauben. Doch ein Idealist wie Hirschl lässt sich davon nicht unterkriegen: "Es interessieren sich mehr Menschen für Lyrik, als wir es für möglich halten." Bei seinen Lesungen hat ihn das Publikum jedenfalls noch nicht völlig im Stich gelassen. Und wenn möglich, bedankt er sich bei jedem Gast persönlich für das freundliche Zuhören.

Hirschls Gedichte sind kurz und kunstvoll konstruiert, aber sie sind weit entfernt von esoterischer Abstraktheit, kurzum: Sie sind für jedermann verständlich. So kommt es, dass bei seinen Vorträgen auch Menschen gesichtet werden, die sich nicht jeden Tag mit Literatur und Lyrik beschäftigen. Der Passauer Dichter setzt sich gedanklich vor allem mit der Natur auseinander. Seine Werke, die zuletzt im Passauer Karl Stutz-Verlag erschienen sind, wirken mit ihrem minimalistischen Ansatz wie kleine Seelendratzerl, wie Perlen der Ruhe im überreizten Infotainmenthagel. Im Gedicht "Morgenrot" heißt es: "Arglos / spielt der junge Tag / mit dem Feuer / Steckt dabei / den Himmel / in Brand."

Nun ist allerdings der rührige Passauer Verleger Karl Stutz im vergangenen Jahr gestorben. Stutz war ein Mensch, der ein großes Herz für die nicht kommerzielle Literatur und für Lyriker wie Hirschl hatte. Er war opferbereit und wollte diese Kunst, bei aller Aussichtslosigkeit auf finanziellen Erfolg, partout nicht untergehen lassen. Seit seinem Tod steht Hirschl ohne Verleger da, einen neuen zu finden, ist für stille Künstler wie ihn fast so schwierig, wie den Nobelpreis zu ergattern.

Ein Poller von Interesse

Sie haben ihm

viel zugemutet

Gleich mehrere Frachtkähne

an ihm festgemacht

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Doch er liebt

die Herausforderung

Strotzt vor Kraft

Gibt alles

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Ist auf dem Kai

der stille Star

Schon als Student wurde Hirschl von der Magie lyrischer Texte unheilbar in den Bann gezogen. Vor allem das Werk des Expressionisten Georg Trakl (1887-1914) hatte ihn dermaßen berührt, dass er beschloss, fortan selber zur Feder zu greifen. Auf keine andere Weise, so stellte er fest, konnte er die Fülle seiner Eindrücke aus der Natur festhalten und in existenzielle Worte kleiden. Bei dem von Hirschl favorisierten Großdichter Trakl überwiegen die Stimmung und die Farben des Herbstes und des Vergehens, seine Metaphern sind düster und reich an religiösen Bezügen. In gewisser Weise gilt das auch für Hirschls Gedichte, die von der Düsternis Trakls dennoch weit entfernt sind.

Dafür hat Hirschl die Kunst, den Zauber des Augenblicks in einen Aphorismus zu kleiden, schon ziemlich perfektioniert. Seine Wahrnehmung schärft er auf täglichen Spaziergängen am Fluss, wobei ihm an manchen Tagen gar nichts zufällt, an anderen aber fallen ihm bisweilen treffende Gedichte wie "Felsen im Inn" ein: "Hochbetagte Flusspferde / Dem schnellen Lauf / des Wassers im Weg / lassen sie sich nicht / aus der Ruhe bringen / und schon gar nicht / vertreiben."

Hirschls Texte gleiten dahin wie ein plätschernder Fluss. Nichts Aufrührerisches strahlen sie aus, keinen Überdruss, keine Oberlehrerhaftigkeit, sondern ein grenzenloses Staunen über die Welt und ihre Wundersamkeiten - wie etwa im Gedicht "Nasser Schnee": "Nichts erinnert mehr / an die spielerische Leichtigkeit /mit der er als Tänzer / aufgetreten ist / Krank vor Nässe / badet er / in Selbstmitleid."

Seit dem Jahr 2007 versucht sich Hirschl, der daneben noch einige Stunden als Religionslehrer unterrichtet, als freier Autor, alle Unbill, die das für einen Lyriker mit sich bringt, tapfer ertragend. "Das habe ich mir erkämpft", sagt er, auf Reichtümer ist er eh nicht aus. Sieben Bücher hat er bisher veröffentlicht, und für das achte wird sich auch noch ein Verleger finden, davon ist er fest überzeugt.

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