Bausünden in Bayern:Toskana ist überall

Es ist das Haus zum Latte Macchiato. Bayerns Baugebiete werden vom pseudo-mediterranen Stil beherrscht. Heimatpfleger sind entsetzt, zumal die Toskana-Häuser mit italienischer Bauart eigentlich gar nichts zu tun haben. Und es naht schon die nächste Gefahr: das "Pseudo-Bauhaus".

Hans Kratzer

Für viele Bauherren ist es die Erfüllung eines Lebenstraums, in dem sich ihre Sehnsüchte und Hoffnungen widerspiegeln. Mit dem Bau eines Toskanahauses wollen sie südländisches Flair und die Leichtigkeit des Urlaubs in den Alltag zaubern, wobei die vielen Säulen, Erker und Walmdächer, die diesen Traum tragen, durchaus auch Individualität zum Ausdruck bringen sollen - gemäß dem Motto Ludwigs II.: "Wenn ich schon baue, dann soll es etwas Besonderes sein."

Das Haus zum Latte Macchiato: Toskana-Stil erobert Deutschland

Das Haus zum Latte Macchiato: Häuser im Toskana-Stil sind in Bayern inzwischen eher die Regel als die Ausnahme.

(Foto: picture-alliance/ gms)

Allerdings geht die Entwicklung der Baumoden immer rasanter voran. Hoben Toskanahäuser ihre Besitzer vor zehn Jahren aus der Masse heraus, so verschwinden sie mit diesem Stil mittlerweile längst wieder in der Uniformität.

Seit Ende der neunziger Jahre breitet sich das Bauen nach Toskana-Art fast epidemisch aus. Städte wie Straubing sind von Siedlungen umzingelt, in denen fast nur noch solche Häuser stehen. Nun schwappt diese Mode mit einer solchen Wucht über das Land, dass sich Heimatpfleger und Architekturkritiker Sorgen um die alte Bautradition machen.

In den sechziger Jahren war in Bayern erstmals eine Abkehr vom traditionell schlichten und funktional ausgerichteten Eigenheimbau zu erkennen. Wer es sich leisten konnte, stellte sich nach amerikanischem Vorbild einen Bungalow auf sein Grundstück und vergewisserte sich durch die Tatsache, dass auch der Kanzler in Bonn in einem Bungalow wohnte, der Bedeutung seines Wohnstils.

Bald folgten in rascher Abfolge neue Bauformen, welche die Vorgängerhäuser alt aussehen ließen. In den achtziger Jahren dominierte das oberbayerische Landhaus mit alpiner Anmutung, dann florierten die Wintergärten und schließlich jene Eigenheime, an die ausladende Erker hingeklotzt wurden, bis diese vom mediterranen Stil abgelöst wurden.

Die Stimme von Cornelia Schink, der Kreisheimatpflegerin von Regen, klingt bereits leicht resigniert: "Jetzt fängt das auch bei uns an", klagt sie ins Telefon. Lange Zeit war der Bayerische Wald wenigstens vom Toskanastil verschont geblieben, "wir waren praktisch eine Enklave".

Doch immer mehr Stadt- und Gemeindeverwaltungen kapitulieren vor der Masse an Bauanfragen für Toskanahäuser. Bebauungspläne, die diesen Haustypus verhindern sollten, werden geändert, immer mehr Ausnahmen werden genehmigt, und nun scheint auch in Niederbayern eine flächendeckende Besprenkelung mit diesen Bauwerken einzutreten, wie sie im Münchner Speckgürtel, etwa in Gemeinden wie Pullach im Isartal, schon fast vollendet ist.

Dabei fällt auf, dass viele der in den Siedlungen wild zusammengepressten Häuser falsch proportioniert sind und mit ihren Schnörkeln, terracottafarbenen Säulen und Versatzstücken aus dem Baumarkt oft in krassem Gegensatz stehen zu jener einfachen Baukultur, die der bayerischen Häuserlandschaft lange Zeit ein klares und unverwechselbares Gesicht gegeben hat.

Jetzt kommt das "Pseudo-Bauhaus"

Für den Kabarettisten Hans Well, der selber ein 400 Jahre altes Haus restauriert hat, sind viele Toskanahaus-Siedlungen "globalisierter Baumüll, Ausdruck von Kitsch, Ramsch und Gesichtslosigkeit, vorgefertigte Massenware ohne Sinn für Form und Tradition".

Dabei gäbe es genügend gute Vorbilder für den italienischen Baustil in Bayern, sagt Well und verweist auf Städte wie Wasserburg, Burghausen und Tittmoning. "Die das gebaut haben, die hatten Ahnung. Jetzt haben wir Folklorismus und Klischees, die mit der Toskana nichts zu tun haben."

Tatsächlich sind viele alte Stadthäuser vom italienischen Baustil geprägt. In Eichstätt, Landshut und Augsburg zogen Italiener barocke Kirchen und Paläste hoch. Im 19. Jahrhundert wurden im Chiemgau prächtige Bauernhöfe errichtet, die heute noch "Itakerhöfe" heißen, stilistisch von florentinischen Stadthäusern geprägt und in jeder Hinsicht ein Vorbild für ländliches Bauen sind.

Moderne Toskanahäuser haben dagegen mit der gewachsenen Architektur der Toskana nur wenig gemeinsam", sagt Thomas Erb, der Geschäftsführer einer Baufirma in Rechtmehring. Er nennt die Toskanahäuser eine Erfindung von Bauträgern. "Das ist eine Marketinggeschichte", unterfüttert durch Lifestyle-Medien, die den Geschmack einer breiten Leserschaft steuern.

Wenn in der Zeitschrift Schöner Wohnen etwas vorgestellt wird, gebe es sofort einen Nachfrageschub, sagt Erb, der das Thema für überbewertet hält, da nur 20 Prozent der Neubauten Toskanahäuser seien.

Gleichwohl könnte die große Zeit des Toskanahauses schon vorüber sein. Martin Wölzmüller, der Geschäftsführer des Landesvereins für Heimatpflege, nennt diesen Baustil ein Auslaufmodell, das abgelöst werde durch Hausformen aus dem Dunstkreis der neuen Sachlichkeit. Das Toskanahaus genüge den Ansprüchen nicht mehr. "Es ruft keinen Aha-Effekt mehr hervor. Das übernimmt jetzt das Pseudo-Bauhaus", sagt Wölzmüller.

Die schnell wechselnden Moden beim Häuserbau sind für Wölzmüller ein Indiz dafür, dass nichts mehr so richtig funktioniert. "Ein Haus muss warm, regendicht und sparsam sein. Das aber ist bei einem nach modischen Kriterien errichteten Haus zweitrangig." Laut Wölzmüller sollte ein moderner Bau energiesparend, schnörkellos und stimmig sein - also das glatte Gegenteil vieler Toskanahäuser.

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